Vom Wehrpflichtigen zum Herrn aller Socken

26.6.2019, 16:19 Uhr
Vom Wehrpflichtigen zum Herrn aller Socken

© Foto: privat

Bieberle verstand es, seine Erinnerungen mit Anekdoten aufzulockern. Zunächst erinnerte er an den 15. August 1956, als die ersten freiwilligen Soldaten der Luftwaffe in den Fliegerhorst Roth einberufen wurden. "Der denkwürdige Tag war nicht nur die Geburtsstunde der Bundeswehr-Garnison Roth, sondern der Beginn einer guten Zusammenarbeit zwischen der Stadt Roth und den Soldaten", hob Bieberle hervor. "Am Sonntag, 11. November 1956, marschierten die Soldaten erstmals auf dem beflaggten Marktplatz in Roth auf, um sich der Bevölkerung vorzustellen" — von Anfang an bemüht, Kontakt zur Zivilbevölkerung zu finden und ein gutes Verhältnis zwischen Garnison und Öffentlichkeit herzustellen.

Kurz skizzierte der Referent seinen Lebenslauf: geboren im Sudetenland, Vater im Krieg gefallen, Mutter vertrieben, in Oberfranken gelandet, Lehre als Betriebsschlosser, bis 1964 Aufenthalt in der Schweiz, um im Hotelgewerbe zu lernen. Dann kam am 1. April 1965 der Einberufungsbescheid der Bundeswehr nach Goslar. Bis 1968 war Bieberle in Fürstenfeldbruck stationiert.

In Nürnberg traf er einen Offizier am Bahnhof, der in Roth stationiert war und der ihn ermunterte, sich für die Kaserne Roth zu bewerben. "Ich schrieb zwei Versetzungsgesuche, im November 1969 bin ich nach Roth gekommen", erzählte er. "Der Zug hielt gegen 23.30 Uhr in Roth, kein Mensch war zu sehen. So ging ich über die Schienen in die Bahnhofswirtschaft, in der noch Licht brannte." Ein hilfsbereiter Mann fuhr ihn mit dem Auto zum Fliegerhorst, wo er sich bei der 5. Kompanie meldete und übernachtete. Dann kam er in die 7. Kompanie des 2. Bataillons.

"Hatte vorher ruhigen Job"

"Ich wusste nicht, auf was ich mich eingelassen hatte", bekannte Bieberle, "ich hatte vorher einen ruhigen Job und war jetzt plötzlich in einem Kompanie-Nachschub gelandet." Bieberle machte Bekanntschaft mit der 6., 5. und 8. Kompanie. "Als Oberfranke war es schwierig, sich hier wohlzufühlen", erinnerte er sich, "ich bin mit einem Kumpel nach Roth zum Einkaufen mit dem Auto gefahren. Wir parkten am Marktplatz und hatten Rabattmarken, mit denen man Preisnachlässe bekam – der Sold beim Bund war ja nicht gerade berauschend."

Viel sei im Fliegerhorst gebaut worden, blickte Bieberle zurück: Das "Hochhaus", in das die Kleiderkammer kam. Bieberle wechselte in die Kleiderkammer im Regimentstab und war nun "Herr aller Socken". Da bekam er Probleme mit dem "Spieß", weil er ihm die Olympia-Unterwäsche verweigerte, mit der 1972 alle zur Olympiade in München ausgestattet wurden. "Ich kam dann ins 1. Bataillon, in dem ausgerechnet der Spieß saß, dem ich die Unterwäsche nicht geben wollte."

Wie er seine spätere Frau kennenlernte, erzählte er auch: "Ich sollte einen Tanzkurs in Roth besuchen. Also ging ich zum Wöhrl, um mir ein Hemd zu kaufen", schmunzelte Bieberle, "da lernte ich eine echte Rotherin kennen, in die ich mich verliebte; irgendwann machte ich ihr einen Heiratsantrag." Wie er seien Hunderte von Soldaten in Roth geblieben.

Die Bundeswehr habe viele Wohltätigkeitsveranstaltungen organisiert — für den Auhof, das Wichern-Haus in Altdorf oder die Gehörlosen in Zell — "bis 1992." 1971 habe man mit den beliebten Faschingsbällen angefangen. "Es kamen bis zu 1000 Besucher in die Mehrzweckhalle", so Bieberle, "in Roth war die Hölle los."

Auch am Volkswandertag hätten sich die Soldaten beteiligt. Beliebt sei da der Eintopf der Bundeswehr gewesen. Nicht zu vergessen: "Wir haben Vogelhäuschen aufgestellt und den Trimm-dich-Pfad am Weinberg gebaut."

In der Kaserne hätten damals 2400 Soldaten gelebt; zusammen mit dem Heer seien es 2800 Soldaten gewesen. "Wenn wir Übungen im Wald machten, haben die Bauern eine Entschädigung bekommen", berichtete Bieberle. Unvergesslich sei ihm, dass er damals seinen Ehering im Wald verloren hatte. Wie durch ein Wunder wurde der Ring ein halbes Jahr später wieder gefunden.

Auch viel Prominenz habe der Rother Kaserne einen Besuch abgestattet. Bieberle nannte den Sohn von Franz Josef Strauß, Minister Dollinger, Hemut Schmidt, Richard Stücklen, Alfons Goppel und Peter Altmaier, heute Bundeswirtschaftsminister, damals Fähnrich in Roth.

Das 1. Bataillon habe jährlich 600 Soldaten ausgebildet, berichtete der dritte Bürgermeister. "Alle Soldaten, die uns verließen, sagten: `Roth war gut´." 1992 wurde er nach Fürstenfeldbruck versetzt. Als er Hauptfeldwebel wurde und zurück nach Roth kam, war er bei der Versorgung tätig. 1998 ist Heinz Bieberle aus der Bundeswehr ausgeschieden. Bei seiner Entlassung wurde er mit einem Orden geehrt. Ursprünglich Wehrpflichtiger mit 18 Monaten, habe er sich dann auf sechs Jahre verpflichtet und wurde Berufssoldat.

"Wir haben 6000 Unterschriften gesammelt für den Erhalt des Standortes Roth, doch eines Tages wurde das Licht ausgemacht, und alle Räder standen still", bedauerte der 74-jährige abschließend. "Man hatte uns immer versprochen: Der Fliegerhorst bleibt erhalten, doch an dieses Versprechen hat man sich nicht gehalten." 2023 tue sich jedoch wieder etwas, wenn die Offiziersschule öffne. "Mit 700 Lehrgangsteilnehmern kommt frischer Wind nach Roth", prophezeite er, "man darf bloß den Mut nicht verlieren. Wer nicht in die Zukunft blickt und kein Vertrauen hat, der hat schon verspielt." Und: "Haltet eure Enkelinnen fest, wenn die Offiziersschule nach Roth kommt!"

Keine Kommentare