Der Kammersteiner Steuermann

22.11.2020, 06:00 Uhr
Der Kammersteiner Steuermann

© Foto: Robert Gerner

Karl Lehner hat Zeit. Ausnahmsweise. Er sitzt am Küchentisch in seinem Haus in Kammerstein und erzählt. Wie das war, Ende der 1990er-Jahre, als Foto-Porst in Schwabach binnen weniger Monate regelrecht implodiert ist, er seinen Job verlor und kurzzeitig auf der Straße gestanden ist. Wie er über seinen Bürgermeister Walter Schnell erfahren hat, dass Landrat Herbert Eckstein einen neuen Fahrer sucht. Wie er sich beworben hat und wie er genommen wurde. "Mein erster Arbeitstag: 15. Februar 2000", erinnert sich Lehner. "Fast 21 Jahre ist das jetzt her."

Karl Lehner hat an diesem Dienstagvormittag Zeit, weil Landrat Herbert Eckstein nicht unterwegs ist. Eckstein ist nicht einmal im Land- ratsamt. Das Gesundheitsamt hat ihn in Quarantäne gesteckt, weil er Kontakt zu einem später positiv auf Corona Getesteten hatte. Inzwischen hat Eckstein zwei negative Tests, die Quarantänezeit endet. Karl Lehner muss sich also wieder bereit machen.

Fahrer eines Spitzenpolitikers zu sein, und für regionale Verhältnisse ist Herbert Eckstein sicher ein Spitzenpolitiker, ist ein ebenso öffentlicher wie verschwiegener Job. Was der Landrat auf den vielen und langen Fahrten im Auto erzählt – Karl Lehner könnte wahrscheinlich ein Buch drüber schreiben. Doch der 63-Jährige würde nie Interna ausplaudern.

Gemeinsam Reifen gewechselt

Obwohl: Ein paar nette Geschichten kommen ihm schon über die Lippen. Wie er einmal auf der B 2 einen Platten gefahren hat. Wie sie dann beide, Landrat und Fahrer, beim Wechsel des Reifens mitten in der Nacht angepackt haben.

Aber ansonsten: "Wenn wir im Wagen sind, gibt es eine klare Arbeitsaufteilung", erzählt Lehner, vor allem auf dem Weg zu einem Termin: "Ich konzentriere mich auf die Straße, er konzentriert sich auf seine Akten. Da wird wenig gesprochen."

Herbert Eckstein hat ein geräumiges Büro im Landratsamt. Aber er hat in normalen Zeiten eine Außenstelle, und das ist der Beifahrersitz eines geräumigen 7-er-BMW mit dem unverwechselbaren Kennzeichen RH-RH-14.

Eckstein ist ja einer, der gerne unterwegs ist. Als er noch Ausschussmitglied im Deutschen Landkreistag oder Mitglied im Innovationsring war, da führten die Dienstfahrten mitunter bis nach Berlin oder Brüssel. Als einer der dienstältesten Landräte Bayerns, als Präsidiumsmitglied des Bayerischen Landkreistags und als Verwaltungsratsvorsitzender der Sparkasse ist er immer noch regelmäßig zwischen Passau und Aschaffenburg, zwischen Lindau und Hof gefragt und gefordert.

Und dann kommt ja noch das dazu, was ein Politiker wie Herbert Eckstein eigentlich braucht wie die Luft zum Atmen: in Regelsbach eine Ehrenamtsmedaille verleihen, in Spalt einem 100-Jährigen zum Geburtstag gratulieren, in Allersberg ein Grußwort beim Sportverein sprechen, in Heideck die Leistungen der örtlichen Feuerwehr würdigen. "Bis zu 16 Termine", erzählt Karl Lehner, kommen da an einem Samstag oder einem Sonntag zusammen.

Fast immer Champions League

Eine 38- oder 40-Stunden-Woche? Die gibt es für keinen Landrat, und die gibt es auch für keinen Landrats-Fahrer. "Wir haben ja unseren eigenen Tarif", erzählt Karl Lehner, der als junger Bundeswehrler bei den Fallschirmspringern war. Bis 175 Monatsstunden – etwas mehr als eine übliche 38,5-Stunden-Woche – gilt der Basistarif. Dann geht es stunden- und stufenweise nach oben. "Alles über 245 Monatsstunden – also etwa 60 Wochenstunden – ist dann Champions League", verdeutlicht Lehner. "Ich war fast immer Champions League." Das heißt: Zeit für sich und die vierköpfige Familie, Zeit auch für das Pflegen von Freundschaften und sozialen Kontakten, war in den vergangenen 21 Jahren extrem knapp. Dafür hat die Bezahlung gestimmt.

