Tagebuch eines Georgensgmünders

Als Feldkoch im Katastrophengebiet: "Wir schaffen das! Wer sonst?"

6.8.2021, 11:04 Uhr
250 Liter Gulasch, Mittagessen für 3000 bis 4000 Helfer und vom Hochwasser Betroffene: Peter Naumann in der Feldküche in Bad Neuenahr-Ahrweiler.  

© privat, NN 250 Liter Gulasch, Mittagessen für 3000 bis 4000 Helfer und vom Hochwasser Betroffene: Peter Naumann in der Feldküche in Bad Neuenahr-Ahrweiler.  

Noch immer wird in den Hochwassergebieten in Westdeutschland Hilfe von außen dringend benötigt. Einem Kontingent aus Bayern gehörten dabei vergangene Woche Helfer des Rotkreuz-Kreisverbands Südfranken an – darunter auch der Georgensgmünder BRK-Feldkoch Peter Naumann. Seine persönlichen Eindrücke hat er in einem Tagebuch zusammengefasst, das eindrucksvoll die Situation vor Ort und die Arbeit der Helfer veranschaulicht. Wir geben es deshalb hier (nahezu) im Wortlaut wieder.

Dienstag, 27. Juli

Morgen geht’s los, für vier Tage.

Unterwegs im Katastrophengebiet: Peter Naumann am Steuer im BRK-Konvoi.  

Unterwegs im Katastrophengebiet: Peter Naumann am Steuer im BRK-Konvoi.   © privat, NN

Mittwoch, 28. Juli

6 Uhr: Nicht gut geschlafen, viel zu viele Gedanken. Sammeln, Fahren bis zum Treffpunkt bei Aschaffenburg.

13 Uhr: Im Konvoi Richtung Bad Neuenahr, mehrere Stopps, fünf Stunden für 200 Kilometer.

18 Uhr: Ankunft auf Parkplatz/ Einsatzstelle. Es wird noch fleißig gekocht von unseren Vorgängern. Rundgang durch Warenlager, Notschlafstelle (Hotel im Rohbau mit Fenstern, ohne Strom und Wasser). Eckdaten des Einsatzes erhalten. Vorgänger machen ihre Feldküchen sauber und bauen ihr Material ab.

22 Uhr: Aufbau unserer Feldküchen und Einteilung der Schichten (ab 4 Uhr Frühstück vorbereiten für 1500 sowie 500 Lunchpakete – ich nicht, Glück gehabt). Fahrt zur Schlafstelle (Schule in Neuwied) dauert eine Stunde, Dreifachturnhalle mit Feldbetten bestückt, Duschen und WCs okay. Nach 24 Uhr Versuch zu schlafen.

Fahrzeugschlange: In langen Reihen wand sich der Helfer-Konvoi in Richtung Katastrophengebiet.

Fahrzeugschlange: In langen Reihen wand sich der Helfer-Konvoi in Richtung Katastrophengebiet. © privat, NN

Donnerstag, 29. Juli

6 Uhr: Aufstehen nach einer schrecklichen Nacht mit vielen Gedanken über den nächsten Tag. Morgentoilette, schnelles Frühstück.

8.30 Uhr: Einkaufen, was fürs erste im „Schlaf“ geplante Gericht noch fehlt, Kontaktaufnahme mit dem Hauptlieferanten, Fahrt zur Einsatzstelle.

10 Uhr: Schweinebraten 4XL, acht ganze hintere Schinken vom Schwein grob zerteilen, anbraten in vier Feldküchen-Pfannen, Gemüse dazu angebraten, ablöschen, umfüllen in acht Pfannen und ab in die vier Feldküchen-Röhren. Gulasch, 250 Liter, 80 Kilogramm Fleisch anbraten, umfüllen in zwei Feldküchen-Töpfe mit je 125 Litern, würzen, abschmecken, fertig garen, umfüllen in 25-Liter-Thermobehälter zur Ausgabe. Schweinebraten aus den Röhren nehmen.

15 Uhr: In Zwangspause geschickt worden, 20 Minuten.

15.20 Uhr: Soßenpulver in 36 Liter Wasser einrühren und kochen. Blaukraut und Kartoffeln (Spenden vom Hersteller) auf Paletten in haushaltsüblichen Gläsern vorhanden. Blaukrautgläser öffnen – sind die fest zu! – und Deckel auskratzen. Das dauert. Die ersten stehen schon fürs Abendessen an und sehen uns erwartungsvoll zu. Kartoffeln öffnen, Wasser abschütten, in Siebbehälter zum Aufwärmen geben. Schweinebraten schneiden – ist das viel! Wieder in die Röhre, Soße vom Braten und Fertigsoße mischen, Abfüllen zur Ausgabe. Ich selbst habe keine Portion gegessen, ich hatte keine Zeit dafür, und nachts um 22 Uhr darf ich so etwas nicht mehr essen, wenn ich schlafen will.

