Politik live: Sitzungsübertragungen sorgen für Probleme

22.12.2019, 05:56 Uhr
Werden Sitzungen aus Parlamenten als Livestream im Internet übertragen, können sich Bürger bequem zu Hause am PC oder mit dem Smartphone zuschalten. Allerdings gibt es bei der Übertragung etliches zu beachten.

© Foto: Julian Stratenschulte/dpa Werden Sitzungen aus Parlamenten als Livestream im Internet übertragen, können sich Bürger bequem zu Hause am PC oder mit dem Smartphone zuschalten. Allerdings gibt es bei der Übertragung etliches zu beachten.

Es war nur ein gemurmelter Satz, doch er sorgte für Riesenärger. "Mei, is des ein Deppenhaufen", grummelte Bürgermeister Albert Wittmann (CSU) während einer Sitzung des Ingolstädter Stadtrates, und dummerweise ging die Äußerung über das Mikro des neben ihm sitzenden Oberbürgermeisters Christian Lösel (CSU) direkt online.

Wittmann sagte zwar, er habe nicht den Stadtrat gemeint, sondern auf eine private SMS reagiert, doch das Zitat war tagelang Stadtgespräch. Sogar ein Deppenhaufen-Song wurde beim Starkbier-Anstich einer örtlichen Brauerei gesungen. Kurz danach wurde der bisherige Audio-Livestream aus dem Ingolstädter Sitzungssaal abgeschaltet. Aus Datenschutzgründen, sagte die Stadtverwaltung. Nach Wittmanns Äußerung mussten alle Stadtratsmitglieder ihre Zustimmung zur Direktübertragung ins Netz geben. 19 lehnten ab. Damit war die drei Jahre lang währende Online-Präsenz des Rats beendet.

Intransparenz statt Teilhabe

Beim Thema Livestream von Stadt- und Gemeinderatssitzungen scheiden sich nicht nur in Ingolstadt die Geister. Aktuell gibt es Debatten in Bayreuth, wo Politikinteressierte seit September 2017 die Sitzungen der örtlichen Mandatsträger in Echtzeit auf dem heimischen PC oder dem Smartphone verfolgen können. Allerdings mit Einschränkungen, monierte Stadtratsmitglied Wolfgang Gruber vor kurzem.

 

So ist es nach Ansicht des Mandatsträgers der örtlichen Liste "Die Unabhängigen" nicht nachvollziehbar, dass Teile des Stadtrats oder sogar manche Referenten der Verwaltung nicht im Bild gezeigt werden dürfen. Noch schlimmer sei, dass das dem Zuschauer nicht erklärt werde. Das Streaming wird in solch einem Fall ohne Vorankündigung unterbrochen und läuft später an anderer Stelle weiter.

Die Fraktion der "Unabhängigen kritisiert zudem, dass Bürger via Internet nicht miterleben können, wie der Stadtrat insgesamt und die einzelnen Fraktionen tatsächlich abstimmen. Auf diese Weise werde ein Livestream zur Farce und kehre die beabsichtigte Transparenz und Teilhabe übers Netz ins Gegenteil um.

Rednitzhembach war der Vorreiter

Die Einbindung der Menschen war auch die Intention von Bürgermeister Jürgen Spahl, als er 2006 erstmals eine Sitzung des Gemeinderates von Rednitzhembach als Livestream ins Netz stellen ließ. Die 7000-Einwohner-Gemeinde im Kreis Roth war damit die erste Kommune im Freistaat, die diese Möglichkeit nutzte. Der bayerische Datenschutzbeauftragte erließ eigens eine "Lex Rednitzhembach" für das Pilotprojekt.

"Der Gemeinderat und seine Arbeit sollten ein Thema werden", erklärt der parteilose Spahl, der sich in seiner mittlerweile 23 Jahre währenden Amtszeit als Rathauschef von Rednitzhembach einen Ruf als Querdenker erworben hat. Seine Vision von größtmöglicher Transparenz dank moderner Technik wurde damals allerdings schnell von der Realität eingeholt.

