Auftakt der „LesArt“ mit Eva Gritzmann und Dennis Scheck

10.11.2015, 08:44 Uhr
Auftakt der „LesArt“ mit Eva Gritzmann und Dennis Scheck

© Foto: Scherbel

Eine solche Episode soll sich nicht noch einmal ereignen, fordert Oberbürgermeister Matthias Thürauf bei der Eröffnung der Lesungsfolge im Stadtmuseum. Deshalb seine Bitte an die Autoren Dennis Scheck und Eva Gritzmann: „Wenn es Ihnen bei uns nicht gefällt, sagen Sie’s nur uns!“

Doch dem Autorenpaar, das sich schon aus Schülertagen im Württembergischen kennt, gefällt es anscheinend gut in Schwabach. Fast zwei Stunden lang lesen sie in abwechselnd einstudierter Rollenverteilung, si- gnieren „Solons Vermächtnis“, so der Titel ihrer Aufsätze „vom richtigen Zeitpunkt im Leben“, und haben sogar ein weiteres, positiveres Beispiel über Schwabach in der Literatur parat: Im 19. Jahrhundert berichtete Karl Julius Weber, dass hier 6500 Seelen leben, die Nadelfabriken aber 1200 Menschen beschäftigen und 200 Millionen Nadeln jährlich liefern. Die Brücke von den Schwabacher Nadeln zu ihren Reifeerkenntnissen schlugen die Autoren also mit „Nadelstichen“, und schon war man mittendrin: Als Nadelstich soll ihr Buch dienen. Dem Literaturkritiker mit eigener TV-Sendung („Lesenswert“ und „druckfrisch“) und der Ärztin sind die „Darm mit Charme“– und „Schlank im Schlaf“-Ratgeber, mit denen „Niveau-Limbo“ betrieben werde, nämlich ein Gräuel. Und vieles andere auch, wie sie im Vorwort kenntlich machen. Sie ärgern sich über „den grassierenden Altersrassismus in unserer Gesellschaft“, den „falschen Jugendkult“ und eine „falsche Romantisierung der Jugend“.

Beide sind selbst gerade über 50, ihr Alter scheint der Antrieb für ihr zweites gemeinsames Buch zu sein. Jugendwahn kontra Altersreife.

Die „Infantilisierung der Welt“ sehen sie mit Stefan Raab als Kanzlerduell-Interviewer bestätigt oder mit Daniela Katzenbergers Autobiografie mit 25 Jahren. Derlei Behauptungen tragen die Autoren in sympathisch schwäbischer Sprachfärbung und in schön geschliffenen Satzkonstruktionen vor.

Dann aber folgen die Antworten, die ihre und unsere Fragen nach Reife und richtigem Zeitpunkt im Leben beantworten sollen. Zunächst Solon, der Dichter und Politiker aus dem fünften Jahrhundert v. Chr., der nicht nur weitreichende und heute noch nachwirkende Reformen in Athen durchsetzte, sondern dem 250-Seiten-Buch auch seinen Namen als Vermächtnis gab. Im Wettstreit mit dem Dichter Mimnermos aus Smyrna glaubte der eine, Solon, an die sieben Etappen des Menschenlebens mit körperlicher und geistiger Reife, der andere aus Smyrna hielt dagegen: „Lieber tot als alt“, wie Scheck und Gritzmann frei übersetzen.

Der Disput bestand also bereits vor zweieinhalbtausend Jahren, das Autorenpaar führt ihn heute weiter. Dass sie Solons Position einnehmen, verrät schon der Buchtitel. Die sieben Kapitel – wie die sieben Solonschen Lebensabschnitte – lassen dagegen mit Erklärungen auf sich warten, sondern bilden Gespräche und Anekdoten aus einem wahllosen Fundus ab. Ein antikes Gewürz, das seit Nero nicht mehr existiert, in Hauffs Märchen annäherungsweise weiterlebt, führt den Leser zu einem salatanbauenden Ehepaar bei Stuttgart, das jedoch irgendwie bedauert, statt des Salats nicht doch ein Weingut im Languedoc gekauft zu haben. Ein anderer Interviewpartner hat sich seinen Traum erfüllt und wurde vom Koch zum Gewürzmischer. Dass der nebenbei vom betrügerischen Verhalten eines Alfons Schuhbeck erzählt, hat mit Reifeprozessen nichts Erkennbares zu tun, wird aber ausführlich berichtet.

Die Essays über die Vielzahl von Salaten und Gewürzen oder über alte Apfelsorten wirken nett für die journalistische Wochenendbeilage, ein bisschen Reife kommt dabei auch vor. Aber vor lauter Fabulier- und Mitteilungsbedürfnis des oder der Autoren überliest man die wenigen inhaltlich gereiften Teile glatt.

Mehr zum Thema Reife erzählt da schon das Kapitel „Dem Tod davonlaufen“, in dem – in Interviewform – ein Therapeut und Sachbuchautor aus seinen Erfahrungen berichtet. Aber insgesamt gilt für den Lesart-Auftakt: Der Erkenntnisgewinn bleibt überschaubar.

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