Roth: In Sachen Rollstuhltauglichkeit gibt es noch viel zu tun

4.6.2014, 15:13 Uhr
Roth: In Sachen Rollstuhltauglichkeit gibt es noch viel zu tun

© Stefanie Graff

Beide Erfahrungen teilt Dr. Paul Rösch, Vorsitzender des Inklusionsnetzwerkes und selbst teils auf den Rollstuhl angewiesen. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns, wenn wir Inklusion ernst nehmen.“ Das werde viel Arbeit und Geld kosten. Aber es habe sich – auch durch Impulse, die das ehrenamtliche Netzwerk gegeben hat – schon einiges bewegt in der Stadt. Besonders begeistert sei er darüber, dass sich die junge Generation nun des Themas annehme.

Bei Neigung kaum zu halten

Tagelang waren die Elftklässler in kleinen Gruppen unterwegs und haben mit Rollstühlen Straße für Straße abgefahren. Sowohl die Innenstadt als auch Wohngebiete wurden untersucht. Begleitet wurden sie dabei zunächst von „Rollstuhl-Profis“, die im Inklusionsnetzwerk aktiv sind und die Jugendlichen erst einmal dafür sensibilisierten, worauf es ankommt.

Schnell haben die jungen Leute „er-fahren“, dass es mehr Probleme gibt als zunächst angenommen. „Viele Hindernisse nimmt man als Fußgänger gar nicht wahr“, war eine elementare Einsicht. Wen stört es schon beim Laufen, wenn sich der Gehsteig leicht zur Fahrbahn neigt? „Einen Rollstuhl kann man da kaum halten.“

Beispiel Münchener Straße, stadtauswärts: „Auf der linken Seite steht ein Haus so weit in den Gehweg rein, dass ein Rollstuhl theoretisch grade so durchpassen würde. Aber der Gehweg hat eine so starke Neigung, dass es einen beim Durchfädeln unweigerlich auf die Straße zieht.“

Auf der anderen Straßenseite heißt es dagegen „Slalom fahren“ – um Treppen, die zu Hausaufgängen führen. Für einen Rollstuhlfahrer mit kräftiger Begleitung ist der Weg aus der Innenstadt Richtung Süden (wo Friedhof, das Haus der Diakonie, das Schulzentrum mit den Sportanlagen, Wohngebiete, Geschäfte, Arztpraxen und Apotheken sind) gerade so zu schaffen. Allein oder gar mit einem breiteren elektrischen Rollstuhl? „Keine Chance“, sind sich die Jugendlichen und Dr. Paul Rösch einig.

Spätestens, wenn einem eine Familie mit Kinderwagen entgegenkommt, geht gar nichts mehr. Dafür gibt es ganz klar ein rotes „X“ auf der Karte. Genau wie für die Ausfallstraße vom Willy-Supf-Platz Richtung Norden. Weder auf der einen noch auf der anderen Fahrbahnseite der Nürnberger Straße ist der Gehsteig durchgängig für Rollstuhlfahrer passierbar. Mal ragt ein Gebäude in den Weg, mal steht da ein Ampelpfosten, mal wird’s abschüssig oder uneben.

Das bedeutet: Für die auf den Rollstuhl angewiesenen Anlieger der südlichen Wohngebiete – dazu gehören unter anderem die Bewohner eines Wohnheimes für Behinderte in der Matthias-Gesner-Straße und bald auch die Bewohner der 24 Wohnplätze einer gerade entstehenden Einrichtung an der Schlesierstraße – ist die Innenstadt ohne Auto kaum zu erreichen.

Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Aber erstmals erhält das städtische Bauamt durch die Kartierung der Oberstufenschüler eine flächendeckende Bestandsaufnahme. Deshalb hat die Behörde das P-Seminar unter Leitung von Kerstin Hölzel auch gerne unterstützt. Die Schülergruppe wird ihre Ergebnisse sogar in einer Stadtratssitzung präsentieren.

Dass die Stadt sich um mehr Barrierefreiheit bemüht, sieht man überall da, wo Straßen und Gebäude neu entstehen: „In Neubaugebieten haben wir überall abgesenkte Gehsteige gefunden.“ Von 45 untersuchten Gebäuden haben immerhin 15 einen grünen Haken für Barrierefreiheit erhalten. Und die Praxisklinik in der Gartenstraße bekommt ein ausdrückliches Lob für ihre rollstuhlgerechte Bauart.

Die Behindertentoilette am Parkdeck unterhalb des Schlosses lobt Rösch als „positives Zeichen“. Dass an den Eingängen zu einigen Geschäften zusätzliche Handläufe montiert wurden, hebt er ebenfalls hervor. Auch die gut erreichbare neue Klingel am Eingang zum Schlosshof begrüßt Rösch. Endlich könnten sich Rollstuhlfahrer, die in die Stadtbibliothek möchten, ohne Probleme bemerkbar machen.

„Wir wissen, wo es hakt“

„Alles Hinweise darauf, dass die Anforderungen des Inklusionsgedankens langsam in den Köpfen ankommen“, freut sich der Rother, dessen Verein mittlerweile bei allen Baumaßnahmen der Stadt beratend hinzugezogen wird. Er hofft darauf, dass sich das Versprechen des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, den öffentlichen Raum bis 2023 barrierefrei zu machen, in einem großzügigen Investitionsprogramm niederschlagen wird. Dann sieht Paul Rösch seine Heimatstadt gut vorbereitet. „Wir wissen genau, wo es hakt.“

Die Schülerinnen und Schüler des P-Seminars wollen es indes nicht dabei belassen, Mängel aufzuzeigen, sondern auch bewirken, dass Rollstuhlfahrer die Stadt positiv erleben. „An den meisten Gegebenheiten können wir selber nichts ändern, aber wir planen zum Abschluss unseres Projektes in der Innenstadt einen rollstuhlgerechten Geocache zu legen. Das ist unser kleiner Beitrag, etwas besser zu machen.“

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