Totale Flexibilität

Gefragt sind im Job des Chauffeurs neben einem soliden fahrerischen Können und Verschwiegenheit vor allem zwei Dinge: totale Flexibilität und auch viel Verzicht. Karl Lehner zum Beispiel hat manche Dinge aufgegeben, aufgeben müssen, nachdem er zu Herbert Ecksteins Steuermann wurde. Seine Tätigkeit im Kirchenvorstand oder seine eigene kommunalpolitische Karriere als Mitglied im Kammersteiner Gemeinderat. "Wenn ich spätnachmittags noch nach Nürnberg fahren musste und ich abends Sitzung des Gemeinderates hatte, dann war ich natürlich immer wie auf Kohlen gesessen", erzählt er, "das war Stress pur. Deshalb habe ich 2008 nicht mehr kandidiert."

Weil er aber kommunalpolitisch nach wie vor interessiert ist, fährt Karl Lehner Herbert Eckstein nicht nur von A nach B und wieder zurück. Er verfolgt auch seine Politik aufmerksam. Er zieht dabei seinen imaginären Hut: "Wenn man mitbekommt, was auf den Mann tagtäglich einprasselt, dann nötigt das einem schon Respekt ab."

Sein persönliches Verhältnis zu Eckstein? Da lässt sich Karl Lehner nicht in die Karten schauen. Die beiden duzen sich. Aber das ist nicht so außergewöhnlich. Herbert Eckstein ist nach 27 Jahren im Amt gefühlt mit 100 000 seiner 126 000 Landkreisbürger per Du.

Auf der Heimfahrt, wenn der Stresspegel beim Landrat nach unten geht, bleibt aber mitunter Zeit für einen privaten Plausch. Der Sport ist dabei das ideale Einfallstor. Wie sich Lehners Sohn bei den Barthelmesauracher Fußballern geschlagen hat oder wie Lehners Tochter, Landesliga-Handballerin beim SC 04 Schwabach, gespielt hat.

Klare Aufgabenteilung

Über die Arbeit wurde und wird dagegen kaum gesprochen. "Er kümmert sich um die Politik, ich kümmere mich ums Auto", sagt Lehner. Das allerdings konsequent. Mit BMW gibt es seit Jahren einen günstigen Leasingvertrag. Welche Limousine bestellt wird und welche Ausstattung sie braucht, "das habe immer ich entschieden", erzählt Lehner sichtlich stolz.

20 Jahre lang fuhr der Kammersteiner, der seine Nebenerwerbslandwirtschaft vor 15 Jahren an den Nagel gehängt hat, gewissermaßen unter Volllast. Und noch vor einem Jahr hatte es so ausgesehen, als würde er am Jahreswechsel 2020/21 eine Vollbremsung hinlegen. Von 100 auf 0 in einer Sekunde.

Doch keine Vollbremsung

Doch Corona hat auch den Beruf des Landratsfahrers ein wenig durcheinandergewirbelt. Vereinsveranstaltungen gab es im Sommer nur noch sporadisch, Politik und Wirtschaft trafen sich immer häufiger digital statt analog. "In früheren Jahren habe ich in zwölf Monaten im Dienst-BMW bis zu 60 000 Kilometer zusammengebracht. Heuer werden es, wenn es hoch kommt, 15 000 Kilometer sein", so Lehner. "Corona hat mir also schon gezeigt, wie der Ruhestand aussehen wird."

Ob er sich darauf freut? Ob ihm die Arbeit fehlen wird? "Alles hat seine Zeit", sagt er, "es ist hier ja viel liegengeblieben in den letzten 21 Jahren." Aber ganz loslassen wird er dann doch nicht. Zu einigen seiner Landratsfahrer-Kollegen – Fahrerinnen sind die absolute Ausnahme – hat Karl Lehner ein sehr gutes Verhältnis. So gut, dass sie sich einmal im Jahr treffen. 2020 zwar nicht, Corona lässt grüßen. Aber 2021 garantiert wieder. "Dann bin ich auch wieder dabei", kündigt der Fahrer an, "wenn auch als Rentner."

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