Schwere Krankheitsfälle und Todesopfer: Als wär’s Corona

12.1.2021, 06:00 Uhr
Schwere Krankheitsfälle und Todesopfer: Als wär’s Corona

© Foto: imago

Im Herbst 1871 wurden mehrere schwere Krankheitsfälle gemeldet, bis zum Frühjahr 1872 bekam man das Infektionsgeschehen nicht in den Griff. Am Ende standen 45 Typhus-Infektionen, elf davon verliefen tödlich.

Der Grund waren damals die hygienisch katastrophalen Verhältnisse in mehreren Häusern des Altorts direkt am Schwarzachufer im Überschwemmungsgebiet und mit Mauern im Grundwasserbereich. Das ergab später eine medizinische Studie.

Eine Pandemie wie derzeit "Corona" war der Typhusausbruch im Winter 1871/72 zwar bei weitem nicht, das Ereignis rief dennoch damals die überörtlichen Behörden auf den Plan wie die Akten im Nürnberger Staatsarchiv bis heute belegen.

Ludwig Weber, ein Aktivposten im Archivkreis des Wendelsteiner Heimatvereins und zugleich Mitarbeiter im Staatsarchiv, hat sich vor mehreren Jahren dieses Themas angenommen und im Jahresheft 2011 des Archivkreises seine Forschungen veröffentlicht. Der Artikel von 2011 ist aus aktuellem Anlass und zum Ver-gleich mit den Ereignissen 1871 auch Hauptquelle für diesen Bericht.

Gefürchtete Epidemie

Als Krankheitsbild war Typhus im 19. Jahrhundert bereits bekannt und gefürchtet, die medizinische Grundlagenforschung nach dem Erreger dazu steckte aber vor 150 Jahren noch in den Kinderschuhen. Auch deshalb waren unregelmäßig wiederkehrende Typhusausbrüche in den Gemeinden und Städten gefürchtet, da oft auch Todesfälle damit verbunden waren. In den Jahrzehnten vor 1900 war keine Kommune sicher davor, und in Wendelstein war der Typhusausbruch über den Winter 1871/72 keineswegs der einzige Fall – wohl aber in der Region Nürnberg damals der schlimmste.

Wie und wo genau im Wendelsteiner Altort die Typhusbakterien in die Häuser "eindringen" konnten, ist nicht klar. Die Todesfälle konzentrierten sich aber auf zwei Häuser.

Schwere Krankheitsfälle und Todesopfer: Als wär’s Corona

© Foto: Jörg Ruthrof

Offiziell ist erstmals im Oktober 1871 von einer ungewöhnlichen Häufung von Krankheits- und bereits vier Todesfällen innerhalb von 14 Tagen die Rede, als die Wendelsteiner Gendarmeriestation diese Vorfälle beim Bezirksamt (Landratsamt) in Schwabach meldet. Der zuständige Bezirksamtsarzt Dr. Valentin Küster (er wäre heute Leiter des Gesundheitsamts) wurde mit der Klärung beauftragt und erkannte zunächst nicht das wahre Ausmaß der Lage: Er habe bereits Kenntnis darüber vom Wendelsteiner Arzt Dr. Karl Lehner darüber erhalten. Die Fälle würden sich nur auf zwei Häuser im Altort beziehen – überörtliche Hilfe sei also nicht erforderlich.

Entwarnung kam zu früh

Die Entwarnung kam jedoch zu früh, denn im November 1871 meldete die Gemeindeverwaltung Wendelstein ans Bezirksamt, dass inzwischen sieben Personen an Typhus gestorben und weitere daran erkrankt seien. Jetzt wurde Dr. Küster beauftragt, gemeinsam mit seinem Wendelsteiner Kollegen die Situation vor Ort noch einmal zu erkunden.

