Vor 75 Jahren: Beamte mit Nazi-Vergangenheit mussten gehen

26.4.2020, 06:07 Uhr
In den letzten Kriegstagen in Roth sprengten deutsche Soldaten drei Brückenbauwerke. Die Wiederherstellung der Bahnunterführung beim Bahnhof, damals einzige innerstädtische Verbindung zum Weinberg und Krankenhaus, dauerte am längsten. Große Mengen Schutt mussten von Hand heraus geschippt werden.

© RHV-Archiv In den letzten Kriegstagen in Roth sprengten deutsche Soldaten drei Brückenbauwerke. Die Wiederherstellung der Bahnunterführung beim Bahnhof, damals einzige innerstädtische Verbindung zum Weinberg und Krankenhaus, dauerte am längsten. Große Mengen Schutt mussten von Hand heraus geschippt werden.

Um nach dem Ende der Nazi-Diktatur die Demokratie in Roth wiederzubeleben, gründete der von der amerikanischen Militärregierung kommissarisch eingesetzte Bürgermeister Ernst Supf zunächst eine Reihe von Kommissionen. Unter anderem für den Wohnungsbau und die Wohlfahrt. Anfang Mai 1945 nahm zudem ein städtischer Beirat seine Arbeit auf, dessen Zusammensetzung Supf mit dem damaligen Vorsitzenden der Rother SPD, Xaver Meisinger, abstimmte. Margarete Treiber, Heinrich Pürner, Karl Engelhardt und Xaver Meisinger vertraten in diesem Beirat die Arbeitnehmerschaft, Helene Feiner die Angestellten. Vertreten war zudem das Gewerbe (Fritz Stengel und Fritz Forster), der Handel (Karl Lades), die Landwirtschaft (Georg Lösel), dann Lehrer und Beamte (Johann Wegerle), Industrie (Ernst Supf) und Kultur (Heinz Hench).

Straßen bekamen alte Namen zurück

Die Arbeit des wöchentlich tagenden Beirates, der die Meinung der Stadtverwaltung in die Öffentlichkeit trug und im Gegenzug Anregungen aus der Bevölkerung entgegennahm, bezeichnete Ernst Supf in seinem schriftlichen Rückblick als "außerordentlich wertvoll". Unter anderem billigte der Beirat den Vorschlag des Bürgermeisters, das ehemalige Friedrich-Ebert-Denkmal im Eigenheim in Form eines Brunnens wieder erstehen zu lassen. Diesen Brunnen hatten die Nationalsozialisten schon bei ihrer Machtübernahme im Jahr 1933 abgerissen und dafür ein Horst-Wessel-Denkmal errichtet. Auf Geheiß von Bürgermeister Supf erhielten zudem zwei Rother Plätze und 14 Straßen ihren ursprünglichen Namen zurück. Eine von den Nazis vorgenommene Platzwidmung wurde gänzlich aufgehoben.

Mit Heinrich Pürner wurde ein Mitglied des Beirats zum 2. Bürgermeister und wenig später zum neuen Leiter der Stadtwerke ernannt. Dem ersten Beauftragten für die Stadtwerke, August Zink, bescheinigte Supf, Großartiges geleistet zu haben. In der zweiten Hälfte des Jahres 1945 öffneten zunächst das Amtsgericht und das Notariat Roth wieder ihre Tore. Die Post musste sich dagegen lange auf einen Notbetrieb im Gasthaus "Zum goldenen Ochsen" in der Städtlerstraße und im alten Rathaus beschränken. Bei der Zulassung eines Telefons war im Übrigen die politische Zuverlässigkeit des Antragstellers ausschlaggebend. Zugfahrten auf der Strecke zwischen Nürnberg und Treuchtlingen waren ab Juli 1945 wieder möglich. Aber nur in einem sehr beschränkten Umfang. Zudem durften in den sogenannten Arbeiterzügen nur Berufspendler mit Sonderausweis befördert werden.


In den letzten Kriegstagen: Schrank wurde zur tödlichen Falle.


Die Gredl-Bahn, die Greding mit Roth verband, kam ebenfalls wieder ins Rollen. Dass der Bahnbrücke über das Rednitztal südlich des Rother Bahnhofs im Gegensatz zu Steinerner Brücke, Rednitzbrücke und Bahnunterführung die Sprengung durch deutsche Soldaten erspart geblieben war, erleichterte die Wiederaufnahme des Bahnbetriebs dieser Lokalbahn. In den Notzeiten der ersten Nachkriegsjahre wurde die rund 50 Kilometer lange Strecke der Gredl von vielen Rothern regelmäßig genutzt, um auf dem Land Lebensmittel zu ergattern. Hans Enzingmüller erinnert sich noch gut an die vielen Hamsterfahrten mit seiner Mutter. Meist war die Thalmässinger Gegend das Ziel.

