Im "Haus International" in Roth: Dem Fremden ein Gesicht geben

24.12.2019, 06:04 Uhr
Rasa Weiß (links, sitzend mit langen Haaren) zog vor über 20 Jahren aus Litauen der Liebe wegen nach Franken. Das Brauchtum ihres Geburtslandes liegt ihr weiterhin am Herzen. Bei der jüngsten „Weltreise ins Wohnzimmer“ im „Haus International“ servierte sie den Besuchern ein traditionelles, zwölfgängiges lettisches Weihnachtsmenü, „garniert“ mit vielen Geschichten. Integrationslotsin und hauptamtliche Organisatorin des Hauses, Aline Liebenberg (stehend Mitte), half beim Servieren.

© Weinig Rasa Weiß (links, sitzend mit langen Haaren) zog vor über 20 Jahren aus Litauen der Liebe wegen nach Franken. Das Brauchtum ihres Geburtslandes liegt ihr weiterhin am Herzen. Bei der jüngsten „Weltreise ins Wohnzimmer“ im „Haus International“ servierte sie den Besuchern ein traditionelles, zwölfgängiges lettisches Weihnachtsmenü, „garniert“ mit vielen Geschichten. Integrationslotsin und hauptamtliche Organisatorin des Hauses, Aline Liebenberg (stehend Mitte), half beim Servieren.

Warmer Kerzenschein, gemütliche Sitzgruppen, zwei Gastgeberinnen, die sich offensichtlich auf ihre Gäste freuen, warten auf die kleine Gruppe, die — zu Beginn eines interessanten Abends mit viel Herz — nur eines eint: ihre Neugier auf Neues. Denn "neu" im Sinn von "unbekannt" ist den allermeisten von ihnen das Land, aus dem Gastgeberin Rasa Weiß kommt: Litauen.

"Weihnachten in Litauen." So ist denn auch dieser Abend in der Reihe "Weltreise ins Wohnzimmer" betitelt, zu dem sich das Dutzend Männer und Frauen angemeldet hat. Nur eine von ihnen ist selbst Litauerin, lebt seit Jahren mit ihrem Mann in Heideck. Damit teilt sie einen Stück ihres Lebenswegs mit Rasa Weiß.

Interessiert am Gegenüber

Vor über 20 Jahren hatte diese ihren heutigen Mann, einen Fürther, auf dessen Baltikum-Rundreise kennen — und wenig später lieben gelernt. Weiß studierte Germanistik, spricht fließend Deutsch. Lediglich ihr Zungenschlag verrät, dass sie Zugereiste ist. "Daheim" — das sei mittlerweile Schwabach, wo sie mit Familie wohnt. "Daheim" ist aber immer auch noch Vilnius (Hauptstadt von Litauen), wo die jetzt 47-Jährige aufgewachsen ist. Und wo sie die (Zwangs-)Herrschaft der Russen noch voll miterlebt hat.

Wie viel sie weiterhin in sich trägt von dem einstigen Bauernstaat, der so groß wie Bayern ist, aber nur ein Viertel der Einwohner zählt, wird im Lauf des Abends auf angenehm sympathische und einnehmende Weise spürbar. Baltische Zurückhaltung, die laut Risa Weiß nur noch von Franken getoppt werden könnte — Fehlanzeige. Interessiert an ihrem Gegenüber erzählt die große Blonde vom Weihnachten ihrer Kindheit; vom Christfest, wie es auch heute noch vielerorts in Litauen gefeiert wird.

Niemand bleibt alleine

Oberste Prämisse: Niemand feiert alleine. Also bleibt an der Festtafel immer ein Platz leer. Es könnte ja sein, dass noch ein Notleidender vor der Tür steht. Auch er (oder sie) wären am Weihnachtsabend willkommen. Und: alle Schulden — ob finanziell oder moralisch — müssen an Weihnachten abgetragen sein. Auch von Kindern!

Zwölf Speisen (gleich den zwölf Aposteln oder den zwölf Monaten im Jahr) werden auf runden Tellern, gereicht. Rund wie die Sonne, die wiederum für Wärme (im Leben) steht. In bedürftigen Familien zählen zu diesen Speisen auch Nüsse und Moosbeeren. In Roth dagegen wird Leckeres mit viel Fisch, roter Beete, Gemüse aufgetischt. Dazu Moosbeerensirup und Mohnmilch, in die kleine Hefekugeln (mit unaussprechlichem litauischen Namen) eingetaucht werden.

