Bordseelsorge im Buchformat

Beichtvater in Badehosen: Rother Ex-Pfarrer auf hoher See

27.7.2021, 06:04 Uhr
„Segen voraus“, so heißt das Buch von Pfarrer Dr. Christian Löhr, das er nach seiner Zeit als Bordseelsorger auf Kreuzfahrtschiffen geschrieben hat.

© imago images/Susanne Hübner, NN „Segen voraus“, so heißt das Buch von Pfarrer Dr. Christian Löhr, das er nach seiner Zeit als Bordseelsorger auf Kreuzfahrtschiffen geschrieben hat.

Er hat ein Buch über seine Reisen auf dem Meer geschrieben, aber ein Reisebericht sei´s nicht. Stimmt: Schwelgerische Schilderungen von friedlichen Fischerdörflein oder heimeligen Hafenstädtchen sucht man vergebens. Denn Dr. Christian Löhr, ehemals Pfarrer in Roth und aktuell Generalrektor des Instituts der Schönstatt-Diözesanpriester am Berg Moriah, will Tiefgang: Unterm Titel „Segen voraus“ schildert er zwar kurzweilig seine Zeit(en) als Bordseelsorger und die vielen Begegnungen, die er dabei hatte. Gleichzeitig würden ihm diese „menschlichen Erfahrungen“ aber dazu dienen, die „göttlichen Erfahrungen“ in ihnen freizulegen – indem er zum Grund der Begebenheiten vordringe „wie bei einer Tiefenbohrung“. Welche Chancen da eine Beichte in Badehosen für das Mutterschiff Kirche anschwemmen könnte? Christian Löhr erklärt´s im Buch, im Interview und am 22. September auch bei einer Lesung in der Kreisstadt.

Herr Löhr, Sie haben Roth als Pfarrer verlassen, um auf dem Berg Moriah heimisch zu werden und dort oben dem Himmel ein Stückchen näher zu rücken. Jetzt lesen wir über Ihre Erlebnisse als Bordseelsorger auf einem Kreuzfahrtschiff. Von der Höhenluft zu weiten Wassern ... – haben Sie mal eben die Elemente verwechselt?
Keineswegs! Schon 2002, als ich Kaplan in Roth war, bekam ich von einem Mitbruder den Tipp: Es gibt bestimmte Reedereien, die sich den Luxus leisten, jede Reise regelmäßig von einem Priester begleiten zu lassen – katholisch und evangelisch im Wechsel. Um die 50 sind´s derzeit in Deutschland. Eine tolle Aufgabe wie ich seinerzeit fand – und immer noch finde! Also habe ich mich nach Rücksprache mit meinem damaligen Chef, Pfarrer Alfred Rottler, bei der Bischofskonferenz um so ein Amt auf Zeit beworben.

Sie waren schon öfter unterwegs?
Ja, fünfmal – immer etwa zwei Wochen lang.

Wohin ging denn jeweils die Reise?
Die Premiere führte mich noch während meiner Kaplanszeit auf der Nordpolarroute nach Spitzbergen. Das war wirklich sehr eindrücklich. Auch deshalb, weil ich bereits bei diesem ersten Mal mit einem jungen Mann aus den neuen Bundesländern in Kontakt kam, der sich danach von mir taufen ließ. Unterwegs war ich aber auch in der Südsee, von wo mir eine Bordtrauung in schöner Erinnerung geblieben ist, und im Mittelmeer.

Wenn dieses Interview erscheint, werden Sie in Rom weilen, wie Sie erwähnten. Sie sprechen neben fließendem Italienisch auch französisch, englisch und spanisch. Außerdem waren Sie mal Mitglied des Europäischen Priesterrats und sind als Begleiter bei Pilgerreisen recht gefragt. Scheint, als hätten Sie das Fernweh im Blut...

Während der jüngsten Reise vollzog Dr. Christian Löhr auch erstmals auch eine Trauung auf hoher See.

Während der jüngsten Reise vollzog Dr. Christian Löhr auch erstmals auch eine Trauung auf hoher See. © privat, NN

Tja, woher kommt das? In diesem Punkt bin ich mir über mich selbst nicht so ganz im Klaren. Eine biografische Antwort könnte sein, dass ich hinter dem Eisernen Vorhang in Thüringen geboren und aufgewachsen bin. Dort ging´s über Moskau nicht groß hinaus. Vielleicht ist damals diese tiefe Sehnsucht nach Freiheit in mir gewachsen.

