Künstler beklagen Verlust von Live-Kultur

7.2.2021, 15:00 Uhr
Künstler beklagen Verlust von Live-Kultur

© Foto: Monika Ammerer-Düll

Niemand hatte am 10. März vergangenen Jahres geahnt, was da auf die Menschheit zukommt. Es war der letzte Abend, an dem die Kulturfabrik vollbesetzt war. Beim traditionellen Irish Spring Festival ließen sich die Besucher noch von den fröhlichen Liedern und Gesängen von der grünen Insel mitreißen – allerdings war die Stimmung schon verhaltener als in den Jahren zuvor. Immer mehr Corona-Fälle wurden gemeldet, Südtirol war zum Risikogebiet erklärt, erste Großveranstaltungen verboten worden. Backstage unterhielten sich Veranstalter, Techniker und Tourbegleiter bereits über Konzertstornierungen. Kurze Zeit später kam die Absage der Rother Bluestage. Mit dem ersten Lockdown folgten alle weiteren Veranstaltungen. Die Kultur machte dicht.

Auch als im Sommer der Spielbetrieb unter vielen Auflagen und in anderen Formen anlaufen durfte, oder sich virtuelle Formate entwickelten, KünstlerInnen erfinderisch und kreativ wurden, die alternative Konzepte erdachten – es täuschte nicht über die Tatsache hinweg, dass eine ganze Branche — vormals quicklebendig, lebensnah, inspirierend, vielschichtig — schlicht nicht mehr im Alltagsleben existent und selbstverständlich ist. Theater, Veranstaltungsräume, Konzerthallen, Opernhäuser sowie alle übrigen Kulturorte zählten zu den ersten Einrichtungen, die geschlossen wurden. Und wohl zu den letzten, die wieder aufmachen dürfen. Für die Menschen, die in dieser Branche arbeiten, eine Katastrophe – trotz Corona-Hilfen und Spendenaufkommen.

Die Veranstaltungsbranche ist der fünftgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland. Die Kultur- und Kreativwirtschaft hat 2019 nachweislich mit 100,5 Milliarden Euro mehr Umsatz gemacht als die chemische Industrie, die Energieversorger und die Finanzdienstleister, rangiert somit knapp hinter der Automobilindustrie. In der Kultur- und Kreativwirtschaft sind 1,2 Millionen Menschen in Lohn und Brot. Und nicht alle können weiterhin in ihrem eigentlichen Beruf arbeiten.

Künstler beklagen Verlust von Live-Kultur

© Cristopher Civitillo

Dazu gehören auch die Mitglieder der fränkischen A-cappella-Kultband Viva Voce, die im Januar 2021 in der Kulturfabrik Roth hätte auftreten sollen. Jetzt beschloss die Gesangsformation, bis mindestens Sommer 2021 zu pausieren und sich in der Zwischenzeit andere Jobs zu suchen. Eine Entscheidung nach 22 Jahren, die man sich nicht leicht gemacht hat. "Das war unfassbar hart für uns", so Tenor David Lugert. "Singen, Konzerte und der Kontakt mit unserem Publikum ist für uns das Allerwichtigste, die Seele und Essenz unserer Arbeit". Im Jahr 2020 stand Viva Voce vor ihrer bisher wohl größten Herausforderung. Mit Ideenreichtum, Fleiß und auch Investment hat die Kultband das Beste aus der Situation gemacht: von Autokino-Auftritten über Konzerte mit Maximalabstand, Privatkonzerte, ein neues Studioalbum, das die Fans über Crowdfunding mitfinanziert hatten, Videoclips – der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Allein, es reichte nicht, um die Band, die MitarbeiterInnen, TechnikerInnen, GrafikerInnen und LichtdesignerIinnen zu ernähren. Unter dem Bilanzstrich am Ende des Jahres blieb ein fettes Minus. Über 120 Auftritte jährlich ließen sich dann doch nicht so einfach kompensieren. "Wir konnten das Jahr größtenteils mit der Rückendeckung unserer Fans sowie mit unseren Ersparnissen überstehen.", überreißt Manager Thomas Schimm die Situation, "Aber jetzt sind unsere ‚Speicher‘ leer."

