Rammstein-Sänger Lindemann und seine Gedichte

2.4.2020, 16:31 Uhr
Till Lindemann wie er auf der Bühne leibt und lebt. Jetzt hat er 100 Gedichte veröffentlicht.

© Axel Heimken Till Lindemann wie er auf der Bühne leibt und lebt. Jetzt hat er 100 Gedichte veröffentlicht.

Die wohl erfolgreichste ostdeutsche Filmemacherin, Annekatrin Hendel, hat den Rocker Till Lindemann und seine Band Rammstein auf Welttournee begleitet. „Till ist ein absoluter Weltstar“, sagt sie. Im Ausland gelten er und seine Leute als national-deutsches Kulturgut. Wo Rammstein auftritt, wird geklotzt. 120 Lastwagen bringen die barocke Bühnenausstattung von Stadt zu Stadt. Jede Show ist ein Spektakel. Brachial sind die Sounds, die Bühnenshow mit Feuer und Licht ist überwältigend.

Lindemann, ein eigenwilliger Rockstar mit Marotten, der seine Jugend in der DDR verbrachte, ist früh mit Kultur zusammengekommen. Vater Werner Lindemann war in der DDR ein bekannter Kinderbuchautor. Der Sohn wurde 1963 in Leipzig geboren, wuchs auf in Mecklenburg-Vorpommern, als Leistungsschwimmer hätte er es 1980 fast zu den Olympischen Spielen in Moskau geschafft. Seine Sportkarriere wurde beendet, nachdem er sich „klassenfeindlich“ geäußert hatte. Er hatte immer schon eine freche Klappe.

Keine Hochdichtung, aber ruhig

Seine Lyrik trumpft nicht auf, sie ist ruhiger. Zwischen den Konzerten zieht Lindemann sich in sein Bauernhaus in einer mecklenburgischen Idylle mit Seen, Wäldern und Moor zurück. Er angelt, jagt, arbeitet mit Holz und schläft oft unter freiem Himmel. Der Naturbezogene schreibt über Bäume, Tiere, Einsamkeit, Liebe, das Böse, Schönheit, Sex und Tod. Seine Mutter Gitta Lindemann, einst Kulturjournalistin, hat über ihren Sohn gesagt: „Über sich redet er nicht, über seine Sehnsüchte, seinen Schmerz. Das schreit er heraus in seinen Gedichten.“

Angeblich hat Lindemann bereits Tausende Gedichte geschrieben, schon als Kind und jetzt immer noch, wo er auf die Sechzig zugeht. Zwar kennt er sich aus in den klassischen Formen der Dichtung, bei Volkslied, Abzählreim und Ballade, hat sich aber der Ironie verschrieben und mag skurrile Überlegungen. „Frauen kann man sehr beglücken“, heißt es. „Gibst du etwas Haut zum Spielen / Ein paar Poren auszudrücken / Lässt Damen vor Vergnügen schielen.“

Nach dem Auftakt am 25. Mai in Klagenfurt sind für Deutschland bereits ausverkaufte Konzerte in Leipzig (29./30.5.), Stuttgart (2./3.6.), Düsseldorf (27./28.6.), Hamburg (1./2.7.) und – wie schon 2019 – wieder Berlin (4./5.7) vorgesehen. Bisher gibt es von Seiten der Band und des Tourveranstalters keine Angaben, ob die Tour wie geplant stattfinden kann und soll.

Hochdichtung ist das mitnichten, es sind Kurztexte aus Beobachtungen, kurz und pointiert. Der Autor weigert sich, sie zu erklären. Er gibt nur zu, dass manche Gedichte biografisch sind, andere nicht. Der Frontmann von Rammstein, Sänger und Texter, hat mal gesagt, „Lieder schreiben ist ein Albtraum“. In seinen Gedichten versucht er das Schlichte zu beschreiben, das Alltägliche, auch Abgründige. Er benutzt das Wort „ficken“ und hat nach den ersten beiden Lyrikbüchern preisgegeben: „Dichten macht Spaß, da ich das für mich tue.“ Es ist eine rohe Poesie, es geht um Realitäten des Lebens, schöne und weniger schöne. Da kommt auch eine Warze vor, ein Teller Spagetti Bolognese oder eine vermieft stinkende Bahnhofstoilette.

Lindemann ist für drastische Aussagen bekannt, seine Zeilen kommen schnell – gerade erst gedacht und schon geschrieben. Sein Herausgeber Alexander Gorkow kommentiert, die Gedichte klängen „wie in kalten Nächten aus dem Eis gekratzt“. Lüstern schreibt er über Frauen, nachdenklich über Vater und Mutter, über Verletzlichkeit und immer wieder Einsamkeit. Es geht aber auch um gebrochene Männlichkeit, vermischt mit Selbstmitleid, um Ekel vor anderen und sich selbst, auch um Grausamkeit. Die brachialen Verse verraten Schwermut und Depression. Und immer Schmerz. In „Ach so gern“ heißt es: „Ich kannte viele schöne Damen auf dieser Welt. Mit Fug und Recht kann man da sagen: Ich war ein wahrer Frauenheld.“ Das ist Till Lindemann pur. Jüngst war er wieder auffällig. Mit Coronavirus-Verdacht landete er auf der Intensivstation. Dort wurde festgestellt, dass er nicht infiziert war. Der Virus, der ihn töten könne, den gebe es nicht, prahlte er zwei Tage später.

Till Lindemann: „100 Gedichte.“ Hgb. Alexander Gorkow, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 148 Seiten, 18 Euro

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