150 Jahre Regens Wagner Zell

ZellKultur: Kunst von und (nicht nur) für Gehörlose

Jürgen Leykamm

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21.10.2022, 09:00 Uhr
Die "Drum Stars" werden am Samstag in der Kulturfabrik den Besuchern mit Rhythmus und Lichteffekten einheizen.  

© Daniel Sommer Die "Drum Stars" werden am Samstag in der Kulturfabrik den Besuchern mit Rhythmus und Lichteffekten einheizen.  

Herr Willam, Regens Wagner Zell gibt es seit 150 Jahren – wie lange gibt es denn schon "Pantomamo" als Kunstfigur?

Alles begann bei einer Weihnachtsfeier 2006. Auftritte gab es auch 2007 auf dem Zeller Sommerfest und dem Kommunikationswochenende für Eltern. Dem ging ein Besuch bei einem Auftritt des gehörlosen Pantomime-Künstlers Jomi voraus, der mich sehr inspiriert hat. Einen Tag später starb der große Pantomime Marcel Marceau. Kurz darauf planten wir das Kommunikationswochenende, und ich sagte spontan zu, einen Kulturabend mit Pantomime zu gestalten – ohne die geringste Ahnung und Ausbildung dafür… Aber es hat geklappt, alle waren begeistert. Die Idee für meinen Künstlernamen "Pantomamo" hatte meine Frau. Es ist eine Zusammensetzung aus meinen beiden Vornamen Marcus (Ma) und Moritz (Mo). In dieser Zeit begannen auch die Auftritte außerhalb von Regens Wagner in Zell.

Marcus Willam alias „Pantomamo“ ist Künstler, Gehörloser, Funktionär und nicht zuletzt Mitarbeiter bei Regens Wagner in Zell. Für alle Mitarbeiter koordiniert er dort die Kurse in Deutscher Gebärdensprache und gibt auch selbst Kurse. „Pantomamo“ (rechts) und Partner „Konjo“ führen am Samstag durch das Jubiläumsprogramm von Zell-Kultur in der Kulturfabrik Roth. 

Marcus Willam alias „Pantomamo“ ist Künstler, Gehörloser, Funktionär und nicht zuletzt Mitarbeiter bei Regens Wagner in Zell. Für alle Mitarbeiter koordiniert er dort die Kurse in Deutscher Gebärdensprache und gibt auch selbst Kurse. „Pantomamo“ (rechts) und Partner „Konjo“ führen am Samstag durch das Jubiläumsprogramm von Zell-Kultur in der Kulturfabrik Roth.  © Daniel Sommer

Und wie begann Ihre persönliche Geschichte bei Regens Wagner in Zell?

Ich begann im Jahr 2005 mein Anerkennungsjahr als Arbeitserzieher in der Werkstatt für behinderte Menschen in Zell. Es war damals nicht mein Wunschort, aber ich war froh, die Stelle in einer Einrichtung für Gehörlose bekommen zu haben. Ich war damals der erste und einzige taube pädagogische Mitarbeiter. Eigentlich wollte ich nur ein Jahr bleiben und dann wieder ins Allgäu zurück gehen. Doch dann kam alles anders…

Was sind heute dort Ihre Hauptarbeitsfelder?

Ich arbeite bei Regens Wagner in Zell im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Zum Beispiel wirke ich bei der Produktion von Gebärdenvideos zur Information für Bewohner und Beschäftigte oder für Social Media mit. Außerdem koordiniere ich die Kurse in Deutscher Gebärdensprache für alle Mitarbeiter und halte auch selbst Kurse ab. Des Weiteren arbeite ich in Arbeitskreisen wie Seelsorge oder Zell-Kultur mit.

Als Freiberufler sind Sie aber auch für andere tätig?

Ja, ich arbeite freiberuflich als Künstler beziehungsweise Schauspieler, als Moderator und Dozent.

Sie haben selbst eine Hörbehinderung – und das schon von Geburt?

Ja, ich bin von Geburt an taub. Meine Kindheit und Jugend habe ich in der Welt der Hörenden verbracht, es war keine glückliche Zeit. Erst als ich volljährig wurde und aus dem Walsertal wegging, fand ich meine Welt, meine Sprache, meine Identität in der Gebärdensprach-Gemeinschaft.

War diese Beeinträchtigung eine Triebfeder für Ihr künstlerisches Engagement?