Klickten bei den ersten Sitzungen noch 500 User den Livestream-Link auf der Gemeinde-Homepage an, reduzierte sich die Zahl im Laufe der Zeit auf weniger als 100. Erst wurden nur noch wichtige Sitzungen übertragen, in denen es etwa um den kommunalen Haushalt ging; nach drei Jahren dann gar keine mehr, weil der Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ergebnis stand.

Keine billige Angelegenheit

Wenn ein Livestream einigermaßen professionell gemacht wird, ist er keine billige Angelegenheit. In Bayreuth zum Beispiel fallen pro übertragener Stadtratssitzung 2356 Euro inklusive Mehrwertsteuer an, im Schnitt wird dieses Online-Angebot der Wagner-Stadt etwa 650-mal bei maximal 75 gleichzeitigen Zuschauern aufgerufen.

Nicht nur wegen der Kosten scheuen Kommunen den Schritt ins Netz, sie fürchten auch juristische Schwierigkeiten, weil ein Livestream grundsätzliche Rechtsfragen berührt. Größter Knackpunkt ist die Einverständniserklärung, die nicht nur Mandatsträger, sondern alle Personen unterzeichnen müssen, die während einer Sitzung zu Wort kommen. Und weil auch Persönlichkeitsrechte von Zuhörern berührt werden könnten, müssten die fraglichen Sitzplätze von der Übertragung ausgenommen werden.

Kommunale Datenschutzbeauftragte fürchten auch, dass manche Äußerungen, die nicht für alle Zuhörer bestimmt sind, versehentlich im Livestream übertragen werden. Eine Lösung könnte ein Rednerpult mit gesondertem Mikro sein, an das jede Person tritt, die Worte ans Gremium richten will. Doch das ist gerade in kleineren Gemeinden angesichts der beschränkten räumlichen Möglichkeiten nur schwer zu realisieren.

Forum für extreme Positionen?

In München wiederum ist der Livestream seit sechs Jahren geübte Praxis. Dort kann man sämtliche Debatten zusätzlich als Aufzeichnung streamen. Bis zu 1000 Bürger verfolgen die Liveübertragung, bis zu 500 Internet-Nutzer sehen sich die Sitzungen zu einem späteren Zeitpunkt an.

Auch in Nürnberg gibt es Vorstöße in diese Richtung, doch bisher schreckten die Stadtspitze und die Mehrheit der Stadtratsmitglieder vor diesem Schritt zurück. Nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen, sondern weil man auch den Stadträten der Bürgerinitiative Ausländerstopp kein zusätzliches Forum für ihre rechtsextremen Positionen bieten will. Die FDP und die Grünen im Stadtrat plädieren trotzdem für Transparenz und glauben, dass die meisten Menschen sehr wohl zwischen plumper Polemik und ernsthafter Sachpolitik unterscheiden könnten.

In Fürth kämpft auch Kamram Salimi seit mehreren Jahren für einen Livestream aus dem Ratssaal: "Das ist gelebte Demokratie", sagt der OB-Kandidat der Fürther Grünen und hält die datenschutzrechtlichen Probleme für lösbar. Das öffentliche Interesse ist seiner Ansicht nach höher zu bewerten als die möglichen Hemmungen des einen oder anderen Stadtratsmitgliedes frei zu sprechen, wenn eine Kamera läuft.

Nach den Erfahrungen von Jürgen Spahl wird der Ton sogar sachlicher, wenn die Debatten im Internet übertragen werden. "Es gab weniger Schaufensterreden, denn die hatten viele Bürger schnell durchschaut", erinnert sich der Rednitzhembacher Bürgermeister an die Zeiten, als seine Gemeinde bayernweiter Vorreiter in Sachen Livestream war.

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