Radikal oder enttäuscht? Bayerns Bauern suchen ihre Zukunft

30.3.2020, 13:01 Uhr
Im Januar fuhren hunderte Bauern mit ihren Traktoren sternförmig nach Nürnberg. Dort fand am Volksfestplatz eine Protestveranstaltung statt.

© Yevheniia Frömter Im Januar fuhren hunderte Bauern mit ihren Traktoren sternförmig nach Nürnberg. Dort fand am Volksfestplatz eine Protestveranstaltung statt.

Spätestens seit der Corona-Krise weiß es auch jeder Stadtbewohner: Bauern sind als Hersteller von Lebensmitteln rund um den Erdball systemrelevant. Eine Selbstverständlichkeit - auch wenn sie von vielen im an volle Einkaufsregale gewohnten Deutschland zwischenzeitlich vergessen zu werden scheint. Spätestens seit die Corona-Krise überall grassiert und die Menschen wieder im Alltag spüren, wie wichtig die Essensversorgung ist, hat sich das geändert. Soweit, dass sich derzeit Studenten und Städter freiwillig melden, um als Erntehelfer zu arbeiten – etwa beim Spargelstechen.


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Ob damit auf Dauer auch die Entfremdung zwischen landwirtschaftlicher Praxis und städtischer Erwartungshaltung zumindest schrittweise abgebaut werden kann, bleibt abzuwarten. Die Unzufriedenheit der Landwirte auch in Bayern ist damit nicht beendet. Denn der Stachel, der viele Bauern auf die Straßen treibt, sitzt tiefer, viel tiefer. Der vergangene Freitag brachte eine Zäsur im Bauernprotest: Obwohl Bayern im Bundesrat dagegen stimmte, votierten die Länder mehrheitlich für die strengeren Düngeregeln zum Grundwasserschutz, zwar nach langen Debatten und erst mit einer verzögerten Umsetzung ab 2021. Doch die von den Bauern geforderte Aussetzung ist vom Tisch.

Was heißt das für die vielfach diskutierte Radikalisierung der Bauernschaft? Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und ihre bayerische Kollegin Michaela Kaniber (CSU) hatten vor einer Radikalisierung der protestierenden Bauern gewarnt, hinter denen oft die Bewegung „Land schafft Verbindung“ (LSV) steht. Kaniber sagte, viele der sich radikalisierenden Bauern würden Parolen skandieren, die „eindeutig die Handschrift der AfD tragen“. Dabei hat sich die Bauernschaft bisher nicht als spezielles Klientel der AfD hervorgetan. Bei der Landtagswahl 2018 machten laut Forschungsgruppe Wahlen sieben Prozent der Landwirte ihr Kreuz bei der AfD gemacht, insgesamt kam die AfD auf 10,2 Prozent.


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„Wir agieren partei- und verbandsneutral“

„Die beiden Politikerinnen übersehen wohl gerne die eigenen Fehler und Versäumnisse. Um von diesen abzulenken, werden Bauern denunziert und in der Gesellschaft schlechtgemacht“, konterte LSV Bayern die Vorwürfe der Ministerinnen. Die AfD werde bei Veranstaltungen von LSV des Platzes verwiesen. „Wir agieren partei- und verbandsneutral.“ An die 40.000 Landwirte erreicht LSV nach eigenen Angaben in Chat-Gruppen, Tausende sind bei Facebook vernetzt. Aber gilt das auch noch für die Zeit nach der Annahme der neuen Düngeverordnung? Zumindest in den frei zugänglichen Internet-Foren des LSV überwiegt in den Tagen danach Ernüchterung, mal emotional, mal sachlich, aber radikale Aussagen sucht man vergebens. Nur selten sind drastische Aussagen zu finden wie „Jetzt hab mer die kacke. Dieses scheiß Land stilllegen“.

Auch Aufrufe zum Produktionsstopp, wie es kürzlich im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ zu lesen war, gibt es keine. Einzig EU-kritisches ist häufiger zu lesen, aber das allein wäre kein Indiz für eine Nähe zur EU-kritischen AfD. Die Bauern hätten in den vergangenen Monaten deutlich gemacht, dass sich auf ihren Höfen ein riesiger Berg an Problemen aufgetürmt habe. „Doch statt Lösungen werden vonseiten der Politik immer neue Vorschriften und widersinnige Regelungen auf den Weg gebracht“, sagte der Präsident des Bayerischen und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Walter Heidl.

Protest und Kritik alleine reichten aber nicht, um Lösungen zu erreichen. „Wir müssen den Dialog suchen, Gespräche führen, Verständnis wecken, fachliche Infos an die Politik herantragen und deutlich machen, wo die praktischen Probleme liegen.“ Spannend dürfte in den kommenden Wochen sein, wie sich LSV nach der politischen Entscheidung zur Düngeverordnung orientieren wird. Klar dürfte in jedem Fall sein, dass sich die Initiative nicht einfach in Luft auflösen wird, selbst wenn die Bauern im Frühling natürlich weniger Zeit für Proteste haben dürften, weil viel Arbeit auf den Feldern und in den Ställen wartet.

Bewegung will sich besser organisieren

In Bayern will sich die Bewegung in jedem Fall noch besser organisieren. Wie in anderen Bundesländern - etwa Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein – plant LSV eine offizielle Vereinsgründung. Der Verein sehe sich als Vermittler, sagt Sprecher Andreas Bertele. Es solle keine Konkurrenz zu anderen Verbänden geben. „LSV sieht sich eher als Mediator zwischen den existierenden Verbänden und ist ein Sprachrohr der Basis der Landwirte, die wieder mit ihrer Fachlichkeit Gehör in der Politik und der Gesellschaft finden wollen.“ Auch der Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Bayern, Josef Schmid, findet den Ärger der Bauern verständlich. „Die Befürchtung der politisch Verantwortlichen, die Bauern könnten sich radikalisieren, kommt offensichtlich aus der späten Erkenntnis, dass sie mit ihrer Agrarpolitik seit Jahrzehnten die Bauern systematisch dem Weltmarkt geopfert haben.“ Es überrasche ihn auch nicht, wenn die AfD versuche, Kapital aus der schlechten Stimmung der Landwirte zu schlagen. Schmid fürchtet dennoch keine Radikalisierung: „Die Bauern sind im Prinzip brav, oft zu brav.“

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