Millionenprojekt in Bayern startet

Realistisch oder Hirngespinst? Futuristische Filtertürme sollen Stadtluft reinigen

26.10.2021, 06:47 Uhr
Bis zu drei Filterwürfel können aufeinandergestapelt werden, um an dieser Stelle die Luft von Stickstoffdioxid, Feinstaub und Ozon zu reinigen. Am Stuttgarter Neckartor stehen 23 solcher Filtertürme, nun sollen auch in Bayern die ersten aufgestellt werden.

© Michael Fuchs Fotograf Bis zu drei Filterwürfel können aufeinandergestapelt werden, um an dieser Stelle die Luft von Stickstoffdioxid, Feinstaub und Ozon zu reinigen. Am Stuttgarter Neckartor stehen 23 solcher Filtertürme, nun sollen auch in Bayern die ersten aufgestellt werden.

Es klingt ein bisschen nach Science-Fiction, und soll doch möglich sein: Wo die Anwohner an vielbefahrenen Straßen bislang noch viele Schadstoffe einatmen müssen, könnten künftig große Filter die Luft reinigen und sauberer machen. Und das nicht erst in ferner Zukunft, sondern schon jetzt.

360 Zentimeter hohe Filtertürme

An der Landshuter Allee in München, der einzigen Luftmessstation des Landesamtes für Umwelt (LfU) in Bayern, an der der Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) noch überschritten wird, sollen schon Anfang November die ersten von insgesamt neun jeweils 360 Zentimeter hohen Filtertürmen aufgestellt werden.

Pro Stunde kann so eine Säule aus drei aufeinandergestapelten Filterwürfeln 16.625 Kubikmeter Luft filtern, insgesamt also fast 150.000 Kubikmeter. Laut der Herstellerfirma Mann+Hummel werden dabei mehr als 80 Prozent des NO2 und des Feinstaubs aus der angesaugten Luft gefiltert.

Und ein Effekt ist tatsächlich nachweisbar. Zwar nicht in München, wo das Projekt erst beginnt, wohl aber am extrem belasteten Stuttgarter Neckartor, wo insgesamt 23 Filtertürme aufgebaut wurden. Die Belastung mit Feinstaub sank dort um knapp sieben Prozent, die mit NO2 um neun Prozent, in Bereich des Gehwegs und nahe der Gebäude sogar um zehn bis 19 Prozent. Die Ozon-Konzentration konnte um mehr als elf Prozent gesenkt werden.

Brückentechnologie für NO2-Hotspots

"Die Filter Cubes eignen sich, um an Hotspots für eine Verbesserung der Luftqualität zu sorgen. Es handelt sich dabei um eine Brückentechnologie. Wir lösen damit nicht das Problem der Luftverschmutzung durch Industrie und Verkehr", meint Jan-Eric Raschke, Direktor für Luftfilter-Systeme beim Hersteller Mann+Hummel. Durch die Technologie könne man aber sehr schnell eine deutliche Verbesserung der lokalen Luftqualität erreichen.

Die speziellen Filter für Außenluft sind seit Ende 2018 auf dem Markt, mittlerweile gibt es weltweit über 140 Filtersäulen und rund 400 einzelne Filter Cubes. Neben einigen Standorten in Deutschland wurden Filter auch in Brasilien, China, Indien und Südkorea aufgestellt. "Pro Stunde reinigen unsere bereits aufgestellten Geräte 1,96 Milliarden Liter Luft. Das entspricht etwa dem Bedarf von 4,1 Millionen Menschen", verdeutlicht Raschke.

Und jetzt also auch in Bayern. Umsonst ist das alles natürlich nicht zu haben, weshalb das Bayerische Umweltministerium nun 2,3 Millionen Euro in die Luftfilter mitsamt jeder Menge angegliederter Forschungsprojekte steckt. Federführend bei der Zusammenarbeit von vier Hochschulen ist die Universität Bayreuth.

Uni Bayreuth übernimmt die Koordination

Die wissenschaftliche Koordination für das zwei Jahre andauernde Projekt hat dabei Anke Nölscher, Professorin für atmosphärische Chemie in Bayreuth, übernommen. "Es ist eine sehr breite Forschungsfrage. Zum einen wird natürlich der Verkehr analysiert, zum anderen auch die Performance des Filtermaterials unter realen Bedingungen getestet. Es wird aber auch genau gemessen, welche Luftströmungen, Verwirbelungen und Kanalisierungen es durch die Bebauung gibt und wie sich die Luftqualität durch unterschiedliche meteorologische Verhältnisse und natürlich den Filter-Einsatz verändert", erklärt sie.

Ihr eigenes Team kümmert sich dabei vor allem um die NO2-Messungen entlang des Feldversuchs. Dabei wird nicht nur über einen langen Zeitraum entlang der Straße und am Gehweg gemessen, sondern auch in den Seitenstraßen, um auch die dortigen Auswirkungen der Filter zu analysieren.

So soll analysiert werden, inwieweit die Filter unter realen Verhältnissen zur Luftverbesserung taugen und wo sie künftig sinnvoll eingesetzt werden können.

Filter kommen aus Oberfranken

Das NO2 wird in den Filtern durch Aktivkohlelagen adsorbiert, reichert sich also an der Oberfläche an. Auch weil der Bedarf an Luftfiltern in asiatischen Großstädten besonders groß ist, erfolgt die Endmontage der von Mann+Hummel inzwischen gestarteten Serienfertigung in China. Die daran verarbeiteten Filterelemente werden aber bei der Konzerntochter Helsatech in Gefrees im Landkreis Bayreuth produziert.

Zurück nach München: Zwischen engen Häuserschluchten wälzen sich dort in der Landshuter Allee schier unerschöpfliche Auto- und Lkw-Kolonnen dahin, bis zu 140.000 Fahrzeuge sind es pro Tag. An eine Einhaltung des NO2-Grenzwertes ist noch längst nicht zu denken.

Dabei hat man bereits sehr viel erreicht, unter anderem durch die Einführung einer Umweltzone innerhalb des Mittleren Rings und durch emissionsärmere Fahrzeuge. Im Jahr 2010 lag der Jahresmittelwert noch bei 99 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter, 2020 waren es nur noch 54 – allerdings immer noch deutlich mehr als der zulässige Grenzwert von 40.

Feinstaubfilter für U-Bahnstationen

Während Luftfilter im Straßenraum eher eine Brückentechnologie sind, könnten sie an schlecht durchlüfteten U-Bahnstationen dauerhafter zum Einsatz kommen. Dort ist eher der aus Brems- und Reifenabrieb der Züge entstehende Feinstaub ein Problem. Die Konzentration in der Luft ist bis zu zehnmal höher als im Straßenraum.

In Europa laufen schon einige Testprojekte, auch in Deutschland sollen bald die ersten folgen. Vielleicht also auch bald schon in Nürnberg und Fürth.