Nein, das glaube ich nicht. Schon mein Vater hat bei seinen Auftritten mit der Volksmusikgruppe in Mittelberg in den Pausen das Publikum mit Witzen unterhalten. Ich war als Bub dabei und habe Postkarten und Kassetten verkauft und meinen Vater beobachtet. Verstanden habe ich natürlich nichts, aber ich habe die Stimmung in mir aufgenommen. 2001 habe ich dann bei den Deutschen Gehörlosen-Kulturtagen zum ersten Mal Gebärdensprach-Theater erlebt und Gehörlose auf der Bühne gesehen. Da habe ich gedacht: "Das möchte ich auch machen! Aber ob ich das kann?" Das Schauspiel-Talent habe ich wohl von meinem Vater in die Wiege gelegt bekommen. Es hat jedoch 20 Jahre gedauert, bis es zum Vorschein gekommen ist.

Bei Ihren Auftritten schaffen Sie es, Ausdruck, Emotionalität und Perfektion mit einem Charme zu verbinden, dem man sich kaum entziehen kann. Das lässt die Besucher in eine andere Welt abtauchen, zugleich aber kreieren Sie damit eine fast schon intime Nähe. Wie gelingt Ihnen diesen Spagat?

Die Gehörlosigkeit hat mir dabei geholfen, meine Mimik und Gestik besser einzusetzen. Ich wollte unsere Bewohner in Zell zum Lachen bringen, sie aufmuntern, weil ihnen der Humor und die gute Stimmung, die ich verbreite, guttaten. Warum ich das so gut kann, weiß ich manchmal selbst nicht so genau. Anscheinend habe ich ein Talent dafür, die Leute zu verstehen und sie zu begeistern. Das Kinderbuch "Irgendwie Anders" hat mich inspiriert. Ich bin stolz auf das, was ich geschafft habe, obwohl ich Schauspiel nie studiert habe.

Sie sind aber nicht nur Arbeitserzieher und "Pantomamo", sondern auch Stellvertretender Landesvorsitzender des Landesverbands der Gehörlosen. Wie bekommt man das alles unter einen Hut?

Ich bin außerdem noch: Zweiter Vorsitzender im Gehörlosenverein Nürnberg und Erster Vorsitzender im Bezirksverband der Gehörlosen von Mittelfranken. Wie ich das schaffe? Das frage ich mich manchmal auch. Ich bin aber nicht alleine. Andere engagieren sich mit mir. Zusammen kämpfen wir für bessere Bedingungen für uns Gehörlose. Es ist ein ständiger Kampf! Ich bin unglücklich über die Situation, dass ich immer kämpfen muss. Das ist harte Arbeit! Seit 30 Jahren engagiere ich mich ehrenamtlich. Ein Beispiel: Das Gehörlosen-Geld wurde 1979 beantragt und bis heute gibt es das immer noch nicht. Auch da bleiben wir dran. Ein weiteres Problem sind Dolmetscher-Leistungen im privaten Bereich, die mit etwa 300 Euro pro Stunde selbst bezahlt werden müssen. Wenn ich meinen Nachbarn einlade, muss ich den Dolmetscher bezahlen. Auch beim Auto- oder Hauskauf, Bankberatung etcetera. Außerdem bin ich in meinen Arbeitszeiten sehr flexibel und arbeite dank meiner Frau nur Teilzeit. So kann ich neben dem Haushalt noch das eine oder andere Gespräch führen und Termine wahrnehmen.

Die Zukunft der Gehörlosen ist in Vorträgen Ihr großes Thema. Wie sieht diese Zukunft denn aus? Oder besser: wie sollte sie aussehen?

Mein wichtigstes Thema ist die Wohnsituation von Gehörlosen im Alter. Es braucht dringend Seniorenheime speziell für Gehörlose. Es gibt ein einziges in Hamburg. Hörende haben viele Wahlmöglichkeiten, Gehörlose nicht. Sie sind mit diesen Sprachbarrieren im Alter einsam unter Hörenden.

Und Ihre eigene Zukunft? Haben Sie Pläne, wohin die Reise für Sie und Regens Wagner in Zell hingehen könnte?

Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu arbeiten. Ich kann in Zell mit jedem – Mitarbeiter und Klienten – kommunizieren. Bei Regens Wagner in Zell fühle ich mich wohl. Inzwischen sind auch einige gehörlose Kolleginnen und Kollegen mit im Boot. Außerdem arbeite ich auf politischer Ebene sehr gut mit unserer Gesamtleitung Heike Klier zusammen, die als Taublose (Hörende) ein großes Verständnis für uns Taube hat. Bis zur Rente möchte ich gerne hierbleiben.

Das Jubiläumsprogramm:

150 Jahre Regens Wagner Zell. Unter diesem Motto steht das Jubiläumsprogramm am Samstag, 22. Oktober. In der Kulturfabrik wird ein Abend voller Attraktionen geboten, bei dem die Kultur der Gehörlosen in besonderer Weise im Mittelpunkt steht. Von der faszinierenden Trommel- und Lichtershow der "Drum Stars" über Gebärden-Performance bis hin zu artistischen Vorführungen von "Artico" und dem Zeller Handtheater ist für jeden etwas dabei. Durch den Abend führen die Moderatoren Marcus und Konjo, die als Dolmetscherinnen und Dolmetscher in Laut- und Gebärdensprache übersetzen.