Nun ist es ja offenbar so, dass man als Geistlicher auf einem Schiff per se nicht den Status genießt wie in einer Gemeinde. Sie wurden kurzerhand am Entertainertisch platziert – zwischen Musikern, Schauspielern, Tänzern. Wie war das für Sie, als „Unterhalter“ gehandelt zu werden?
Spannend! Man hat in der Tat keinen Status, gehört nicht mal zur Crew. Der Bordpfarrer muss interessante Angebote setzen - ganz ähnlich wie der Fitnesstrainer - und sich so seinen Platz bei den Leuten schaffen.

Der Grundgedanke der Seelsorge bleibt sicherlich der gleiche - ob zu Wasser oder zu Land. Ich zitiere aus einer soziologischen Abhandlung: Es geht darum, „dass Gott in den Menschen wirkt und der Seelsorger dem einzelnen hilft, dieses Wirken zu verstehen“. Wie funktioniert das zwischen Pool und Partyarea?
Klappt besser, als man denkt! Die Passagiere haben Zeit, sind entspannt und vor allem: auf sich selber geworfen. Man ist im Urlaub nicht so abgelenkt vom täglichen Allerlei und nimmt sich neu wahr. Unter den Mitreisenden sind immer auch welche, die vor etwas weglaufen. Gerade diesen Menschen tut es gut, wenn sie auf jemanden treffen, bei dem sie ihre Sorgen und Nöte abstellen können. Meistens braucht man bloß zuzuhören und gar nicht viel sagen... Insgesamt gesehen, ist so ein Schiff ja ein Mikrokosmos - die Welt im Kleinen. Unter den 1000 Leuten, mit denen man zwei Wochen lang unterwegs ist, gibt es angenehme Zeitgenossen und weniger angenehme. Doch alle müssen miteinander auskommen. Das ist auch ein Grund, weshalb die Reedereien auf Bordgeistliche setzen. Die haben quasi immer Sprechstunde.

Schildern Sie doch mal ein paar Impressionen aus dem Alltag eines Bordpfarrers!
Zuerst sind die Sportanimations-Kollegen auf dem Lido-Deck gefragt. Gegen 9 Uhr findet dann ein Gottesdienst statt, sofern kein Tagesausflug auf dem Programm steht. Das Knifflige dabei: Von dem Angebot sollten sich möglichst alle angesprochen fühlen. Also habe ich mir ein demgemäßes Thema zu überlegen, etwas wie „Die Göttlichkeit des Sonnenaufgangs“. Den hat schließlich die Mehrzahl an Bord schon live erlebt. Dann versuche ich, dem Ganzen via Emotion und Erfahrung eine Tiefendimension zu verleihen. Dazu gehören für mich: Musik - meist bitte ich einen der Künstler um Unterstützung -, eine kleine Bibellesung, ein literarischer Text und eine kurze Ansprache. Daraus webt sich für mich ein guter Gottesdienst. Der darf tunlichst nicht zu lange dauern! Gut ist, wenn die Leute am Ende sagen: „Schön war´s!“ und mein Angebot weiterempfehlen...

Das ist die Verpackung. Aber es geht Ihnen ja um Tieferes. Diese wochenlange Konfrontation mit der schieren Unendlichkeit des Meeres zum Beispiel, was stellt die mit dem Menschsein an?
Man muss sich mal die Dimensionen der Schiffe vor Augen führen – das sind gigantische Kästen! Doch bei einem Seegang der Stärke 7 oder 8 werden sie zu kleinen Schalen, die in der Weite des Ozeans schaukeln. Das muss man aushalten. Sowohl physisch, als auch seelisch. Aber diese Erfahrung, einem größeren Zusammenhang ausgesetzt zu sein, macht hier jeder. Meist bleibt das auf einer nicht reflektierten Ebene stehen. Manche verarbeiten´s allerdings in einer Art „Gesprächskrise“. Das heißt, sie knallen mir ihre Gedanken regelrecht vor den Latz.

Was hat Sie denn während Ihrer Reisen am meisten berührt?
Da gibt es so einiges. Ich weiß beispielsweise noch gut, wie wir eines Sonntags an einem Atoll zum Schwimmen waren und sich plötzlich ein Beichtgespräch mit einer Frau entwickelte – während des Schwimmens, wohlgemerkt! Ich habe dann an Land die Lossprechung vollzogen.