Für unsere Zeitung beschreiben weitere langjährige PartnerInnen und MitarbeiterInnen der Kulturfabrik aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche ihre Situation:

 

Künstler beklagen Verlust von Live-Kultur

© Rob Blackham

Catfish, britische Bluesrockband: "Durch den Lockdown werden professionelle Musiker online gezwungen, wie Straßenmusiker für ein Trinkgeld zu spielen. Schon vor der Pandemie war es sehr hart, als Musiker seinen Lebensunterhalt zu verdienen, weil CD- und Plattenverkäufe längst durch hauptsächlich kostenfreie Downloads ersetzt wurden. Das bedeutet, dass Musiker für ihr Einkommen fast gänzlich auf Tourneen angewiesen sind – und diese sind ja derzeit nicht mehr möglich. Es bleibt die Unsicherheit und Unmöglichkeit zu planen. Für Musiker geht es nicht nur ums Geld! Für sie ist das Liveperformen der Grund, das zu tun, was sie tun. Dies schon seit so langer Zeit nicht mehr zu können, fordert bei vielen seinen Tribut – und einige hatten ja schon vor Corona mit Depressionen zu kämpfen."

 

Reinhard Buchmann, Agentur Jazzhouse Booking: "Persönlich glaube ich nicht, dass wir vor Sommer oder zumindest erst ab Mai wieder veranstalten können, und dann mit ziemlicher Sicherheit immer noch unter Corona-Regeln. Vor Herbst/Winter 2021 wird sich meiner Meinung nach keine Normalität einstellen. Die meisten anderen KollegenInnen aus anderen Agenturen denken ähnlich. Tourneen und Gigs verschieben ist das eine, aber keine wirkliche Perspektive zu haben, ab wann es wieder realistisch ist, zu planen, ist das Problem, was extrem zermürbt. Ich weiß gar nicht, wie viele Shows/Tourneen ich schon zwei bis drei Mal geschoben habe, aber sicher 250 bis 300. Das zehrt."

 

Annika Biel, Studentin, Bar- und Cateringteam Kulturfabrik: "Ich möchte mich nicht beschweren über meinen aktuellen Alltag, mein Leben ist nicht in sich zusammengefallen. Auch kann ich weiter studieren. […]Was mir allerdings sehr zu schaffen macht, ist der fehlende Austausch mit meinen Freunden und Bekannten, die ich unglaublich vermisse – unter anderem natürlich auch die Arbeit in der KuFa, wo ich über die Zeit viele Freunde gefunden habe. Klar kann man sich über Social Media und per Handy im allgemeinen austauschen, und ich denke, wir geben alle unser Bestes, das soziale Leben nicht komplett einrosten zu lassen, aber das zehrt doch auf Dauer ganz schön an den Nerven. Aber immerhin ist es zumindest den meisten Menschen unserer Gesellschaft wichtig, verantwortungsbewusst und solidarisch zu handeln – deshalb hoffe ich, trotz aller widrigen Umstände, dass Corona irgendwann Geschichte ist und wir gestärkt da raus gehen können."

Peter Hüttl, selbstständiger Meister für Veranstaltungstechnik, Rider Backline Service: "Wir versuchen positiv zu bleiben. Das ist nicht immer einfach. Wir mussten einen KfW-Kredit aufnehmen, um Finanzierungen und Leasing zu bedienen - also Schulden mit Schulden bezahlen. Es ist auch nicht ganz einfach, psychisch auf’m Boden zu bleiben. Wir lieben unseren Job – da geht’s nicht nur ums Geld. Nach dem sehr erfolgreichen Jahr 2019 von einem auf den anderen Tag Berufsverbot – da fällt man erst mal in eine tiefe Grube. Wir haben natürlich nach Alternativen gesucht und schon im Mai vorigen Jahres die ‚Live Mühle‘ gegründet. Haben hier bei uns ein komplettes Studio aufgebaut, um einheimische Bands zu streamen. Wir mussten dafür in ein neues Equipment investieren, obwohl wir keine Einnahmen hatten. Wir haben dann das Projekt wieder stillgelegt, weil das deutsche Publikum nicht bereit ist, für Streaming-Konzerte auch nur eine kleine finanzielle Unterstützung zu leisten. Die Mehrheit ist halt gewohnt, Musik ‚ummasunst‘ zu hören. Auch ein Bäcker verkauft keine Brötchen, nur weil er Spaß am Brötchen backen hat. Staatliche Hilfen kamen zwar an, wurden aber auch gleich wieder ausgegeben. Wir sind aber ‚dankbar‘, überhaupt was zu bekommen. Ich denke, dass es noch ein schweres Jahr wird. Die großen Festivals werden sicher nicht stattfinden und es werden viele Veranstaltungsfirmen untergehen. Der Markt wird sich völlig neu aufstellen. Wir werden das aber überstehen."