Geschichte in Bildern

Bereits am Nachmittag ab 14 Uhr wird zur Midissage der Ausstellung "150 Jahre Zell" eingeladen, die schon seit 8.Oktober im Foyer der Kufa zu besichtigen ist. Der absolute Kracher des "Hands up-Jubiläums" dürfte ab 19 Uhr die auf drei Stunden verteilten Auftritte der "Drum Stars" sein. Denn bei dem oberbayerisch-schwäbische Schlagwerk-Ensemble treffen Percussion-Kunst und Lichteffekte der Extraklasse aufeinander. Die Gruppe begeistert ihr Publikum auf internationaler Bühne.

Fetzige Show

Ob leuchtende LED-, spritzige Wassertrommeln oder Alltagsgegenstände – nichts entgeht der ryhthmischen Fingerfertigkeit der Jungs, auch nicht der eigene Körper. Melodiösen Schliff bekommen die Darbietungen durch Marimba und Hang. "Wenn die loslegen, bebt der Saal", versprechen die Zeller Einrichtungsleitung Heike Klier und Pressesprecherin Claudia Pößnicker. Für den Auftritt dieser Gruppe wie für das gesamte bunte Abendprogramm auf der Bühne gilt: "Es wird sowohl Gehörgeschädigte wie auch Hörende begeistern", sind sich die beiden Frauen sicher.

Ein Hauch Zirkuswelt

Mit dabei ist zum Beispiel auch der Verein "Artico" aus dem Raum Neumarkt, der Artistik und Tanz, Jonglage und Zirkuswelten miteinander verbindet: All dies unter anderem auf den Spuren von James Bond. Nicht fehlen dürfen natürlich die Lokalmatadoren des Zeller Handtheaters oder "Oli & Alex" (Oliver Kuchenbäcker und Alexander Jahn) aus der Talentschmiede der Einrichtung für Hörgeschädigte mit Mehrfachbehinderung.

Und "Hands up" hat noch zwei Moderations-Asse im Ärmel: Die beiden gehörlosen, pädagogischen Mitarbeiter Marcus Willam (Pantomamo) und Konrad Rubin (Konjo), zwei in der Gehörlosen-Szene recht bekannte Künstler. Das gesamte Programm wird in Gebärden- und Lautsprache übersetzt, so dass wirklich alle etwas davon haben. Auch Kinder, die sich über leichte Sprache und fehlende Textlastigkeit der Programmteile freuen dürften.

Midissage mit Mitmachaktionen

Es lohnt sich, schon früher vorbei zu kommen. Denn ab 17 Uhr lädt Regens Wagner zur Midissage einer kleinen, bis Monatsende andauernden Ausstellung, die über die Geschichte von Regens Wagner Zell informiert. Damit verbunden sind verschiedene unterhaltsame Mitmach-Aktionen. Bei Suppenvielfalt, Gemüse-Quiche und Zwiebelkuchen kommt auch das leibliche Wohl nicht zu kurz.

"Damit jeder ans Ziel kommt, finanziert unser Förderverein auch heuer wieder zwei Shuttlebusse nach Hilpoltstein und Heideck", sind Klier und Pößnicker dankbar. Was die Barrierefreiheit im Netz anbetrifft, schreitet Regens Wagner Zell mit großen Schritten voran. "Wir haben unsere eigene Homepage umgestellt – sie hat jetzt Modellcharakter!"

Bei Politik und Gesellschaft aber sehen die beiden noch großen Nachholbedarf. Etwa bei der Umsetzung der UN-Behinderten-Konvention im Straßenverkehr: "Hier finden Hörbehinderte einfach zu wenig Gehör", macht man deutlich, wo hier die wahren Einschränkungen liegen. Virtuelle Hilfen oder Gebärden-Dolmetscher bei öffentlichen Veranstaltungen? Ebenso Fehlanzeige. Auch bei den Behörden sei noch "Luft nach oben!" Lob gibt es stattdessen für Hilpoltstein: "Die Stadt hat sowohl uns als den Auhof fest im Blick!"

Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. Karten für die Abendveranstaltung, die um 19 Uhr in der Rother Kulturfabrik beginnt, sind an der Pforte von Regens Wagner Zell oder an der Tages- oder Abendkasse erhältlich. Die Reservierung ist per E-Mail an peter.muench@regens-wagner.de möglich. Eintritt: 16 Euro für Erwachsene, 10 Euro für Kinder.

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