Messerattacke aus heiterem Himmel: 54-Jähriger schweigt zum Grund

1.3.2021, 14:06 Uhr
Messerattacke aus heiterem Himmel: 54-Jähriger schweigt zum Grund

© Martin Regner, NNZ

"Ja, ich habe ihm einen Schnitt verpasst", gibt Martin O. zu Prozessbeginn ohne Umschweife zu. Und dann beschreibt er sehr genau, wie er sich an jenem Abend von der Speisegaststätte auf den Weg nach Hause machte.

Eine Gruppe von drei Personen sei vor ihm gelaufen, zwei Männer und eine Frau. Er habe die Leute erkannt, sie seien in derselben Gaststätte wie er gesessen, an einem Nebentisch hatten sie Karten gespielt. Er lief hinter den Menschen her, und folgte ihnen auch noch, als er schon längst die Abzweigung zu seiner Wohnung hätte nehmen können. In der Max-Planck-Straße trat er plötzlich dicht hinter jenen Mann der in der Gruppe ganz rechts lief, legte ihm von hinten den Arm um den Hals und stach mit seinem Klappmesser auf den Hals des Mannes ein.

2000 Euro Schmerzensgeld

Laut und deutlich schildert Martin O. (Namen der Betroffenen geändert) seine Tat. Er entschuldigt sich, über seine Verteidiger Philipp Schulz-Merkel und Michael Löwe bietet er 2000 Euro Schmerzensgeld an - doch warum er plötzlich sein Taschenmesser aus der Gürteltasche zog und einen Mann, den er kaum kannte, verletzte, will er nicht erklären. Auch nach mehrfacher Nachfrage des Vorsitzenden Richters Markus Bader winkt er ab: "Dazu sag ich nichts."

"Ein dickes fettes Fragezeichen", so formuliert es Richter Bader, schwebe über diesem Strafverfahren, mit weiteren Nachfragen sollen in der 19. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zumindest die Stunden vor der Tat rekonstruiert werden.

Martin O. lebt als Frührentner von 1000 Euro im Monat, er hatte an jenem Tag die Kündigung seiner Wohnung erhalten. Von einer richtigen Wohnung könne eigentlich gar nicht die Rede sein, erklärt er selbst, es sei eine eher behelfsmäßige Unterkunft gewesen, zum Wohnen letztlich nicht geeignet. Als ein Mitarbeiter des Landratsamtes vor Ort war, wurde der ungenügende Brandschutz gerügt, letztlich sah sich der Vermieter gezwungen, die Kündigung auszusprechen. An jenem Abend wollte Martin O. seinen Ärger ertränken. Gegen 17 Uhr ging er in das Wirtshaus, bestellte ein Cordon bleu mit Kartoffelsalat, trank sechs bis sieben Bier, jeweils halbe Liter und vier Schnäpse.

"Ich habe mich eigentlich ganz gut gefühlt"

"Natürlich hab` ich gedacht, dass ich jetzt wohl unter der Brücke schlafen muss. Ich habe die Wirtin gefragt, ob sie mir vielleicht ein Zimmer vermieten kann, das war leider nichts." Die damaligen Corona-Regeln diktierten um 22 Uhr den Feierabend in der Gaststätte. Als er nach Hause ging, so sagt Martin O. "habe ich mich eigentlich ganz gut gefühlt." Er sei keiner, der sturzbetrunken in eine Ecke fällt. Und eigentlich wisse er immer, wann er aufhören muss.

Was auf dem Weg in seinem Kopf vor sich ging, will er heute ausdrücklich nicht erklären. Doch er bestätigt die Vorwürfe der Anklage: "Vor mir sind die drei Leute gelaufen. Ich kam von hinten, habe mein Messer genommen und dem Mann einen Schnitt verpasst. Aber ich wollte ihn nicht umbringen".

"Ich bin froh, dass die Sache so ausgegangen ist"

Das "dicke fette Fragezeichen", das Richter Bader beklagt, irritiert auch den Geschädigten Kurt N. "Unverständlich" nennt er die ganze Situation. Der 60-Jährige, er gibt als Beruf Kraftfahrer an, kennt den Angeklagten kaum. Wir sind beide Motorradfahrer, sagt er. Dies sei die einzige Gemeinsamkeit, einmal hätten sie sich über eine Kawasaki unterhalten.

Ein wenig mulmig sei ihm seit der Messerattacke allerdings schon. Laufen Menschen hinter ihm, lasse er sie vorbei, doch unter Albträumen leide er nicht. "Ich bin froh, dass die Sache so ausgegangen ist." Einzig die rechte Wange, dort traf ihn die Klinge, sei bis heute taub. Die Entschuldigung und das angebotene Schmerzensgeld nimmt er an, doch auch er wartet vergeblich auf eine Erklärung.

Ist es pures Glück, dass er noch am Leben ist? Darüber wolle er nicht nachdenken, entgegnet Kurt N. auf Nachfrage des Richters. Kurt N. konnte den Angriff stoppen, bevor ihn weitere Stiche trafen. Er rang Martin O. nieder, setzte sich auf dessen Körper.

"Ich stech´ mich ab!" oder "Ich stech´ dich ab!"

Laut Anklage wehrte sich Martin O. heftig: "Lass mich los, ich stech´ dich ab!" soll er gerufen haben. Es ist der einzige Vorwurf, den Martin O. bestreitet: Angeblich habe er realisiert, was er getan hatte. Und weil ihm klar wurde, dass er nun im Gefängnis landen würde, wollte er sich das Leben nehmen. "Lass mich los, ich stech´ mich ab!" will er geschrien haben, sein Suizid-Versuch scheiterte demnach nur, weil ihm das Messer entwunden wurde.

Durch den Lärm auf der Straße waren Anwohner aufmerksam geworden und alarmierten die Polizei. Martin O. hatte zum Tatzeitpunkt 1,81 Promille, in seinem Blut wurden auch Antidepressiva und mehrere Beruhigungsmittel nachgewiesen. Er sitzt seit jener Nacht in U-Haft. Der Prozess wird fortgesetzt.