Schadstoffe vom Birkensee belasten auch Reichswald

1.10.2016, 08:13 Uhr
Schadstoffe vom Birkensee belasten auch Reichswald

© Foto: Andreas Sichelstiel

Das inzwischen zur unverbindlichen Warnung herabgestufte Badeverbot im Birkensee sorgte 2015 für Schlagzeilen. Eine Nachricht ging dabei fast unter: Das Perfluoroctansulfonat (PFOS) war nicht nur dort, sondern bereits 2012 im nahegelegenen Finstergraben entdeckt worden. Die Chemikalie steht im Verdacht, Krebs zu verursachen. Dies musste das Landratsamt Nürnberger Land einräumen, ebenso die Tatsache, dass der Schadstoff aus der Diepersdorfer Kläranlage läuft. Stammt das PFOS im See also aus der Kläranlage? Vorstellbar, sagt Geologe Otto Heimbucher, Vorsitzender des Naturschutzbundes BUND in Nürnberg und CSU-Stadtratsmitglied. Unwahrscheinlich, meint die Behörde, die alte (Müll-)Ablagerungen im Verdacht hat. Bis heute ist der Zusammenhang nicht geklärt.

Mehr und mehr zeichnet sich allerdings ab, dass die viel größere "Problemzone" im Lorenzer Reichswald ohnehin der Finstergraben ist, der von Diepersdorf nördlich des Birkensees Richtung Autobahnkreuz Nürnberg fließt, wo er in den Röthenbach mündet. Am Ende landet sein Wasser dann in der Pegnitz. Heimbucher, der im August eine Sedimentprobe aus dem Finstergraben analysieren ließ, spricht von einer "erschreckend hohen Konzentration" des Schadstoffs. Ein Experte des Umweltbundesamts hält die Verschmutzung ebenfalls für "immens". Es bestehe dringender Handlungsbedarf, sagt Christoph Schulte vom Fachbereich Chemikalien.

"Es fehlt an Grenzwerten"

Das Landratsamt hat "starke Hinweise darauf, woher die Konzentration im Finstergraben kommt", sagt Sprecher Rolf List. Es glaubt, den Verursacher zu kennen, weil es etwa einzelne Abwasserkanäle untersucht hat. Am Ende blieb nach Lists Angaben nur ein Betrieb übrig. Das Diepersdorfer Galvanikunternehmen Bolta, das nach eigenen Angaben weltweit 1800 Mitarbeiter beschäftigt, räumt in einer schriftlichen Stellungnahme ein, dass sich PFOS in seinem Abwasser findet. Eigene Messungen deckten sich "im Wesentlichen mit den Ergebnissen der Behörden". Dabei verstößt Bolta gegen kein Gesetz.

PFOS darf weder hergestellt noch verwendet werden. Es zählt laut Schulte vom Umweltbundesamt zu jenen Schadstoffen, die in der Umwelt kaum oder nur sehr langsam abgebaut werden. Für PFOS allerdings gab und gibt es Ausnahmeregelungen. Die Chemikalie ist beliebt, denn sie sorgt dafür, dass Flüssigkeiten leicht abperlen und verhindert Sprühnebel.

Bis 2015 war der galvanischen Industrie die Verwendung gestattet, dann lief die entsprechende Ausnahmeregelung weitgehend aus. Schon 2012 hat Bolta seine Produktion – freiwillig – auf PFOS-Alternativen umgestellt. Doch der Stoff ist langlebig, "eine vollständige Reduzierung ist wegen der Anhaftungen in den Rohrleitungen nur langsam möglich. Dieser Prozess kann bis zu fünf Jahren, eventuell auch länger, dauern", so das Unternehmen.

Auflagen kann das Landratsamt nicht machen. "Es fehlt an Grenzwerten", sagt Sprecher List. Das Umweltbundesamt bestätigt: Es gibt nur eine Umweltqualitätsnorm – durchsetzbar ab Dezember 2027.

Auswirkungen auf Pilze, Beeren und Wild?

Geologe Heimbucher fürchtet, dass sich die Auswirkungen der Verunreinigung erst in Zukunft zeigen. "Im Wald wachsen Pilze und Beeren, es gibt Wild", sagt er. Landet der Schadstoff auf diese Weise auf dem Teller? Behördensprecher List: "Pilze und Beeren wachsen nicht an Wasserläufen und stehen auch nur saisonal begrenzt zur Verfügung." Wild lasse man bereits untersuchen, gegen den Verzehr bestünden keine Bedenken. 2013 waren Forellen aus dem Röthenbach zwar stark mit PFOS belastet, dort ist das Fischereirecht aber nicht verpachtet.

Heimbucher sagt, man könne ohnehin nicht ausschließen, dass sich PFOS eines Tages im Trinkwasser finde. Flussabwärts liegen die Röthenbacher Brunnen, aber auch jene, die Nürnberg versorgen. Lists Behörde hat sich vorerst aufs Beobachten und Abwarten verlegt. Ausbaggern wolle man den Finstergraben nicht, teilt sie mit. Hohe PFOS-Werte im Sediment hält sie nicht für aussagekräftig. Entscheidend sei, was sich aus dem Flussbett herauslösen lasse, nämlich bedeutend weniger. "Insbesondere unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit sind daher zunächst weitere Untersuchungen und Abstimmungen erforderlich", so List.

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