„Begreifen“ im wahrsten Sinne

29.3.2012, 09:12 Uhr

Die neue Schau im modernen Anbau des Schwabacher Stadtmuseums besteht aus vier Teilen. Um die bereits seit Dezember 2009 aktive „Goldbox“ mit eingebauter Bar und innen liegender Goldschlägerwerkstatt herum haben Jürgen Söllner und sein Team die lokale Wirtschaftsgeschichte zusammengefasst.

„Metallerstadt Schwabach“, heißt das Ergebnis. „Blattgold“, „Draht“, „Schrauben und Federn“ sowie „Nadeln und Nägel“ sind es, die hier über Jahrhunderte handwerkliche und industrielle Produktion bestimmten. Technische Entwicklung inbegriffen: 1759 war noch auf einem kleinen Amboss Öhr für Öhr mühsam in die Nadeln gehämmert worden. Knapp hundert Jahre später gab es dafür bereits eine Maschine, die per Fallhammermechanismus zehn Nadeln auf einmal stanzte. „Schwabach, bedeutende Industriestadt Nordbayerns.“ Dieser auf zahlreichen Darstellungen der Stadt aus dem 20. Jahrhundert zu findende Slogan hat an dieser Stelle seinen Ursprung.

Die Entwicklung hat Spuren hinterlassen. Spuren, denen man nun entlang historischer Fertigungstechnik und vieler Originalmaschinen folgen kann: Vom Jahr 1349, als sich einige der 150 aus Nürnberg vertriebenen Metallhandwerker in Schwabach ansiedelten, bis in die Gegenwart. 2012 gab es gerade mal noch drei von zur Blütezeit 127 Goldschlägern. Soviele rote Leuchtdioden blinken auf dem Stadtplan, wenn man das Jahr 1926 anwählt.

Traditionsreiche Firmen

Zugleich haben sich aus der Metall- Tradition heraus zwei Betriebe zu bedeutenden Firmen entwickelt, die Schwabachs Zukunft sichern. Der Automobilbauzulieferer Bergner und Weltmarktführer Niehoff sind die größten Arbeitgeber in der Stadt. Bergner versorgt unter anderem Porsche, BMW, Jaguar und Daimler mit Schrauben und Federn. Niehoff baut Drahtziehmaschinen, die auf allen Kontinenten im Einsatz sind. Bergner, Niehoff, Hüttlinger, Wenglein, Sasse, Brema, Schmauser, Drei-S-Werk, Leoni und Löhr: Die Ausstellung streift viele Namen von Firmen, deren Aufschwung eng mit der bereits im Mittelalter begründeten Metallverarbeitung verbunden ist. Namen, die auch Stadtgeschichte geschrieben haben: Carl Wenglein beispielsweise hat Teile seines mit Grammophonnadeln verdienten Vermögens für eine Vogelschutzanlage und die naturwissenschaftliche Eiersammlung verwendet, die den Grundstein des Stadtmuseums bildete. Im Rathaus nahen Hüttlinger-Komplex wurde bis 1992 Draht gezogen. Dann stand das Fabrikgelände anderthalb Jahrzehnte leer, verfiel zusehends und galt als Hauptärgernis der Kommunalpolitik.

Goldrausch der besonderen Art

Den Ruf Schwabachs in der Welt hat indes nichts so sehr beeinflusst wie das Blattgold. „Das war Image prägend“, sagt Jürgen Söllner. Seiner Produktion und Verwendung ist deshalb auch der größte Einzelabschnitt gewidmet. Interaktion schafft dort einen Goldrausch der besonderen Art.

Vom Grundmaterial: Mit dem „Nugget-Scanner“ werden Goldstücke per Multivisionswand ihren Fundstätten in 23 Ländern zugeordnet.

Über das Werkzeug: Den Goldschlägerhammer können nur ganz starke Männer mit einer Hand bewegen.

Bis hin zum Einsatz für Vergoldungen in aller Herren Länder: Beim Blick ins Innere eines Globus tun sich die Goldkuppeln des Kreml, das Tadsch Mahal und der Vatikan auf.

Verblüffende Infos außerdem: Das gesamte, jemals geförderte Gold dieser Erde würde einen Würfel mit 20 Meter Kantenlänge ergeben. 3469 Tonnen davon besitzt alleine die Bundesrepublik Deutschland und ist damit das zweitgrößte Eldorado der Welt. Lediglich in Fort Knox lagert mehr Edelmetall: 8170 Tonnen Goldbarren halten die Vereinigten Staaten dort unter Verschluss. Das größte Goldstück des Museums hat gerade Mal 600 Gramm, ist aber gegenwärtig auch schon 27000 Euro wert. Als anhebbare Kugel soll es zwischen Balsaholz und Messing das hohe spezifische Gewicht des Goldes erfahrbar machen.

Knapp 28 solcher Goldbälle wären für die Finanzierung der Ausstellung nötig gewesen. Sie schlug mit Gesamtkosten von rund 750000 Euro zu Buche, belastete den städtischen Haushalt aber nur mit etwa einem Drittel dieser Summe. 500000 Euro hat Jürgen Söllner über 27 private Sponsoren, den Bezirk Mittelfranken sowie den Freistaat Bayern aufgetrieben. Geplant worden war ursprünglich mit 950000 Euro. Doch musste Söllner noch einmal sparen.

Flexible Raumgestaltung

Innenarchitekt Peter Neudert, der bereits die Fleischmann-Sammlung gestaltet hat, ist es gleichwohl gelungen, ein wegweisendes Konzept zu schaffen, das man „Museum in motion“ nennen könnte. Mittels fahrbarer Untersätze lassen sich die Ausstellungsteile vor und hinter der Goldbox so verschieben, dass dort jeweils Raum für Veranstaltungen entsteht. Juristen oder Ärzte können hier ebenso tagen wie Museumsfachleute.

Auch Rockstars und Oberbürgermeister waren bereits zu Gast. Die fränkischen Stadtoberhäupter trafen sich 2011 zum Meinungsaustausch und waren begeistert von der Flexibilität. Der Schweinfurter Oberbürgermeister ließ sich von Jürgen Söllner ausführlich beraten. Er wolle das eigene Museum nach dem Schwabacher Vorbild gestalten.

Ein Hauch von Gold

Die intensivste und zugleich beeindruckendste wechselseitige Beeinflussung gelingt immer noch in der Blattgoldabteilung. Streicht man dort nämlich mit den Fingern über einen vergoldeten Wandteil, bleibt daran stets einiger Goldhauch kleben. „Hands off“, also „Hände weg“, sagt dennoch niemand.
 

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