Der Kult um den Krimi-Klassiker: Der Tatort wird 50

29.11.2020, 15:56 Uhr
Der Kult um den Krimi-Klassiker: Der Tatort wird 50

© Foto: ARD

Der Verbrecher, der auf nassem Asphalt das Weite sucht. Der hypnotische Soundtrack von Klaus Doldinger (eingespielt seinerzeit übrigens mit einem Schlagzeuger namens Udo Lindenberg), dann das Gesicht eines Mannes (ein unbekannter Schauspieler namens Horst Lettenmayer), das Auge im Fadenkreuz. So beginnt seit 50 Jahren der Tatort.

Am 29. November 1970, also morgen vor 50 Jahren, hat ein gewisser Hauptkommissar Paul Trimmel sehr betulich im "Taxi nach Leipzig" ermittelt.

Vergangenen Sonntag liefen "Die Ferien des Monsieur Murot" mit dem immer etwas schrägen Ulrich Tukur, es war die sage und schreibe 1145. Folge. Die Nummer 1146 wird, passend zum Jubiläum, erstmals eine Doppelfolge, in der auch gleich zwei Ermittlerteams gemeinsam im Einsatz sind.

Der Tatort spaltet die Nation

Seit 50 Jahren spaltet der Tatort die Nation, und er spaltet selbstverständlich auch die Redaktion. Die einen lassen sich kaum eine Folge entgehen, die anderen zappen nur rein, wenn es wirklich nichts anderes zu tun gibt (so wie zum Beispiel in Corona-Zeiten).


50 Jahre "Tatort": Geliebt, gehasst, Geburtstag


Zwei von ihnen haben wir zur Pro- und Kontra-Stellungnahme gebeten: Volontärin Isabella Fischer (Tatort-Fan) und Redakteur Robert Gerner (Tatort-Selten-Gucker). In mindestens einem Punkt sind sich beide aber einig: Kult ist der Krimi-Klassiker im Ersten natürlich schon.

Isabella Fischer: Pro Tatort

Eine herrliche Verlässlichkeit - Das Ritual am Sonntagabend verbindet

Seit Jahren weiß jeder aus meinem Umfeld, wo ich an einem Sonntag um 20.15 Uhr bin. Genau, auf meinem Sofa. Es ist Tatort-Zeit. Und da sollte mich niemand stören. Zum Glück bin ich da nicht alleine, ich habe viele Freunde, die meine Leidenschaft teilen— seit Corona leider nicht mehr gemeinsam auf einem Sofa. Schon Tage vorher wird besprochen, welche Kommissare aus welcher Stadt dieses Mal an der Reihe sind, wie denn der letzte Fall war, was wir uns von der neuen Folge erwarten.

Es wird gemunkelt: Dreht Faber langsam vollends durch? Wie viele Bösewichte kann Nick Tschiller dieses Mal auf einmal erledigen?


Rätsel um Franken-Tasse im Münster-"Tatort"


Der Tatort ist für mich seit vielen Jahren mein gesellschaftliches Happening zum Ausklang des Wochenendes. Man kennt die Gesichter, weiß, was im Berufs- und Privatleben der Kommissare so abgeht, als wären sie Teil des Freundeskreises. "Ach, heute kommt der Borowski? Super!" Man weiß, was man kriegt. Nicht nur in diesen unsteten Zeiten ein wichtiges Ritual.

Wenn es im Fernsehen überhaupt noch TV-Highlights gibt, dann ist es für mich ein Tatort. Der Garant für gute und spannende Unterhaltung: Der LKA-Ermittler Felix Murot, gespielt vom fanstastischen Ulrich Tukur. Dazu noch eine Prise Münster, gepaart mit Batic und Leitmayr – so kriegt man mich aufs Sofa.

Manchmal kommt es dann aber doch vor, und das gebe ich offen zu, dass ich eher gelangweilt auf dem Sofa sitze und mir denke: "Also so toll ist der jetzt wirklich nicht!" Aber, und das ist das Gute: Es macht nix! Dann wird der nächste halt wieder gut! Dem Tatort, dem verzeih ich alles. Sogar Til Schweiger als Kommissar. Wenn nix G’scheids im Fernsehen läuft, läuft irgendwo ein Tatort. Man kann sich auf ihn verlassen.

Robert Gerner: Contra Tatort

Weniger wäre mehr - Die Perlen gehen im Krimi-Overkill unter

50 Jahre Tatort? Meine Güte (und jetzt an alle Tatort-Fans: bitte mal kurz die Augen zumachen!), die schlechtesten Gewohnheiten halten sich halt doch am längsten. Ich habe in meiner Jugend ja noch Hansjörg Felmy ermitteln sehen, den ersten halben Superstar unter den Tatort-Kommissaren. Es war: zum Gähnen.

Danach kam ich in ein Alter, in dem ich dachte: Gibt es denn sonntagabends nichts anderes in der Flimmerkiste als diese ewige Jagd nach dem Mörder? Und so wurde ich, manchmal zum Erstaunen meines Tatort-verrückten Umfeldes, zum emsigen Abstinenzler.


Franken-Tatort in Bamberg: Der Dreh läuft weiter


Doch mit der Abstinenz ist das so eine Sache. Hin und wieder sündigt man schließlich auch während einer Diät. Deshalb fand ich den draufgängerischen Schimanski (Götz George) toll, deshalb war ich natürlich beim ersten Frangng-Dadodd dabei (furchtbar!) und habe mir auch mal den wild um sich ballernden Nick Tschiller (Til Schweiger) reingezogen.

Aber insgesamt blickt doch keiner mehr durch bei Ballauf und Batic, bei Berg und Berlinger, bei Borowski, Boerne und Bönisch. Der Tatort ist zur Massenware verkommen. Wer über das Erste hinauszappt und durch die dritten Programm binged (schöneres Wort für Komaglotzen), der bekommt die Tatort-Berieselung allabendlich. Das macht es schwer, die wenigen Perlen herauszufischen.

"Meta" mit Meret Becker war vor zweieinhalb Jahren so ein inceptionmäßiges Kunst-Film-im-Film-Meisterwerk oder – mein Lieblings-Tatort – "Im Schmerz geboren" mit Ulrich Tukur. O.K., es gab je nach Zählweise zwischen 45 und 53 Leichen. Dafür sah die Optik so aus, als wäre Sergio Leone von den Toten auferstanden und hätte sich gemeinsam mit Quentin Tarantino auf den Regiestuhl gesetzt. Schöne Ausnahmen. Aber weniger Tatort wäre mehr.

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