Corona katapultiert Kirche in die Moderne

18.11.2020, 16:07 Uhr
Corona katapultiert Kirche in die Moderne

© Foto: Salvatore Giurdanella

Die Kirchen haben’’s gut, sie dürfen offen sein. Aber haben sie es wirklich gut? Kirchgang im abgezirkelten Viereck, Gottesdienst ohne Chorgesang und Friedensgruß, Gemeinde ohne Seniorenkreis und Jugendgruppe – trotz der diesmal offenen Kirchentüren ist vieles anders. Wie erleben die evangelischen Kirchengemeinden und die katholischen Pfarreien den Lockdown light in der dunklen Jahreszeit?

Schwer hatten sie es ja schon vorher: Die Kirchen in Deutschland verlieren seit Jahren Mitglieder und Seelen, 2019 waren es 800 000, so viel wie niemals vorher. Und dann kam Corona. Der zweite Lockdown trifft die Gemeinden nicht ganz so wuchtig wie der erste, Gottesdienste dürfen – zwar mit Desinfektionsmittel und Abstandsregeln, aber immerhin – gefeiert werden. "Doch das Gemeindeleben ist in weiten Teilen zum Erliegen gekommen", sagt Mario Ertel, Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Büchenbach.


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Kein Chor probt, kein Seniorenkreis trifft sich, keine Jugendgruppe organisiert Spiele oder die Dorfrallye, wie der katholische Dekan für Roth-Schwabach, gleichzeitig Georgensgmünder Pfarrer Matthäus Ottenwälder sich wehmütig erinnert. Das mache ihm schon Sorgen. Die Firm- und Kommunionkinder dürfen sich zwar treffen, "aber es fehlt die Gemeinschaft und der Spaß".

Es geht was verloren

Zudem kommen "die Ängstlicheren und die Vorsichtigeren im Moment eher nicht zur Messe", beobachtet der Hilpoltsteiner Pfarrer Franz-Josef Gerner. "Da geht schon was verloren." Ob die Zahl der Kirchgänger wieder auf das Vor-Corona-Niveau steigt? "Das glaube ich nicht."


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Dass Kirchenmitglieder im Zuge der Pandemie aus der Kirche austreten, glaubt sein evangelischer Kollege Mario Ertel zwar nicht, aber er fragt sich schon, "was danach wirklich wieder zurückkehrt". So habe die Leiterin des Seniorenkreises, selbst über 80, schon angekündigt, dass sie nicht wieder anfangen werde.

Krise ist auch Chance

Trotzdem lassen sich die Kirchenfrauen und -männer nicht entmutigen. Ein Beispiel: Seit Bestehen der Hygiene- und Abstandsregeln bietet man einfach mehr Gottesdienste an. "Klar ist das eine Umstellung und aufwändige Organisation", hat Joachim Klenk, der Rother Pfarrer und stellvertretende Dekan für das evangelische Dekanat Schwabach, festgestellt. Aber die neuen Herausforderungen führen eben auch zu neuen Ideen.

Mehr und längere Telefongespräche gehören dazu. In der Rother Kirchengemeinde entstehen kleinere Gruppen, die das Netzwerk aufrechterhalten. Oder: Gottesdienste werden gestreamt. Die evangelische Gemeinde Büchenbach hat damit jetzt schon richtig Erfahrung. Nach dem ersten Lockdown will man den Sonntagsgottesdienst im Livestream auf dem eigenen Youtube-Kanal jetzt wieder anbieten.

Gottesdienst im Wohnzimmer

"Und das nutzen gerade die Älteren", ist Ertel begeistert. "Dann ziehen sie sich am Sonntag hübsch an, zünden im Wohnzimmer eine Kerze an und feiern den Gottesdienst am Bildschirm mit." Auch Kindergottesdienste produziert die Gemeinde so und stellt sie ins Netz. Ertel: "Die können immer wieder aufgerufen werden."

Natürlich ersetzt nichts die unmittelbare Begegnung, schränkt Dr. Paul-Hermann Zellfelder ein, der in Schwabach die evangelische Gemeinde St. Martin betreut. "Gemeinde ist Begegnung", und in Sachen Gemeindeleben sei gegenwärtig halt "nichts möglich". Aber gerade weil die Menschen "nach Begegnung und Austausch hungern", ist Zellfelder überzeugt, dass das kirchliche Leben dereinst wieder wie früher stattfinden wird.

Die Konfirmationen für 2021 werden, wenn auch in kleineren Gruppen, "ganz normal geplant". Denn von einem "vorauseilenden Pessimismus" halte er gar nichts.


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Auch Pfarrer Klenk aus Roth glaubt nicht, dass durch die Pandemie etwas vom Gemeindeleben wegbricht. Denn in der Gemeinde gebe es eine starke Bindung, "und die entwickelt sich durch die Menschen". Wichtig sei das Gefühl "dazuzugehören", und das lasse sich auch am Telefon vermitteln.

Währenddessen brüten schon alle Pfarreien und Kirchengemeinden über Ideen für die Gottesdienste an den Weihnachtsfeiertagen. Und finden unterschiedliche, aber kreative Lösungen.

Die reichen von kleinen Krippen- und Andachtsfeiern zum Beispiel in Hilpoltstein, über gestreamte Festgottesdienste etwa in Roth oder Büchenbach, bis zur Fahrt der Pfarrer mit dem Goldmobil an verschiedene Plätze in Schwabach und bis hin zum ökumenischen Feiern in und vor mehreren Weihnachtsmarktbuden, die in Georgensgmünd verteilt, aufgestellt und von Paten geschmückt werden. Denn, so Pfarrer Klenk: "Wir müssen eben lernen, mit der Situation umzugehen."

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