Nürnberger Land: Selbsthilfegruppe für Selbstständige in Existenz-Not

11.7.2020, 14:56 Uhr
Matthias Hartmann betreibt als ein Standbein ein "Virtual Reality Spielecenter“.

Matthias Hartmann betreibt als ein Standbein ein "Virtual Reality Spielecenter“.

Die Schaufenster der ehemaligen Apotheke sind mit bunten Bildern beklebt. Der Laden im Inneren ist dunkel, Neonlicht leuchtet einem entgegen. Große Bildschirme und viele Stühle bevölkern den Raum. Hinter dem Tresen sitzt Matthias Hartmann und wartet auf Kundschaft für sein "Virtual Reality Spielecenter".

Denn seit Anfang Juni darf er wieder geöffnet haben. "Die ersten Stammkunden waren auch schon da", freut er sich. Den Umsatz rettet das bislang nicht: Im März stand da nur noch die Hälfte in der Abrechnung, dann eine dicke Null. "Ich musste den Funpark schließen, geplante Events wurden storniert", in die er aber schon Arbeitszeit hineingesteckt und für die er Beratung geleistet hatte, erzählt Hartmann. Auf Neuanfragen oder Termine für die ausgefallenen Veranstaltungen wartet er bislang vergebens: "Mit zwei Parteien kannst keinen Kindergeburtstag feiern

"Dabei hatte sich Hartmann bei der Firmengründung von "3Delta" 2012 extra auf breite Füße gestellt: Verleih von Leinwand, Beamer und Co., Entertainment und Events für Firmen – zum Beispiel beim Tag der offenen Tür oder bei Teambuilding-Maßnahmen – und Privatkunden. "Und alles drei wurde durch Corona niedergeknüppelt." Plus der Funpark in Neunkirchen.

Zu liquide für Hilfen

Den betreibt der Spezialist für 3 D-Videoproduktion und Großbildprojektion, der über sich selbst sagt, dass ihn "das Thema Computer seit dem dritten Lebensjahr begleitet", seit 2016. Eine Fläche für sein Lager brauchte er so und so, und damals sei die Neugier auf Virtual Reality sehr groß gewesen. Also hübschte er sein Lager auf, berichtet er schmunzelnd, und eröffnete einen der ersten VR-Läden in Deutschland. Eine Herzensangelegenheit. "Das Spielecenter ist für mich keine kommerzielle Sache", erklärt er, "die Kosten müssen sich tragen und ich muss von meiner Firma insgesamt leben können."Und das klappte gut, verrät Hartmann. Als sich ein Mitbewerber im Herbst 2019 aus der Branche verabschiedete, brummte die Kasse.

"Im Februar hatte ich den größten Job meiner Firmengeschichte." Stolz klingt dabei durch. Hartmann machte den Laden für einen Monat zu und baute ihn beim Kunden auf. Und dieser gute Verdienst fiel ihm beim Shutdown auf die Füße. Er war zu liquide für Hilfen, "Pech gehabt."Aber dann änderten sich die Vorgaben, er durfte für die laufenden Kosten Unterstützung anmelden. Gehalt? Fehlanzeige. Da drehte sich nach der ersten Erstarrtheit nach dem Shutdown, wie er seinen Status selbst beschreibt, das erste Mal das Gedankenkarussell. Denn Hartmann musste sehr lange auf einen Bescheid warten. War vielleicht ein Zahlendreher drin? Hätte er doch keinen Antrag stellen dürfen? Warum bekomme ich eine Zahlungszusage, aber es taucht kein Geld auf? "Das war echt eine psychische Sache und ich bekam immer wieder Angst."Die sei auch durch Aussagen wie "das ist die größte Krise überhaupt" oder "das ist die neue Normalität" gefördert worden.

"Da habe ich mir Sorgen um das ganze Land samt Wirtschaft und meine eigene Firma gemacht." Ist er vielleicht falsch aufgestellt? Hat Entertainment nach Corona ausgedient? Muss er einen Strich unters Geschäft machen ("Ab Quartal X und Zahl Y habe ich genug draufgezahlt"), oder braucht es ein viertes Standbein? Fühler in andere Bereiche habe er bereits ausgestreckt: "Der kluge Mann baut vor."Lähmen hat er sich von der Existenz- und Zukunftsangst aber nicht lassen.

Er zermarterte sich den Kopf, was er trotz der Beschränkungen in der Corona-Hochzeit anbieten könnte. Aber: "Alle Ideen liefen ins Leere." Also blieb nur das Werkeln im eigenen Laden – "eine Zeit der Optimierung", wie es Hartmann nennt. Das ging nur teilweise, weil die Baumärkte geschlossen hatten. Trotz schwindender Motivation rüstete er die Bildschirme auf, schaffte einen Air-Hockey-Tisch an. Das für März angedachte Upgrade ruht: "Ich weiß ja nicht, ob mein Geschäftsmodell noch trägt oder wie lange Kunden ausbleiben." Der Invest, der nötig wäre, um am Puls der Zeit zu bleiben, so Hartmann, sei in der "Wartephase bis Jahresende".

Indoor nur bis Mai

Er kann gar nicht einschätzen, was da noch kommt – bei ihm und allgemein. Seine Saison gehe eigentlich nur bis Mai. "Indoor passt nicht zu Sommerunterhaltung." Gemerkt hat er jedenfalls jetzt schon, dass mehr unter der Woche los war als am Wochenende. Vor Corona sei das anders gewesen."Der große Knall kommt erst noch", ist sich Hartmann sicher. Seiner Meinung nach könne der Staat nicht jede Firma retten: "Irgendjemand muss die Rechnung bezahlen. Wenn nicht wir, dann unsere Kinder." Das Versprechen, keiner würde seinen Job verlieren, das habe ihn geärgert und enttäuscht. Möglicherweise sei der Einschnitt gut zur Gesundung von Wirtschaft und Gesellschaft, grübelt er, der sich aktuell "in den Händen der Politik fühlt".

Ihm fehle die umfassende Information zu dem Virus, um die Maßnahmen selbst durchdenken zu können.Auch mangle es an einem "Horizont Richtung einer konstruktiven Phase". Als er einmal mit einem befreundeten Messebauer telefoniert hatte, habe er gemerkt, dass Redebedarf zum Thema "Und jetzt?" da sei. Netzwerken, Austausch, Kooperationen – das erhoffe er sich von der Selbsthilfegruppe. "Hier soll nicht gemeinsam gejammert werden", betont Matthias Hartmann. Konstruktive Gedanken sollen alle Teilnehmer voranbringen, um positiv "in die Zukunft schauen zu können".

Im offenen Gespräch lassen sich, völlig anonym, Erfahrungen über die Sorgen, die Selbstständige während der Corona-Pandemie umtreiben, austauschen und eventuelle Mut-Mach-Strategien entwickeln, um gemeinsam diese Last der Krise einfacher schultern zu können. Bei Bedarf kann sich daraus eine offene Selbsthilfegruppe entwickeln. Interessierte wenden sich bitte an Kiss Nürnberger Land, Tel. 09151/9084494 oder nuernberger-land@kiss-mfr.de

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