Mit dem Kreuzfahrtschiff „MS Albatros“ der Reederei „Phoenix Reisen“ ging es für Christian Löhr, den derzeitigen Generalrektor des Schönstatt-Instituts Diözesanpriester und ehemaligen Rother Pfarrer, im Jahr 2019 in die Südsee. Doch dort, wo Menschen in der Regel ausspannen, rückte Löhr zur Arbeit an - als Bordgeistlicher.

Mit dem Kreuzfahrtschiff „MS Albatros“ der Reederei „Phoenix Reisen“ ging es für Christian Löhr, den derzeitigen Generalrektor des Schönstatt-Instituts Diözesanpriester und ehemaligen Rother Pfarrer, im Jahr 2019 in die Südsee. Doch dort, wo Menschen in der Regel ausspannen, rückte Löhr zur Arbeit an - als Bordgeistlicher. © Phoenix Reisen

Man muss als Bordgeistlicher wohl flexibel sein...
Ja, durchaus. Aber es ist auch unglaublich schön, wenn man spürt, wie Gott seine Hand im Spiel hat. Ich denke, dass gerade deswegen der Kontakt zu manchen Reisenden bis heute geblieben ist - weil dieses Erleben verbindet.

In der Kurzbeschreibung des Herder-Verlages heißt es: Das „Schifflein Petri“ könne durch Erfahrungen, wie Sie sie gemacht haben, Fahrt aufnehmen. Was bedeutet das? Mehr Pfarrer in Badehosen?
Was ich feststellen konnte: Mein eigenes Weltempfinden ist während der Zeit auf See viel weniger amtlich. Man wird als Geistlicher berührbarer, nahbarer und erfüllt damit die Sehnsucht nicht weniger Menschen: Denn die möchten im Priester eben keine Amtsperson, sondern eine einfühlsame Person erleben. Bordseelsorge ist somit ein gutes Beispiel dafür, wie Kirche die Leute ansprechen kann.
Und um im Bild zu bleiben: Die Kirche ist ein Schiff, das die Leinen stets losgemacht haben sollte, denn - so sagt man in der Schönstatt-Bewegung - „der liebe Gott tut nix als fügen“. Wenn das Schiff aber vertaut im Hafen liegen bleibt, kann es seiner Aufgabe nicht folgen...

Vorbehaltlich geltender Corona-Auflagen wird der Autor am 22. September zu einer Lesung bei Bücher Genniges in Roth erwartet (Beginn 19 Uhr). Anmeldungen und Informationen dazu unter: buecher@genniges-buecher.de

Löhr, Christian (2021). Segen voraus (1. Aufl.), Verlag Herder, Freiburg/Breisgau, 160 Seiten, 16 Euro, ISBN: 978-3-451-38958-0

Zur Person

Dr. Christian Löhr wurde 1972 in Thüringen geboren und wuchs dort auf. Nachdem er Mitglied bei den Dresdner Kapellknaben (dem einzigen katholischen Knabenchor in der DDR) und den Regensburger Domspatzen war, nahm er ein Studium an der Musikhochschule München auf, sattelte dann aber auf Philosophie und Theologie um, studierte in München und Rom. 2000 wurde Löhr zum Priester geweiht. Zwischen 2002 und 2004 absolvierte er seine Kaplanzeit in Roth, wurde anschließend Pfarrer in Wassertrüdingen und 2007 Dekan des Dekanats Herrieden. 2009 kehrte er als Pfarrer nach Roth zurück, wo er bis 2017 blieb. 2016 wurde Christian Löhr nämlich zum Generalrektor des Instituts der Schönstatt-Diözesanpriester gewählt. Seither wirkt er von Simmern im Westerwald aus. Dort befindet sich das Gäste- und Tagungshaus Berg Moriah der Schönstätter Verbandspriester, wo die Leitung ihren Sitz hat. Die Schönstattbewegung ist eine der neueren geistlichen Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche und in über 130 Ländern der Erde verbreitet. Ihre Mitglieder engagieren sich in einer Vielzahl von Erziehungs- und sozialen Hilfsprojekten, sie sind aktiv im missionarischen, kulturellen und politischen Bereich.

www.schoenstatt.de

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