Bunte Gewinner: Bei diesem Untersteinbacher piept‘s gewaltig
22.8.2019, 06:00 UhrMein Gott, Mendel! Wie man uns doch mit der Vererbungslehre des mährischen Mönchleins quälte, damals, im Biologieunterricht. Gregor Mendel war im 19. Jahrhundert unter die Erbsenzähler gegangen, züchtete und kreuzte die Hülsenfrüchte, um damit das Wissenschaftsgebiet der Genetik zu ebnen.
Was er der Nachwelt hinterlassen hat, war in etwa folgende Erkenntnis: Der Nachwuchs muss nicht zwingend die Eigenschaften der Elterngeneration aufweisen, ist also durchaus für Überraschungen gut. Oder so ähnlich. "Stimmt schon – ungefähr." Martin Stieglmaier schmunzelt solches Halbwissen höflich weg. Für ihn ist die Vererbungstheorie nicht grau, sondern eine in Grün, Gelb, Blau, Weiß. Und seine "Erbsen"? Die fächern fidel mit den Flügeln. Denn Stieglmaier züchtet Wellensittiche wie ein Weltmeister – als der er aktuell auch amtiert.
Kein Leben ohne Tiere
Auf dem waldgesäumten Grundstück in Untersteinbach wiehert, bellt und zwitschert es recht ordentlich, als Besuch kommt. Das läge in der Natur seiner Familie, sagt Stieglmaier zur Begrüßung. Der Vater: Reitlehrer. Die Mutter: Veterinärin. Seine Schwester Franziska sei gerade auf dem Sprung in den Bundeskader der Dressurreiter und Bruder Felix habe sich der Kaninchenzucht verschrieben, sagt der Untersteinbacher.
Ein Leben ohne Tiere? Nein, das könne sich hier keiner vorstellen, ist Martin Stieglmaier überzeugt. Er selbst habe Veterinärmedizin im tschechischen Brünn studiert und verdiene heute als orthopädischer Hufbeschlagschmied seine Brötchen.
Das Zwitschern wird jetzt lauter, denn Stieglmaier öffnet die Tür zu einem belebten Gebäude. Darin mischt sich das polyfone Getschilpe mit einer Moderatorenstimme aus dem Radio und anschließender Musik: "Ich mag Bayern 1, meine Vögel auch." An die 150 kleine Piepmätze aus der großen Papageienfamilie hätte er mittlerweile, zählt der 30-Jährige vor und vergisst dabei nicht, seinen gefiederten Freunden einen guten Tag zu wünschen: "Morgen, meine Lieben!"
Dass seine Wellensittich-Zucht einmal derartige Ausmaße annehmen würde – sieben Zimmer in zwei Häusern mit zehn Volieren voller Flattermänner – hätte Stieglmaier als Zehnjähriger gar nicht auf dem Schirm gehabt. Der Vater züchtete Glanzstare "und ich wollte halt auch was Eigenes", umschreibt er die damalige Motivation, sich ein Hansi-Bubi-Pärchen aus Nördlingen in die Wohnung zu holen. Eines, das rasch Nachwuchs zeugte.
Die Besten und die Einzigen
Hansi-Bubi? Ja, so heiße die zierliche Wellensittich-Rasse – bis zu 20 Zentimeter groß und 40 Gramm schwer – welche der australischen Wildform am nächsten käme. Jene, die auch in den Zoohandlungen anzutreffen sei. Doch bei der kleinen Variante blieb es im Hause Stieglmaier nicht allzu lange.
Denn Martin und sein Zwillingsbruder Felix wurden in Röttenbach zu den besten Wellensittich-Jungzüchtern des Landkreises gekürt – "wir waren aber auch die einzigen." Trotzdem. Ab da habe ihn wohl das Welli-Zuchtfieber ergriffen, mutmaßt Stieglmaier. Natürlich machte er weiter.
Und zwar mit Haubenwellensittichen. Eine Zuchtform im Reigen der etwas größeren Schauvögel (bis zu 60 Gramm), die sich durch einen charakteristischen Schopf auf dem Haupt auszeichnet – wahlweise (halb)rund oder spitz. Allerdings: "In Deutschland haben wir zu der Zeit keine solchen Vögel zum Züchten bekommen." Also hätte man einen Freund in England bemüht – "zum Glück!"
Meisterschaft ist immer
Stieglmaier, damals zarte 16, beginnt nämlich, Hansi-Bubis mit Schauwellensittichen zu kreuzen. Und zwar äußerst erfolgreich. Im Souterrain seines Hauses erzählen gefühlte Myriaden an Medaillen, Pokalen sowie Siegesbändern davon. Gleich mehrfach wird Stieglmaier Bayerischer Meister, Deutscher Meister, Europameister. 2013 führt er zum ersten Mal einen Weltmeistertitel heim, den er im vergangenen Jahr mit einem "Hagoromo" (Helicopter-Haubensittich) aus seiner Zucht auffrischen konnte. Das belegt auch eine künstlerisch gestaltete Plakette aus Budapest.
Doch auf den Lorbeeren ausruhen? Is‘ nicht: Von 23. bis 25. August stünden gleichzeitig Europa- und Weltmeisterschaft ins Haus. Beide in Karlsruhe. Die Vorbereitungen dazu wären bereits im Spätsommer vergangenen Jahres angelaufen. Denn nach der Meisterschaft sei vor der Meisterschaft, immer, untermauert er.
Dann würden die entsprechenden Zuchtpaare zusammengebracht, um – eingedenk der Mendelschen Vererbungsregeln – den erhofften Nachwuchs zu generieren. Sofern die Chemie zwischen Henne und Hahn stimmt, bringt Stieglmaier jeweils einen Nistkasten am Käfig an, in welchen das Weibchen die Eier lege – "mit sechs bis acht ist das Gelege komplett". Für gewöhnlich schlüpfe schließlich nach 18 Tagen Brutzeit das erste Junge.
So könnten Sieger aussehen
Spannend wird‘s für Martin Stieglmaier ab dem 20. Lebenstag der Kleinen, wenn sich die ersten Farbfedern zeigen und der Züchter erahnen könne, ob seine (Zucht-)Rechnung aufgegangen sei. Für dieses Mal wäre er zufrieden, erklärt der Untersteinbacher und verweist auf ein paar hübsche Schausittich-Exemplare, die nichts von ihrer potenziellen Perfektion ahnen. Diese besteht aus der gelungenen Gefiederkoordination, dem Glanz ihres Fells (das bei Vögeln tatsächlich so heißt) oder den wohlplatzierten Kehltupfen. So, glaubt er, könnten künftige Weltmeister aussehen, durchaus. Einem frommen Mönch aus Mähren sei Dank.
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