18 Uhr: Ab jetzt kann ich nicht mehr im Detail beschreiben, was ich alles gearbeitet habe bis 22 Uhr.

23 Uhr: Fahrt zum Nachtlager.

24 Uhr: Bettruhe.

Zeitraubend: Ein ganz konkretes Problem waren das nur in PET-Flaschen verfügbare Wasser und die in Kleinstgebinden gespendeten Lebensmittel.

Zeitraubend: Ein ganz konkretes Problem waren das nur in PET-Flaschen verfügbare Wasser und die in Kleinstgebinden gespendeten Lebensmittel. © privat, NN

Freitag, 30. Juli

6 Uhr: Aufstehen (nach einer besseren Nacht, dank der Spalter Bierchen am Vorabend und einem besseren Feldbett), Toilette, schnelles Frühstück.

8.30 Uhr: Abfahrt.

9 Uhr: Kochen, Feldküche putzen, ..., Kochen, Feldküche putzen, ... habe nur noch funktioniert, nicht mehr selbst gesteuert gearbeitet.

15 Uhr: Bin mal eine halbe Stunde ins „richtige Schadensgebiet“ gelaufen. Bilder kannte ich schon aus den Fernsehen. Schrecklich, das mit eigenen Augen und der Nase zu erleben!

18 Uhr: Ablöse ist da. Zwei Kessel der Feldküchen sind noch randvoll, viele Thermobehälter auch, unsere rauslösen, umfüllen, reinigen, verladen, versuchen unser gesamtes Material zu finden. Die Nachfolger haben (noch) keinen Plan, was sie erwartet. Habe den Eindruck, dass sie das mit dem Material, das sie dabei haben, nicht schaffen werden. Feldküchen leeren, wie auch immer, grob reinigen abbauen, anhängen.

23Uhr: Fahrt zur Schlafstelle Es gibt Bier! Gespräche führen mit den Mitkämpfern. Reden werden gehalten, Lob wird weitergegeben. Schlafen.

Schweinebraten für Tausende: Die Feldküchen des BRK waren im Hochwassereinsatz gut ausgelastet.

Schweinebraten für Tausende: Die Feldküchen des BRK waren im Hochwassereinsatz gut ausgelastet. © privat, NN

Samstag, 31. Juli

6 Uhr: Toilette, schnelles Frühstück.

9 Uhr: Abfahrt, nicht mehr im Konvoi.

15 Uhr: Rückkunft in Gmünd. Bereitschaftsleitung und Psychosoziale Notfallversorgung erwarten uns mit einer Brotzeit und Lob.

Nachbereitung

So habe ich noch nie gekocht! Wenn ich auf der Feldküche bisher gekocht habe, dann mit Plan. Einkauf, Logistik usw. stehen vorher fest, Waren sind in Packungen vorhanden, die im Großen händelbar sind. Ich sage an, was jeder zu tun hat. So haben wir zum Beispiel an meinem 65. Geburtstag 60 Schäuferle mit Kloß, Soß und Blaukraut ohne Stress gekocht. Was waren die größten Hemmnisse in Bad Neuenahr:

Trinkwasser nur in 1,5-Liter-PET-Flaschen. 125 Liter in den Kessel mit 1,5-Liter-Flaschen zu füllen, ist Mist! Wasser aus vorhandenen Hydranten ist nur zur Vorreinigung geeignet, das bedeutet, alles mit Flaschenware nachspülen. Unsere 1000-Liter-Behälter waren erst am zweiten Tag nachmittags an unserer Trinkwasseranlage angeschlossen und wir konnten mit dem Schlauch arbeiten.

Lebensmittelspenden haben wir verarbeitet, was für uns möglich war, aber das kostet viel Manpower. Beispiel: Eine gespendete Palette erntefrischer Paprika, Zucchini und Karotten zu waschen (Wasser aus PET-Flaschen), kleinzuschneiden und zwischenzulagern, kostet viel Zeit. Das gleiche in Zehn-Kilo-Säcken schüttet eine Person in zehn Minuten in den Topf, das Ergebnis ist für den Esser nicht unterscheidbar. Andere gespendete Ware: 24000 rohe Eier, Reis in 500-Gramm-Kartons, Kartoffeln und Blaukraut im Glas, Sauerkraut im Folienpack, Hülsenfrüchte und noch viel mehr.

Anzahl der Esser: Wir wissen nicht, wie viel gebraucht wird. Jeder, der kommt, bekommt etwas. Die Einsatzkräfte sind zählbar, aber Bevölkerung und Freiwillige sind nicht abschätzbar. Es sollen etwa 3000 bis 4000 Mittagessen gewesen sein, jeden Tag.

Vegan: Ist das vegan, vegetarisch, ohne Schwein, laktosefrei? Welche möglichen Allergene sind da drin? Ohne Worte...

Das Fazit

Beim nächsten Anruf bin ich wieder oben. Wir schaffen das! Wer sonst?