Einmal um den Globus: Die verrückteste Segelregatta der Welt

21.11.2020, 06:00 Uhr
Ein Mal um den Globus: Schwabachs Partnerstadt Les Sables d'Olonne ist Ausgangs- und Zielpunkt der berühmten Segelregatta Vendée globe. 

© JEAN-FRANCOIS MONIER, NN Ein Mal um den Globus: Schwabachs Partnerstadt Les Sables d'Olonne ist Ausgangs- und Zielpunkt der berühmten Segelregatta Vendée globe. 

Es ist ein bisschen wie Triathlon in Roth. Nur noch größer, noch exklusiver, noch – wahrsten Sinne des Wortes – weltumspannender und vor allem noch viel, viel abgedrehter. Seit knapp zwei Wochen sind 31 Männer und zwei Frauen wieder unterwegs, um von Les Sables d’Olonne aus die Welt zu erkunden. Besser gesagt: die Weltmeere. Denn darum geht es bei der Vendée Globe, der längsten, einsamsten und brutalsten Segelregatta der Welt. 25.000 Seemeilen oder 46.000 Kilometer um den Globus, alleine im Boot, ohne fremde Hilfe.

Schwabachs Partnerstadt Les Sables, wo eine der letzten großen Verrücktheiten unserer Zeit alle vier Jahre im November gestartet wird und wo zweieinhalb bis dreieinhalb Monate später die Überlebenden mit großem Hallo und Feuerwerk wieder begrüßt werden, ist normalerweise schon im Vorfeld des Startschusses im Ausnahmezustand.

Zwei Monate lang Consumenta

Am Hafen wird dann ein ganzes Dorf aufgebaut, mit Messeständen, Infowänden, Fernsehstudios und allem Pi-Pa-Po. „Das ist wie die Consumenta in Nürnberg, nur zwei Monate lang“, sagt Robert van Loosen vom Partnerschaftskomitee Les Sables-Schwabach.

Van Loosen war schon zweimal beim Start der Super-Regatta dabei, auch heuer wäre er wohl die gut 1000 Kilometer an die Atlantikküste gefahren. „Im Sommer hatte man noch online Tickets bestellen können. Aber im Zuge des neuerlichen Lockdowns in Frankreich war das dann natürlich alles obsolet“, sagt er.


Vendée Globe: Schwabachs Partnerstadt im Ausnahmezustand


So wie van Loosen ging es vielen Segelbegeisterten auf der ganzen Welt. Und so standen am 8. November, als die Unerschrockenen in See stachen, nicht wie sonst eine Viertelmillion Menschen am Hafen und am Kanal, der ins offene Meer mündet, sondern bloß ein paar hundert, naja, vielleicht auch ein paar wenige tausend Einheimischer, welche die Segler mit einem letzten Gruß auf ihre unfassbare Reise schickten.

Die Route? Die ist ganz einfach, wie der Franzose Jean Le Cam vor dem Start noch dozierte: „Runter, rüber, hoch.“ Manchmal muss man Dinge kleinreden, um sie in ihrer ganzen Größe zu erfassen. Von Les Sables geht es tatsächlich erst einmal nach Süden, also runter, vorbei an Spanien und Portugal und dann zwischen Südamerika und Afrika hindurch. Wer unten angekommen ist, der umrundet in östlicher Richtung das ewige Eis der Antarktis, der passiert die Südspitze Afrikas (Kap der guten Hoffnung), die Südspitze Ozeaniens und die Südspitze Südamerikas (Kap Horn), von Seglern auch als „Vorhof zur Hölle“ bezeichnet. Wütende Winde schlagen dann gegen die Boote.

Wellen „so hoch wie die Alpen“ machte 1997 der Kanadier Gerry Roufs, an zweiter Stelle liegend, im Südpolarmeer aus. Es war das letzte, was man von ihm hörte. Teile seines Bootes wurden ein halbes Jahr später an der chilenischen Küste gefunden.

Seebären aus der Bretagne

Bei der Vendée Globe kann im Prinzip jeder mitmachen. 80 Prozent der Teilnehmer kommen jedoch aus Frankreich, und von diesen 80 Prozent sind 80 Prozent aus der Bretagne, wie Robert van Loosen betont. Ein besonders rauer Menschenschlag, sagt man, so wie eben der oben schon zitierte Jean Le Cam. 61 Jahre jung, wettergegerbtes Gesicht, Bob-Dylan-Haare, Hände wie Schraubstöcke.