Am 15. November 1871 berichtete er, dass in Wendelstein seit August 1871 insgesamt 18 Personen an Typhus erkrankt waren und zusätzlich sieben gestorben waren. Die Behandlung der Kranken sei bisher durch Dr. Lehner und zusätzlich durch den Nürnberger Arztkollegen Dr. Schobig erfolgt. Nach damals aktuellem Wissen hatten beide bei Ausbruch der Krankheit für die Patienten Isolation im Spital angeordnet, sorgfältiges Belüften der Zimmer und auch der Wohnräume der Angehörigen und weitere Hilfsmittel wie Desinfektionsmaßnahmen und das Aufstellen von Chlorkalkbrei.

Sanitätspolizeiliche Verordnung

Bis zum Dezember hatte sich die Zahl der Erkrankungen wenigstens verlangsamt. Noch im Unklaren über die Art der Weiterverbreitung der Bakterien und neuer Infektionen ließen die verantwortlichen Ärzte deshalb zur Vorbeugung weiterer Krankheitsfälle staatliche bayerische "sanitätspolizeiliche Verordnungen" mit einschränkender Wirkung umsetzen.

Erstaunt hatten die Ärzte erfahren, dass alle bisher verstorbenen zehn Wendelsteiner Typhusopfer in traditioneller Weise zunächst noch zum Abschiednehmen offen aufgebahrt und mit teilweise großer Beteiligung öffentlich beerdigt worden waren.

Durch die sanitätspolizeilichen Verordnungen wurde deshalb bis zum Ende der "lokalen Epidemie" das sichtbare Aufbahren verboten, Beerdigungen durften nur noch still im kleinen Kreis stattfinden – vor allem nur noch in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden.

Die Maßnahmen griffen offenbar: Bis zum 31. Dezember 1871 war danach nur noch ein weiteres Todesopfer durch den Typhusausbruch zu beklagen.

Erfreut über das Abklingen der Erkrankungen berichtete Dr. Karl Lehner im Januar 1872 nach Schwabach, die örtliche Epidemie gehe "… ihrem Ende entgegen ..." und schon sein nächster Bericht vom Februar 1872 kündigt das baldige Ende aller Krankheitsfälle an. Die Erkrankten waren alle ins Schwabacher Spital gebracht worden, weshalb ein wesentlicher Aspekt der weiteren Schriftwechsel ab Frühjahr 1872 der Kostenfrage für Aufenthalt und Behandlung im Spi-tal in Schwabach galt.

Insgesamt waren damit in Wendelstein 45 Personen an Typhus erkrankt und elf daran gestorben. Wendelstein hatte damals etwa 1300 Einwohner insgesamt.

In den Wendelsteiner Typhusherden war damit zunächst die Gefahr abgemildert, aber noch nicht komplett gebannt. Bereits 1875 gab es dort wieder Typhuserkrankungen – zum Glück ohne Todesfälle – erst weitere fünf Jahre später wurde der eigentliche Erreger dafür entdeckt.

Idealer Angriffspunkt

Der Typhus-Erreger ist ein widerstandsfähiges Bakterium, das über verunreinigte Lebensmittel oder Wasser in den Körper gelangt. Umstände wie Mangelernährung oder ein geschwächter Organismus bieten ihm ideale Angriffspunkte. Zuhause sind die Bakterien es im Flusswasser, im Uferschlamm und in Dünge- und Ackererde, wo es ausgetrocknet auch lange überleben kann.

In Wendelsein fand der Erreger einen idealen Nährboden: Das sogenannte "Schlösschen" oder "Pfinzingschloss" an der Schwarzach war als früherer Herrensitz mit alter Bausubstanz und Grundmauern im Hochwasserbereich seit langem in bürgerlichem Besitz und vermietet: Bis unters Dach gab es mehrere einfachste Mietwohnungen vor allem Handwerker- und Arbeiterfamilien. Erst nach den Typhusfällen der 1870er Jahre und auch aufgrund der Baufälligkeit wurde das "Schlösschen" radikal umgebaut und erhielt seine bis heute erhaltene vereinfachte Gestaltung mit Fachwerkgiebeln.

Keine Kommentare