Die Zukunft des Leoni-Geländes: Ein Brief und ein Dorf

13.7.2019, 06:00 Uhr
Die Zukunft des Leoni-Geländes: Ein Brief und ein Dorf

© Carola Scherbel

Die Geschichte beginnt allerdings nicht mit dem Brief, sondern mit dem geplanten Umzug der Leoni AG an den Stadtrand von Roth. Die Stadt hat das rund 10 Hektar große Gelände in bester innenstadtnaher Lage, am Wasser und im Grünen gekauft. Doch was soll nun damit passieren? Wohnen, Gewerbe, Stadthalle, Freibad? Im Stadtrat gab es immer mal wieder Nachfragen, aber Bürgermeister Ralph Edelhäußer kündigte bisher nur an, dass Wohnen dabei ist und dass es einen städtebaulichen Wettbewerb geben wird.

Und dann kam der Brief: "Wir wohnen seit fast 25 Jahren in Roth und würden dies gern auch im Alter tun", schrieb ein Ehepaar an SPD-Fraktionsvorsitzenden Andreas Buckreus. Aufgrund einer Erkrankung der Ehefrau suche man "seit geraumer Zeit nach einem Grundstück in Roth, das uns ebenerdiges Bauen ermöglicht". Bei der bis dahin erfolglosen Suche sei das Paar auf das Projekt "Dahoam im Inntal" gestoßen – ein Mehrgenerationenwohnprojekt auf einem 16 Hektar großen früheren Kasernengelände in Brannenburg in Oberbayern.

Viele Grünflächen und Pflanzen

Andreas Buckreus nahm Kontakt auf zu Rupert Voß, Vorstandsvorsitzender der Voß AG, die das neue Generationen-Dorf in Oberbayern als Projektentwickler umsetzt. Und Rupert Voß kam nach Roth, wo er in der SPD-Fraktion von der Konversion des Militärgeländes in ein Dorf mit Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen von 23 bis 150 Quadratmetern, mit Kinderhaus, fußläufig erreichbaren Geschäften und betreutem Wohnen erzählte. Er erzählte auch davon, wie er, selbst gelernter Schreiner, akribisch plant: "Jede Wohnung muss so sein, dass ich selbst gern einziehen will." Also kein Balkon nach Osten, keine unsinnigen Verblendungen über dem Waschbecken, nur weil es einfacher wäre, kein Ramschboden, keine dünnen Fenster. Keine Gitterstäbe an den Balkonen, die dann mit hässlichen Plastikplanen bespannt werden, sondern sichtschützende und trotzdem transparente Lochbleche.


Leoni: Das sagt die Region zum möglichen Sparten-Verkauf.


Überhaupt: Die Transparenz ist ihm wichtig, der Kontakt zueinander muss sozusagen zwangsläufig erfolgen. Rupert Voß und sein Partner Wolfgang Endler, mit dem er die Firma gegründet hat, machen das so: Es gibt keine Zäune zwischen den vielen Grünflächen, Pflanzen und Stauden, dafür aber Spiel- und Grillplätze. "Früher oder später trifft man sich beim Grillen, es entsteht Gemeinschaft", weiß Voß. Und auf den Lüftungsschächten der Tiefgarage sind große Holzdeckel angebracht. Darauf kann man sitzen, liegen, lesen, quatschen. Also Aufenthaltsqualität statt nutzloser Rohre.

Mit dem Einkaufswagen in die Küche

Daneben hat die Firma ein großes Kinderhaus gebaut, Träger ist die Montessori-Schule Rohrdorf. Das Haus für betreutes Wohnen steht ebenfalls auf dem Gelände, und gerade werden Wohnungen für älter werdende Menschen mit Down-Syndrom gebaut. Sobald die neuen Boccia-Bahnen fertig sind, trifft man sich auch da. Eine Idee von Bewohnern übrigens, die Rupert Voß aufgenommen hat und umsetzt. Auch die Idee für den Einkaufswagen fand er toll und regelte mit dem benachbarten Supermarkt, dass die Bewohner ihre Einkäufe in den natürlich barrierefreien Aufzug, zu ihrer Wohnung und von dort bis in ihre Küche schieben können.

Die Preise für die Eigentumswohnungen (einige werden auch vermietet) sind kein Schnäppchen: Sie orientieren sich an der ortsüblichen Höhe; aber für junge Familien, die in der Regel weniger Geld haben als Ü 50-Ehepaare mit Doppelverdienst, hat die Voß AG einen Rabatt von bis zu 15 000 Euro pro Kind festgelegt. Für Menschen mit Behinderungen gibt es ebenfalls einen Rabatt. "Auf die Weise klappt die Generationenmischung", freut sich Voß.

Die SPD ist begeistert

Das Wohnprojekt wurde mehrfach ausgezeichnet – etwa mit dem "Family Fair Preis" und dem Baukulturpreis der Metropolregion München. Grund für das Lob in höchsten Tönen dürfte nicht nur der sein, dass das Mehrgenerationenquartier funktioniert, sondern auch, dass Voß nicht die Gewinnmaximierung als oberstes Ziel ausgibt. Er spricht von gesellschaftlicher Verantwortung.

So rät er zum Beispiel der Stadt dazu, einen Teil des Geländes in Erbpacht mit einer 40-Jahres-Bindung zu bebauen, statt es komplett zu verkaufen. Und ein Drittel könnte für den sozialen Wohnungsbau verwendet werden. "Gesellschaftliche Relevanz ist wichtiger als der Gewinn", sagt er dazu.

Was wird aus dem alten Leoni-Werk an der Stieberstraße in Roth, wenn das Unternehmen in die "Fabrik der Zukunft" umgezogen ist? Eine mögliche Idee kommt jetzt aus Oberbayern.

Was wird aus dem alten Leoni-Werk an der Stieberstraße in Roth, wenn das Unternehmen in die "Fabrik der Zukunft" umgezogen ist? Eine mögliche Idee kommt jetzt aus Oberbayern. © Foto: Martin Regner

Die Rother SPD ist begeistert: "Dieser Fall ist das klassische Beispiel für den Sinn von Kommunalpolitik", findet Andreas Buckreus. Wünsche und Anregungen von Bürgern umzusetzen, sei oberste Aufgabe der Kommunalpolitiker. Die Konversion der Leoni-Fläche stelle für die Stadt einen "Meilenstein" dar. Mit dem Brief des Rother Ehepaars sei ein Stein angestoßen worden, der in Roth zum Bau eines Leuchtturmprojekts verwendet werden könnte.

Voß selbst will erst einmal "zuhören": Was wollen die Rotherinnen und Rother? Wie stellen sie sich das Areal vor? Wie wollen sie leben? Ob sein "Dahoam im Inntal" auch Ideen für ein "Derhamm an der Rednitz" liefern kann? Aber für das Ehepaar, das nach einem Grundstück in Roth sucht, hört sich das alles schon mal gut an.

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