Meistens gewinnen das Rennen auch die Franzosen. Insofern verwundert es ein wenig, dass am frühen Donnerstagabend, als diese Zeilen entstanden sind, der Waliser Alex Thomson das Feld anführte, wenn auch nur knapp vor Thomas Ruyant und Charlie Dalin.

Diese drei und mehr als ein Dutzend weitere Boote haben den Äquator schon überquert. Wacker schlägt sich auf Rang sieben Boris Herrmann. Der 39-Jährige ist nicht nur der einzige Deutsche im Feld, sondern der erste Deutsche überhaupt, der den Wahnsinn mitmacht. Auf seinem Weg ist er auch als Datensammler und Klimaforscher unterwegs.

500 Kilometer zurück

Rang sieben klingt wirklich nicht schlecht, und auf Live-Tracking-Karten, die man im Internet aufrufen kann, ist die Bugspitze seiner „Seaexplorer“ nicht weit vom Heck der „Hugo Boss“ von Alex Thomson entfernt. In der Realität beträgt die Distanz aber schon mehr als 500 Kilometer.

Das ist eine Menge, aber es sind ja erst gut 8000 Kilometer gesegelt, knapp 39.000 Kilometer liegen noch vor Thomson, noch ein bisschen mehr vor seinen Konkurrenten. Thomson ist mit einer hypermodernen Yacht unterwegs. Bei günstigem Wind kann sich der ganze Schiffsrumpf aus dem Wasser heben, solche „Foils“ sind seit 2016 erlaubt. Sie sind zweifellos pfeilschnell, doch ob sie auch schweren Stürmen trotzen können, das muss sich erst weisen.

Für den Sieg braucht man aber nicht nur das beste Material. „Grundsätzlich hat der die besten Chancen, der am wenigsten schläft“, erklärt Robert van Loosen. Das ist ungefähr so wie beim ebenso unfassbaren Race-Across-America-Radrennen von der West- zur Ostküste der USA. Wer einfach immer weiterstrampelt, der hat die knapp 5000 Kilometer eben am schnellsten hinter sich.

Für die Vendée Globe gilt: Wer sich ein paar Stunden in der Koje gönnt, kann natürlich nicht mit Vollkaracho über den Ozean flitzen. Auch bei dieser Super-Regatta mussten übermüdete Skipper nämlich schon nach nächtlichen Zusammenstößen mit Walen oder mit im Wasser treibenden Containern aufgeben.

Das Schiff des Franzosen Bertrand de Broc überstand einmal solch eine unfreiwillige Karambolage zwar ohne größere Schäden, doch der Skipper biss sich unglücklicherweise einen Teil der Zunge ab. Selbst ist der Mann: Er nähte sich das fehlende Stück Stich für Stich selbst wieder an, assistiert über Funk von einem Arzt.

So entsteht ein Mythos

Solche Geschichten machen die Vendée zu einem Mythos. Auch in diesem Jahr gilt: Wahrscheinlich werden die Hälfte der Boote nicht das Ziel erreichen. In den Weiten der Ozena gabelt mitunter schon mal ein Konkurrent einen Kameraden auf, der SOS funken musste.

Ansonsten gilt: Im Gegensatz zur Anfangszeit sieht man dank GPS-Tracking zumindest immer, wo jemand grad unterwegs ist – oder eben auch nicht mehr. Dann weiß man zumindest, wo man suchen muss.
Der Rekord für die Weltumseglung steht übrigens bei 74 Tagen. Robert van Loosen geht davon aus, dass es diesmal noch ein wenig schneller gehen könnte. Das Material wird eben immer besser. Der oder die Schnellste könnte damit schon Mitte Januar zurück sein.

Nachzügler

Manche Segler brauchen aber auch ein bisschen länger. Aktuell kreuzt Jérémie Beyou noch vor Nordspanien, weil er kurz nach dem Start noch einmal umkehren musste. Auf die Führenden hat er schon mehr als 3500 Kilometer Rückstand. Letzter aber wird er nicht werden, denn ein Konkurrent – der Franzose Nicolas Troussel – musste schon aufgeben.

Wenn Beyou es ins Ziel schaffen sollte, nach wie vielen Tagen auch immer, wird er in Schwabachs Partnerstadt Les Sabeles, dem Geburtsort dieses Segler-Wahnsinn, standegemäß willkommen geheißen. Mit einem Feuerwerk. So wie alle anderen Finsisher vor ihm.

Keine Kommentare