Pandemie-Besuch in Roth

Lizzy Aumeier: "Erst habe ich es als professionelle Alkoholikerin versucht"

Paul Götz

Roth

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4.12.2020, 12:00 Uhr
Lizzy Aumeier:

© Foto: Michael Matejka

Mit einer Wortwahl von satirischem Sarkasmus bis hin zu bitterem Ernst setzt sie sich mit ihrer neuen Job-Beschreibung auseinander. Der Sturz war tief. "Als das mit Corona losging, habe ich mich gerade auf eine Deutschlandtournee vorbereitet, Auftritte in Nordrhein-Westfalen, im Norden und im Osten der Republik, der Terminkalender war voll", schildert sie die Ausgangsposition, "dann ging alles ganz schnell von 100 auf Null, da bricht eine Welt zusammen."

Bei der Krisenbewältigung muss man auf die Zwischentöne achten: "Erst habe ich es als professionelle Alkoholikerin versucht, aber als Biertrinkerin schaffst du das nicht so schnell. Dann habe ich drei Wochen durchgeschlafen und bin von der Angst einer bevorstehenden Depression aufgewacht." Was sie da ironisch beschreibt, hat im Kollegenkreis dramatische Folgen gehabt: "Ich habe von unheimlich vielen Suiziden unter Artisten gehört".

Das zieht dich echt runter

Die unmittelbar anschließende Baustelle ist die Arbeitslosigkeit: "Da bin ich durch eine harte Lehre gegangen", gesteht die Tochter eines Gewerkschaftsfunktionärs, "Arbeitslosigkeit, so habe ich früher gedacht, pah, da renovierst deine Wohnung und räumst im Garten auf. Von wegen: Du fühlst dich alt, das zieht dich echt runter. Du hast Abitur gemacht und studiert und hörst plötzlich, dass du nicht systemrelevant bist. Das zieht dich total runter. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es Langzeitarbeitslosen geht."

Die Zahlen aus dem Frühjahr: 70 Auftritte abgesagt, keine Angestellten, kein Leasing, keine Pacht – also keine Staatsknete. "Seit März habe ich 2600 Euro verdient, dafür habe ich zweieinhalb Monate Krankenkasse bezahlt. Ich hab schon überlegt, ob ich in der Fußgängerzone spiele", witzelt die gelernte Bassistin, "aber Sulzbürg (da wohnt Lizzy Aumeier) hat keine Fußgängerzone".

Schinken und Schnaps

Die andere Seite war eine ungeahnte Hilfswelle: "Ich habe einige Carepakete bekommen. Da war Schinken drin, Kuchen, Schnaps und sogar Geld. Ein Veranstalter hat mir einen Vorschuss auf die Gage im nächsten Jahr angeboten, weil er mit mir immer ein volles Haus hatte. Und eine Witwe mit zwei Kindern wollte mir Geld leihen. Grad die, die selbst wenig haben, fühlen mit und sind großzügig."

In der Zwischenzeit gab es ein paar Mal die Bühne – mit neuen Erfahrungen. Die Fernsehaufzeichnung der "Ladies Night" in Köln fand unter verschärften Sicherheitsbestimmungen statt: "Der Aki (Ehemann Andreas Stock) musste mit dem Hund sechs Stunden auf dem Parkplatz warten und wir wurden alle zwei Minuten desinfiziert. Am schlimmsten war aber, dass das Publikum fehlte. Da kommt keine Energie zurück, der Flow, der normalerweise einsetzt, findet nicht statt."

Ähnlich ernüchternd war ein Auftritt im Fürther Stadion: "Der erste Zuschauer saß in 50 Metern Entfernung im Regen".

Nichtsdestotrotz, es gab Kultur – und deshalb stimmt Lizzy Aumeier in der Chor der Künstler ein, die der Politik vorwerfen, nicht nachvollziehbare Grenzen zu ziehen: "Theater und Gastronomie haben viel in Sicherheitskonzepte investiert und müssen trotzdem dichtmachen, während die Show im Profifußball weitergeht, wo sich Trainer ohne Maske auf der Bank drängeln." Warum sich so viele Menschen um die Maske drücken wollen, kann sie – so nebenbei – nicht nachvollziehen: "Die sind lästig, okay, aber auszuhalten."

Schwierig, kreativ zu sein

Sarkastisch hat Lizzy Aumeier den Antrag für Novemberhilfe registriert – und neben dem geplatzten Kufa-Auftritt weitere fünf Auftritte aus dem Dezember-Kalender gestrichen. Übrig blieb der Schlachthof. Zweimal bietet ihr der Bayerische Rundfunk eine Auftrittsmöglichkeit in dem Kulturtempel. Am 17. Dezember bei der Kabarettserie (21 Uhr) und am 31. beim Silvester Spezial mit Michl Müller (19.05 Uhr). Ihre Arbeitslosigkeit muss sie bis dahin mit Hirnakrobatik unterbrechen: "Momentan ist es schwierig, kreativ zu sein. Die Situation ändert sich ständig, ich weiß nicht, was in zwei Wochen sein wird. Vielleicht drückt das kleine, dicke Kind in Amerika auf den Knopf?"

Worauf sie sich verlassen kann, ist die Existenz von Verschwörungstheorien, das wird ihr Schlachthofthema sein. "Wenn der Mensch keine einfachen Antworten bekommt, dreht er durch", ist ihr soziologischer Unterbau dazu.

Bis zu den Feiertagen empfiehlt Lizzy Aumeier ihren arbeitslosen Mitmenschen und dem Rest der Welt TV-Konsum: "Ich bin medial momentan sehr präsent, weil der Fernseher alles wiederholt".

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