Die Manufaktur für glanzvolle Gewänder in Zell schließt

5.7.2016, 17:25 Uhr
Bis zu 30 gehörlose Frauen arbeiteten einst bei Regens Wagner in Zell in der Stickerei, um etwa Messgewänder für Geistliche oder Fahnen für Vereine herzustellen. Zum Schluss waren es neben Mathilde Fruth nur noch zwei Damen, die bereits w

© Foto: Huck Bis zu 30 gehörlose Frauen arbeiteten einst bei Regens Wagner in Zell in der Stickerei, um etwa Messgewänder für Geistliche oder Fahnen für Vereine herzustellen. Zum Schluss waren es neben Mathilde Fruth nur noch zwei Damen, die bereits w

Geübt stickt Mathilde Fruth ein goldenes Band auf ein Stück Stoff. Ein Turnverein hatte seine alte Fahne vorbeigebracht. Doch sie war nicht mehr restaurierbar, eine neue musste her. Viel Präzision ist für diese Aufgabe notwendig, dazu Fingerspitzengefühl und vor allem Geduld. Drei andere Damen sitzen ebenfalls an Tischen und richten Messgewänder her. In der Paramentenwerkstatt in Zell gibt es viel zu tun, vor allem katholische Geistliche aus dem Bistum Eichstätt lassen dort ihre glanzvollen und reich verzierten Gewänder herstellen, darunter auch der Bischof Gregor Maria Hanke. Dennoch schließt die Werkstatt am 31. Juli – für immer.

Einrichtungsleiterin Heike Klier betont, dass es ihnen an Aufträgen nicht gemangelt habe. Ganz im Gegenteil: Immer wieder rufen Kunden an, die noch Gewänder bestellen möchten. „Erst gestern wollte jemand 30 Kommunionskutten bestellen, aber das geht leider nicht mehr“, sagt Betreuerin Silvia Gradl wehmütig. Doch die letzten Aufträge nahmen sie bereits im Juni entgegen.

Denn die schwierige Aufgabe passt nicht mehr zu den betreuten Personen in der Einrichtung. Waren das früher hauptsächlich gehörlose Mädchen, kommen nun Menschen mit mehrfachen Behinderungen nach Zell. „Wir haben uns bemüht, junge Bewohner zu finden, die die anspruchsvolle Aufgabe übernehmen möchten. Leider ohne Erfolg“, bedauert Einrichtungsleiterin Klier. Immerhin bis zu 40 Stunden Arbeit stecken in einem Messgewand.

Wichtig fürs Überleben

Im Jahr 1872 eröffnete die Stickerei in Zell. Damals besuchten nur gehörlose Mädchen und Frauen die Einrichtung, die Dillinger Franziskanerinnen leiteten sie. Lange Zeit gab es keine Sozialversicherung wie heute, Menschen mit Beeinträchtigungen mussten Geld verdienen, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Neben der Arbeit auf dem Feld oder in der Werkstatt gab es eben die Nähateliers.

Vier Stickereien gab es einst bei Regens Wagner, die beiden in Dillingen und Michelfeld schlossen schon im vergangenen Jahr, in Hohenwart war es im April zu Ende. In Zell, wo in den Hochzeiten bis zu 30 Frauen in viel größeren Sälen stickten und nähten, ist nun Ende Juli Schluss.

Die Mitarbeiter nehmen es mit Fassung. Bewohnerin Mathilde Fruth hat nach der Schule, im Alter von 16 Jahren dort angefangen. Seit fast 62 Jahren arbeitet sie in der Stickerei, nun langt es auch langsam, meint sie. Ihren 78- und 73-jährigen gehörlosen Kolleginnen geht es ähnlich, sie gehen nun in den Ruhestand oder suchen sich eine andere Tätigkeit.

Für die Betreuer war der Wechsel indes nicht ganz so einfach. Nährerin Rita Pfahler wird die verbleibenden gut zwei Jahre bis zu ihrem Ruhestand in der Wäscherei in Zell verbringen. Leiterin Silvia Gradl fand keine passende Stelle und musste sich erst lange in der Region umsehen, bis sie etwas ähnliches entdeckt hat. Die Diakonie Neuendettelsau betreibt noch eine Paramentenstickerei mit Menschen ohne Behinderung, dort wird Gradl unterkommen.

In dem langgezogenen Nähraum unter dem Dach hängen noch zahlreiche kirchliche Gewänder und mittelfränkische Trachten, in den Schränken liegen bunte Stoffrollen, alles ist mit Preisschildern ausgezeichnet. Silvia Gradl hofft, alles bis zum Monatsende verkaufen zu können. Nach 144 Jahren Stickerei zieht hier dann eine andere Werkstatt ein.

Weitere Informationen bei Silvia Gradl, Telefon (0 91 77) 97 37 0.

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