Brot wird weiter gereicht — verbunden mit einem guten Wunsch für den Sitznachbarn. Strohhalme — sie sind im landwirtschaftlich geprägten Litauen fester Tischschmuckbestandteil — werden gezogen als Wahrsagung, wie das nächste Jahr wird. Und am Ende wird mit Stroh auch noch mit viel Gelächter gebastelt; eine Art Traumfänger, wie er in Litauen über Tischen und (Kinder-)Betten gerne gehängt wird als Fänger für "gute Energien".

Kunstvolles Basteln mit Stroh — ein Beispiel dafür ist das an der Decke hängende „Mobile“ — ist lettische Tradition und wurde nach dem Essen gleich ausprobiert.

Kunstvolles Basteln mit Stroh — ein Beispiel dafür ist das an der Decke hängende „Mobile“ — ist lettische Tradition und wurde nach dem Essen gleich ausprobiert. © Weinig

Fleischgerichte auf der Festtafel fehlen. Gibt es in Litauen einfach nicht am 24. Dezember. "Als ich hier in Franken an Weihnachten Bratwürste mit Sauerkraut serviert bekam, hab‘ ich tatsächlich nur das Kraut gegessen", erinnert sich die 47-Jährige, die lange nachdenken muss, ehe sie ihr tatsächliches Alter weiß. "Es spielt schon lange keine Rolle mehr für mich."

Die Tischrunde, obwohl viele darunter schon deutlich älter als die Gastgeberin sind, ist schnell beim "Du" angelangt. Aus dem distanzierten "Abtasten", wird ein freundliches Geben und Nehmen. Buchstäblich am Tisch beim Rundumreichen der vielen Schüsseln. Doch auch, was das Erzählen angeht.

Ob in Litauen oder im tiefen Franken — die Hochzeitskupplerin gibt es offensichtlich da wie dort. Heißt nur anders. Könnte man Mohnmilch auch bei uns machen? Sonnwendfeuer und -feiern. Gibt es in Litauen. Gibt es — selbstverständlich — auch bei uns.

Angeregte Gespräche

Kurz: Es wird geredet und diskutiert. Über Unterschiede und Dinge, die verbinden. Litauen. Das war am Anfang des Abends ein ziemlich weißer Fleck auf der Landkarte. Am Ende hat er Farbe und Konturen bekommen. Wie das eben bei (Welt-)reisen im besten Fall immer passiert — selbst dann, wenn die Reise nur bis in die gute Stube vom "Haus International" führt.

Das "Haus International" in der Münchener Straße 5 (frühere Kneipe "Outback", Ecke Städtlerstraße, Eingang nahe Fußgängerampel) ist ein im August angelaufenes Projekt unter dem Dach von "Für einander", der Kontaktstelle des Landkreises für bürgerschaftliches Engagement.

Das offene Angebot richtet sich an die gesamte Landkreis-Bevölkerung. Mit Hilfe von Fördergeldern des Bundesamts für Migration, die zunächst für drei Jahre bewilligt sind, wollen die "Macher" um Für einander-Leiterin Anne Thümmler und Integrationslotsin Aline Liebenberg Menschen aus dem Ausland die Möglichkeit zur Begegnung untereinander und mit der einheimischen Bevölkerung geben — mit möglichst wenig (bürokratischen) Hürden.

Gemütliche Kneipenatmosphäre

Die Idee hinter dem Konzept des Internationalen Hauses: Kulturelle Angebote im weitesten Sinne sind (oft) über Sprach-, Religions- und Ethikgrenzen hinweg ein verbindendes Element. Zwei dieser offenen Angebote sind die "Weltreise ins Wohnzimmer", die jüngst nach Litauen führte (s. Bericht und Terminübersicht unten) oder die "Goldstückchen"-Nachmittage.

In gemütlicher Kneipenatmosphäre geben (ehrenamtlich arbeitende) Männer und Frauen Einblick in das Leben in ihrem Heimatland, verbunden mit Mitmach-Aktionen, die das Obstschnitzen (Thailand) genauso beinhalten können wie die Seifenherstellung (Syrien). Oder eben das Strohbasteln wie es in Litauen gepflegt wird.

Was Aline Liebenberg und ihrem Team, in dem viele Ehrenamtliche mitarbeiten, wichtig ist: in das Programm des Internationalen Hauses werden bewusst nicht nur Geflüchtete, sondern genauso Menschen aus Ländern einbezogen, die nicht aus ihrer Heimat geflohen sind, sondern nun wegen des Jobs oder der Liebe wegen hier leben.

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