Wie wuchtige Urwelt-Ungeheuer

Beim Einmarsch der Amerikaner am 20. April 1945 hatte die Gredl-Brücke über die Rednitz eine ganz besondere Rolle gespielt. Die alliierten Kräfte benutzten mit ihren Panzern den Gleiskörper samt Brücke, um über die Münchener Straße (damals die Reichsstraße 2) in die Stadt zu gelangen. Gerhart Honig konnte als Bub durch die Rollladenritzen in einem Haus in der Nähe des Friedhofs mit verfolgen, wie sich am Nachmittag die Panzer auf dem Gleiskörper in nicht enden wollender Folge heranschoben. Viele Jahre später hat er seine Erinnerungen an diese dramatische Entwicklung im Sonderheft der heimatkundlichen Schriftenreihe des Landkreises Roth beschrieben. Wie wuchtige Urwelt-Ungeheuer habe er die olivfarbenen Fahrzeuge mit dem aufgemalten weißen Stern empfunden, schrieb Honig. "Die Rohre ihrer Kanonen waren drohend auf die umliegenden Häuser gerichtet. Nach wenigen Metern Fahrt hielten die Ungetüme an und schwenkten sichernd die Rohre hin und her. Die Luken der Panzer waren geschlossen. Zwischen den Panzern rollten Lastwagen und Geschütze; Jeeps krochen in der Kolonne sowie auffallend viele Fahrzeuge mit dem Zeichen des Roten Kreuzes." Soweit der Bericht von Dr. Gerhart Honig, der sich am Ende seiner Ausführungen an die von den Besatzern verhängten Ausgangsbeschränkungen erinnerte sowie an die Pflicht, an jede Haustür eine Liste aller Bewohner anzubringen.


Vor 75 Jahren: US-Bomber drehten im letzten Moment ab.


Ein gutes Vierteljahr nachdem amerikanische Panzer über die Gredl-Brücke gerollt waren, gaben die Besatzer die ersten öffentlichen Einrichtungen an die inzwischen ins Leben gerufene Zivilbehörde zurück. Dazu zählte auch der städtische Kindergarten in der Städtlerstraße. Rund 120 Kinder konnte der Hort aufnehmen. Die Wiedereröffnung der achtklassigen Volksschule an der Gartenstraße ließ aufgrund von personellen Schwierigkeiten bei der Bildung eines Lehrkörpers bis September auf sich warten. Die Eröffnung der Verbandsberufsschule und der Landwirtschaftsschule erfolgte ein Vierteljahr nach der Aufnahme des Volksschulbetriebs. Generell litt der Schulbetrieb in der kalten Jahreszeit unter dem allgemeinen Mangel an Heizmaterial. Zudem waren nicht alle Klassenzimmer mit Öfen bestückt. Volksschule und Berufsschule halfen sich gegenseitig mit beheizten Räumen aus. Handarbeitskurse und Religionsunterricht verlegte man in beheizte Gaststättenräume. Die Kohle war zu dieser Zeit ein rares Gut.

Ernst Supf wurde von den Amerikanern zum kommissarischen 1. Bürgermeister der Stadt Roth ernannt und führte die Stadt nach der Befreiung vom Nationalsozialismus zurück zur Demokratie.

Ernst Supf wurde von den Amerikanern zum kommissarischen 1. Bürgermeister der Stadt Roth ernannt und führte die Stadt nach der Befreiung vom Nationalsozialismus zurück zur Demokratie. © Foto: Pühn

Vorrang bei der Verteilung des knappen Heizmaterials hatten Versorgungsbetriebe wie Bäckereien, Metzgereien und Gaststätten. Im Gegensatz zu diesen "systemrelevanten" Einrichtungen mussten die Haushalte von Privatpersonen den Winter über mit drei Ster Holz auskommen. Insgesamt 7000 Ster Holz schlugen Forstamt und städtische Mitarbeiter in den Wäldern um Roth. Im Stadtgebiet hatte man mehrere Holzlagerplätze angelegt. Für den Transport des Holzes stellten die Besatzungsbehörden täglich bis sechs Lastwagen zur Verfügung. Von diesen Lagerplätzen holte die Bevölkerung dann das Brennmaterial im Handleiterwagen ab. Auch Torf diente als Heizmaterial. So wurden vor dem ersten Nachkriegswinter über 4000 Zentner Torf gestochen. Die Kohle als klassisches Heizmaterial stand nicht zur Verfügung. Umso mehr freute es Bürgermeister Supf, dass das Gaswerk in relativ kurzer Zeit wieder in Gang gesetzt werden konnte. Nur zwei weitere Gaswerke in Bayern gingen nach dem Krieg ebenso schnell wie die Rother Einrichtung wieder in Betrieb. Allerdings funktionierte die Gasversorgung in Roth von Mitte Juni 1945 bis Anfang August nur stundenweise. Zwischendurch musste das Gaswerk noch einmal geschlossen werden, ehe es ab Mitte September keine Einschränkungen mehr gab.