 

Künstler beklagen Verlust von Live-Kultur

© Hans-Juergen Schmidt

Yasi Hofer, Musikerin: "Als ‚Vollblutmusikerin’ trifft mich die Corona-Krise doppelt: Normalerweise lebe ich von der Musik und verdiene meinen Lebensunterhalt hauptsächlich mit Live-Konzerten. Momentan bin ich dahingehend leider im Berufsverbot. Meine Musik in die Welt zu tragen, mit meiner Band auf Tour zu sein, auf der Bühne zu stehen, dem Publikum mit meiner Musik große Freude zu bereiten und der Plausch mit den Fans nach den Konzerten, all das ist mir jetzt weggebrochen und fehlt mir sehr. Musikalisch untätig bin ich aber deshalb nicht. Ich schreibe weiterhin fleißig neue Songs, spiele Gast-Soli ein für andere Künstler und produziere Videos. Ganz aktuell habe ich eine neue Single veröffentlicht: ‚I hear you‘. Ich kann es aber kaum erwarten, endlich wieder mein Leben als Live-Musikerin zurück zu haben."

Künstler beklagen Verlust von Live-Kultur

© Florian Lutz

San2, Musiker: Ich denke, es ist selbstverständlich, dass Konzerte und Veranstaltungen nicht stattfinden können, wenn das Infektionsgeschehen das nicht zulässt. Und natürlich ist das dann einfach Pech, wenn man einen Beruf ausübt, der davon lebt, dass einem im Idealfall möglichst viele Menschen dicht gedrängt und schwitzend zujubeln, mittanzen und singen! Ja, Kultur in Gänze ist für eine Gesellschaft wie die unserige, systemrelevant. Fest steht aber auch, dass so einiges in der Pandamiebekämpfung nicht rund und oft unfair gelaufen ist. So konnte ich zum Beispiel nicht nachvollziehen, als die Sommerurlauber zu Hunderten in die Flieger gestiegen sind, um nach Malle zu fliegen, wir aber keine Konzerte spielen durften, trotz gut belüfteter Veranstaltungsräume mit bis ins Detail durchdachten Hygienekonzepten. Am Schlimmsten war und ist die finanzielle Situation für viele von uns Livemusikern. Jede der angedachten Hilfen ging direkt an uns vorbei, manchmal schloss man Schikane oder zumindest Vorsatz nicht aus. Da muss jetzt endlich nachgebessert werden. Ich finde, wenn uns der Staat ein durchaus gerechtfertigtes Berufsverbot erteilt, muss er sich aber auch um unseren finanziellen Unterhalt kümmern. Ich erinnere mich an die Elterngeldzeit – da gab’s 75 Prozent vom Durchschnittsumsatz der letzten drei Jahre. So etwas wäre für Solo-Selbstständige doch wirklich gut umsetzbar. Für Clubs und Veranstalter muss genauso gesorgt werden, denn wenn es euch nicht mehr gibt, entzieht uns das jede Grundlage, in Zukunft wieder arbeiten zu können."

 

Wolfgang Kalb, Bluesmusiker: "Ist schon richtig, dass die Bluestage verschoben wurden. Bis Ende März ist die Pandemie nicht vorbei. Als Musiker möchte ich natürlich lieber Konzerte geben und auf Tour gehen. Man muss sich auch selbst motivieren weiter zu planen, zu üben, Stücke zu entwerfen und anderes mehr. Diesen Lockdown müssen wir aushalten und auch anderweitig sinnvoll nutzen. Aber auch diese Krise geht vorbei und es gibt einen Neustart. Es muss nicht alles so werden wie vorher, soll es gar nicht, aber die Kreativität, besonders der Blues, lebt. Ich merke mir den 26. März 2022 vor und komme dann bestimmt und sehr gerne nach Roth. Nicht traurig sein, es geht weiter."

 

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