Polizei unter Beobachtung: Wie viel Gewalt üben Beamte aus?

19.8.2020, 06:00 Uhr
 Immer wieder Sorgen Aufnahmen von Polizeieinsätzen - im Bild eine friedliche Kontrolle – für Aufsehen und viel Kritik. Vor allem seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd ist um Polizeigewalt eine weltweite Debatte entflammt. Vielen stellt sich nun die Frage: Was dürfen Polizisten - und was nicht?

 Immer wieder Sorgen Aufnahmen von Polizeieinsätzen - im Bild eine friedliche Kontrolle – für Aufsehen und viel Kritik. Vor allem seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd ist um Polizeigewalt eine weltweite Debatte entflammt. Vielen stellt sich nun die Frage: Was dürfen Polizisten - und was nicht?

In die Schlagzeilen geriet jüngst auch das 15-sekündige Video eines Einsatzes in Düsseldorf, in dem ein Polizist einen 15-Jährigen mit dem Knie am Hals zu Boden drückt. Das Innenministerium und die Polizei kündigten Untersuchungen an. Selbst in Nürnberg sorgte ein USK-Einsatz Anfang August bei Zeugen für Entsetzen: Sie sprechen von einem "unverhältnismäßigem Gewaltauftritt" der Einsatzkräfte gegen eine Gruppe Jugendlicher.


"Schmerzensschreie": Entsetzen nach Polizeieinsatz am Wöhrder See


Es müsse nicht unbedingt eine vorsätzliche Straftat vorliegen, nur weil der Polizist "sein Knie nicht mehr richtig unter Kontrolle hatte". Jürgen Köhnlein, der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Bayern, will sich noch kein Urteil über die kurze Video-Sequenz erlauben. Er fragt: Was ist davor, was danach passiert? Das müsse nun erst einmal ermittelt werden. Vielleicht sei der Polizist aus Versehen abgerutscht. Oder die Maßnahme war – so brutal sie auch aussieht – legitim.

Teils durchaus erlaubt

Denn körperliche Gewalt in Form von "unmittelbarem Zwang" ist laut Polizeigesetz erlaubt. Wenn ein Beschuldigter etwa beiße und spucke, dann dürften Polizisten dessen Kopf mit dem Knie auf dem Boden fixieren, erklärt Köhnlein. "Das sind zwar unschöne Bilder, doch dazu sind wir verpflichtet." Sie müssten schließlich die Personalien feststellen. "Das ist für beide Seiten nicht angenehm." Natürlich müsse dabei die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Ein Knie am Hals sei nicht erlaubt.

Wird einem Polizisten Fehlverhalten vorgeworfen, schaltet sich das Landeskriminalamt ein, dessen Dezernat 13 die internen Ermittlungen übernimmt. Die Dienststelle mit zwei Standorten in Bayern ist für Ermittlungen gegen Beschäftigte der Polizei wegen im Dienst begangener Straftaten zuständig. Die Ermittler sichten dann Videos oder vernehmen Zeugen. Sie überprüfen das Verhalten des Betroffenen. Oft so umfangreich, dass "wir als Gewerkschaft einschreiten müssen".

Im Dezernat 13 wurden im vergangenen Jahr in 326 Fällen Ermittlungen gegen Polizeibeschäftigte wegen Körperverletzungsdelikten geführt, erklärt ein Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage. In 17 davon sei ein rechtswidriges Verhalten festgestellt worden. Dem gegenüber stehen 28 im Jahr 2018 und 43 Fälle im Jahr zuvor (2017).

Gefühlte Zunahme

Zur weiteren Prüfung landet ein solcher Fall auch bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. 2018 waren es 38 Verfahren, 2019 immerhin 53. Gefühlt nehmen die Anzeigen zu, erklärt Sprecherin Antje Gabriels-Gorsolke. Die Verfahren seien meist eingestellt worden, weil es keine Anhaltspunkte für eine Straftat gegeben habe oder ein Tatnachweis nicht zu führen war.

In einem Fall richtete sich die Polizeigewalt tatsächlich gegen einen unbescholtenen Bürger, der wegen Schreien im Nachbarhaus die Polizei gerufen hatte. Ein Beamter schlug dem 28-Jährigen ohne Grund mit der Faust ins Gesicht. Er wurde im Februar 2019 vor Gericht wegen Körperverletzung im Amt zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, zur Bewährung ausgesetzt. Als Bewährungsauflage musste der Polizist 4000 Euro an das Opfer zahlen. "Parallel zum strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kommen arbeitsrechtliche, dienstaufsichtliche bzw. disziplinarrechtliche Verfahren in Betracht", heißt es aus dem Innenministerium. Im laufenden Jahr gebe es bisher 30 Verfahren, von denen sieben offen sind, so Gabriels-Gorsolke.

Ergeben die Ermittlungen nun, dass sich der Polizist nichts hat zu schulden kommen lassen, bleibe oft der Imageschaden. Ein "Reinwaschen" finde laut Köhnlein weder bei Presse noch Arbeitgeber statt.

Die Polizei steht unter Beobachtung, insbesondere seit der Rassismus-Debatte. Es müsse ohne Rücksicht ermittelt werden, meint der Gewerkschafts-Chef. So stehe nun bei Kontrollen die Frage im Raum, warum wer kontrolliert wurde. "Das schränkt die Polizei in ihrer Einsatzkraft ein." Köhnlein weiß von zunehmend mehr Kollegen, die nur ungern zu bestimmten Einsätzen fahren – weil sie Angst haben, hinterher als Rassist bezichtigt zu werden.

Könnte die Verpflichtung von Body-Cams eine Lösung sein? Polizisten tragen die Kameras freiwillig und drücken bei brenzligen Situationen auf den Aufnahme-Knopf, erzählt Köhnlein. 1400 Exemplare für 1,8 Millionen Euro gibt es im Freistaat. Doch: "Es ist nicht überall das Verständnis da, dass diese ein gutes Hilfsmittel sind." Die Sprecherin des Polizeipräsidiums Mittelfranken, Elke Schönwald, sagt dagegen: "Body-Cams werden von unseren Polizeibeamten rege genutzt." Nicht nur die Aufnahmen der Cams, sondern auch Handyvideos von Passanten könnten zur Wahrheitsfindung dienen und als Beweismittel in die polizeiliche Sachbearbeitung einfließen.

Eine Verpflichtung zur Body-Cam jedoch ist Köhnlein zufolge aus Datenschutzgründen problematisch. Außerdem sei eine gänzlich videoüberwachte Polizei nicht gewollt.

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