Die Geldinstitute nahmen ab Juni 1945 ihre Arbeit wieder auf, wobei sie von der Militärregierung angehalten wurden, besonders das gesperrte Vermögen von Nazis im Auge zu behalten. Als Währung dienten zunächst die Marknoten der Alliierten Militärbehörden, die bekanntlich ab dem 21. Juni 1948 von der Deutschen Mark abgelöst wurden. Die Städtische Sparkasse profitierte im zweiten Halbjahr 1945 bereits wieder von steigenden Einnahmen.

Geld war Mangelware

Bei der Stadtverwaltung dagegen war Geld Mangelware, da man (noch) nicht auf Steuereinnahmen zurückgreifen konnte. Mit allerlei Gebühren - beispielsweise für die Ausgabe von Registrierkarten, Ausweisen, Fahrradkarten sowie für das Ausstellen von Bescheinigungen - verschaffte sich die Stadt eine erste Einnahmequelle. Der Verkauf von Amtsblättern kam ebenfalls der Stadtkasse zu gute. Außerdem wurden laut Ernst Supf die von der Stadt bei der Militärbehörde eingereichten Rechnungen für "Besatzungskosten"" meistens anstandslos beglichen.

Am stärksten war der Einfluss der amerikanischen Besatzungsbehörde bei den Maßnahmen zur Entnazifizierung zu verspüren. Die amerikanische politische Polizei (CIC) war in der ersten Nachkriegszeit sehr aktiv gewesen, berichtete Supf. "Es setzten immer wieder stoßweise Verhaftungswellen ein, die einmal Mitglieder der SS, ein anderes Mal nationalsozialistische Amtsträger oder auch Männer der Wirtschaft betroffen hatten", heißt es in der Niederschrift des Bürgermeisters, die dieser Zeitung vorliegt. Supf stellte dabei klar, dass Verhaftungen vorgenommen wurden, ohne davor die Stadtverwaltung anzuhören oder zu unterrichten. "Von Seiten der Stadt war es unmöglich, zu beurteilen, aus welchen Gründen die Amerikaner Maßregelungen getroffen haben."


75 Jahre Kriegsende: Als Roth vor dem Verhungern war.


Geschockt hat viele Rother Familien vor allem, dass von der Besatzungsbehörde in der ersten Nachkriegszeit ehemalige deutsche Soldaten scheinbar willkürlich ausgewählt, vor dem Rathaus zusammengetrieben und in ein Kriegsgefangenenlager transportiert wurden. Darunter der fünffache Familienvater Hans Kiesel. Ein Mittvierziger, der schon im Ersten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft geraten war, später in seiner Heimatstadt Roth für sein Eintreten für Juden zusammengeschlagen wurde und im Zweiten Weltkrieg nur noch in der Verwaltung beschäftigt war. In einem französischen Gefangenenlager zog sich Hans Kiesel aufgrund der dort herrschenden unsäglichen Zustände ein Magenleiden zu, an dem er nach seiner Heimkehr verstarb. Mehr Glück hatten Hans Popp, in späteren Jahren als Bauunternehmer maßgeblich am Wiederaufbau Roths beteiligt, und Heinrich Himmelein. Ihnen war beim Transport in die Gefangenschaft die Flucht gelungen.

Personeller Engpass in der Verwaltung

In der Rother Stadtverwaltung war es in der ersten Nachkriegszeit zu einer Reihe von personellen Umbesetzungen gekommen. Für ehemalige Nationalsozialisten durfte es keinen Platz mehr geben. Binnen eines halben Jahres wurden insgesamt 26 Beamte und Angestellte entlassen. Zwölf davon waren Lehrkräfte. "Ersatz zu finden war schwierig", resümierte Ernst Supf in seinem ersten Bericht als Bürgermeister. Erst durch Rückkehrer aus dem Feld hätte sich die personelle Situation etwas entspannt, so Supf. Der Bürgermeister schilderte in diesem Zusammenhang, wie er als "Sofortmaßnahme" einen erklärten Nazi durch einen Rother Mitbürger ersetzt habe, der sehr lange im KZ gelitten hätte. Außerdem berief Supf mit den früheren sozialdemokratischen Stadträten Xaver Meisinger, Leonhard Bauer und Adam Dangrieß, die ebenfalls zu Opfern des nationalsozialistischen Systems geworden waren, in Vertrauensstellungen.

 

1 Kommentar