Awo-Hort "Bärenhöhle": Hier wird Inklusion groß geschrieben

30.7.2019, 10:42 Uhr
Bei der Freizeit in Stockheim hatte Tristan (l.) sehr viel Spaß. Aufgrund einer spastischen Lähmung trägt er Orthesen.

© Foto: Petra Bittner Bei der Freizeit in Stockheim hatte Tristan (l.) sehr viel Spaß. Aufgrund einer spastischen Lähmung trägt er Orthesen.

Es gibt die UN-Behindertenrechtskonvention, deutsche Sozialgesetze, ein bayerisches Inklusionsgebot – und es gibt zwei "Bärenhöhlen" in der Kreisstadt Roth. Was sie alle miteinander verbindet, ist ein hehres Ziel: Menschen mit Beeinträchtigungen ganz selbstverständlich in die Gemeinschaft einzubeziehen.

"Weil das auch neue Chancen eröffnet", sagt Petra Weggenmann. Sie ist verantwortlich für den AwoHort "Bärenhöhle" an der Grundschule Nordring (mit 68 Schülern) sowie für dessen Ableger, die "Pandas" in Pfaffenhofen (23 Schüler).

Seit diesem Schuljahr darf sich die zweiteilige Einrichtung "Inklusiver Hort" nennen. Und dort tätige Erzieherinnen wie Michaela Greger haben festgestellt: "Wir sind echte Überzeugungstäter!"

Wegen Kindern wie Tristan zum Beispiel. Der Neunjährige und sein Zwillingsbruder gehören zu den Pfaffenhofener "Pandas". Das heißt: Nach Unterrichtsschluss erledigen sie im Hort (der zurzeit in einem Container auf dem Schulgelände an der Tillystraße untergebracht ist) ihre "Hausis" und spielen, basteln, quatschen hier miteinander.

Auf den ersten Blick ist Tristan nicht wie die anderen. Aufgrund einer spastischen Lähmung trägt er Orthesen. Das sind Schienen, die seine Beine stabilisieren. Er sei auf Gehhilfen angewiesen, manchmal nutze er auch den Rollstuhl, erzählt Gruppenleiterin Ilayda Sefünc. Deshalb die Rampe vor dem Eingang ...

Doch solche Einschränkungen wären fast schon Nebensache, legt Sefünc nach und deutet auf einen Stapel Gehefte. Es ist die "Hort-Zeitung", die Tristan als selbst ernannter "Chefredakteur" mit seinem Team wöchentlich konzipiert.

Nischen zu bieten, in denen sich das Kind nicht als begrenzt, sondern als begabt erfahre – "das ist uns wichtig", erklärt Michaela Greger mit Bestimmtheit. "Und ganz ehrlich? Manchmal vergessen wir fast, dass Tristan mehr Hilfe braucht als die anderen." Weil er zum integralen Bestandteil der Gemeinschaft geworden sei. Aber gerade damit werde man dem Inklusionsgedanken wohl am besten gerecht.

Versteht sich von selbst

Inklusion. Für Hort-Gesamtleiterin Petra Weggenmann versteht sich die "eigentlich von selbst". Denn wenn man davon ausgehe, "dass wir Menschen alle verschieden sind und jeder so angenommen oder gefördert werden sollte, wie´s für ihn passt", dann wäre das "doch nichts anderes als inklusives Denken."

Doch erst seit dem Schuljahr 2018/19 firmieren die "Bärenhöhle" und ihre "Pandas" offiziell als Inklusionshort – aus drei Gründen: Tristan, Daniel und Jan (die zwei hinteren Namen wurden von der Redaktion geändert). Laut ärztlichem Gutachten sind bei Letztgenannten sozial-emotionale Entwicklungsstörungen festzustellen.

Das Bayerische Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz besagt: "Mindestens drei behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder" müssten einen Hort besuchen, damit der sich das Inklusionsetikett anheften und Unterstützung erfahren dürfe. Ergo werden jetzt auch die drei Rother Schützlinge zu 80 Prozent seitens Kommune und Bezirk gefördert. Außerdem habe das Team eine pädagogische Zusatzkraft mit 23 Stunden Verstärkung erhalten, erläutert Petra Weggenmann.

Bereicherung statt Belastung

Und trotz allen Mehraufwands, den die drei mit sich bringen, lautet Weggenmanns Credo: Diese Kinder seien weniger Belastung als vielmehr Bereicherung. Freilich koste der Alltag mit ihnen Energie, aber er werde auch "interessanter, lockerer, individueller", habe das Erzieherteam erfahren dürfen.

Gerade während der Pfingstferien, als sich ein Teil der Bären und Pandas auf den Weg nach Stockheim gemacht hatte, um dort vier Tage im Ferienlager miteinander zu verbringen – Tristan, Daniel und Jan inklusive. Zwei verhaltensauffällige Jungs und einer mit Gehbehinderung, "war schon spannend", meint Petra Weggenmann.

"Ja, man fühlte sich oft erledigt, aber auch beschenkt", erinnert sich Michaela Greger, die an ein gemeinsames Abendgebet mit Jan zurückdenkt, "bei dem er alle Monster aufgezählt hat, vor denen Gott ihn beschützen sollte – erst dann durfte ich das Zimmer verlassen ..."

Oder der Tag, an dem Tristan den Barfußpfad unbedingt mitlaufen wollte – trotz Handicap. "So was prägt", findet Greger. Und zwar im positiven Sinn.

Kreativ umdenken ist wichtig

Auch wenn die Hort-Räumlichkeiten beengt seien, "dieser Inklusionsstatus öffnet das Regelsystem. Man muss in vielen Situationen kreativ umdenken, flexibel sein", hat Petra Weggenmann gemerkt. "Das ist gut, weil wir dauernd auch an uns selber zu arbeiten haben."

Eine inklusive Zusatzausbildung besitzt das "Bären"-Team nicht, aber ein Backup aus Eltern, Lehrern, Sozial- sowie Heilpädagogen. "Wir brauchen diese Kommunikationsebene, um uns zu vergewissern, ob wir auf einem guten Weg sind", so Weggenmann.

Scheint jedoch zu passen. Im Falle Tristans hätte seine Heilpädagogin den Erzieherinnen jüngst ein spitzen Zeugnis ausgestellt. Aber auch alle anderen Kids würden von "ihrem" Tristan profitieren: Sie tragen freiwillig seine Büchertasche, binden ihm die Schuhe, schieben den Rolli und bremsen ihn ein, wenn er mal wieder zum "Quasselmonster" mutiert – "halt ganz, ganz normal ...".

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