Familienbetrieb trotzt der Tischtennis-Weltklasse

26.2.2021, 09:07 Uhr
Familienbetrieb trotzt der Tischtennis-Weltklasse

© Archiv: Roland Jainta

Man stelle sich nur mal vor, der 1. FC Nürnberg spielt eine hervorragende Saison, wird trotz einer Heimniederlage am letzten Spieltag Vizemeister der 2. Fußball-Bundesliga — und verzichtet auf den ihm zustehenden Platz in der 1. Liga. Was, so etwas gibt es nicht im Sport? Denkste! So was ist alles schon passiert. Und es ist noch nicht einmal so lange her, dass ein mittelfränkischer Club den Aufstieg in die höchste deutsche Spielklasse hat "sausen" lassen.

Trotz der 4:6-Heimniederlage am letzten Spieltag der Saison 2014/15 gegen DJK Offenburg hätte die 1. Tischtennis-Damenmannschaft des TTC Wendelstein Platz zwei in der 2. Liga und damit den direkten Aufstieg in die 1. Bundesliga geschafft. Es wäre in 24 Jahren auf höchstem Niveau der vierte Aufstieg in die 1. Liga gewesen. Doch Coach Franz David, der gemeinsam mit seiner Mutter Lydia für das Projekt Tischtennis in Röthenbach/St.W. stand, entschied sich gegen Spitzenport. Bundesliga-Tischtennis war von Geschichte in der Marktgemeinde.

Inzwischen sind einige Jahre ins Land gezogen. Franz David ist mit sich immer noch im Reinen, auch wenn es für ihn damals keine leichte Entscheidung war, denn "mein halbes Leben war Tischtennis!" Es seien keine schwerwiegenden finanziellen Gründe gewesen, die zum Rückzug gezwungen hätten, erinnert er sich. Sein Chef — Jochen Scharf, der auch das Tischtennis-Projekt unterstützt hatte — hätte wohl mitgeholfen, den Weg weiterzugehen. "Vielmehr", so David, sei es immer schwieriger geworden, passende Spielerinnen für das Abenteuer Bundesliga zu rekrutieren. "Wir hatten keine Perspektive mehr. Wir mussten die Mannschaft schweren Herzens auflösen."

Die schönen Erinnerungen aber blieben Franz David. Erinnerungen an die vielen Topspielerinnen. Vor allem die Rumänin Adriana Nastase wollte er herausheben. Und auch Jiaduo "Dudu" Wu. Drei Jahre lang spielten beide gemeinsam in der 1. Liga. "Adriana schlug sie alle, ob Csilla Batorfi, die ungarische Topspielerin des FC Langweid, oder auch die Topstars aus Lübeck!", schwärmt David immer noch. "Absolute Weltklasse" tummelte sich damals in der 1. Damen-Bundesliga.

Auf der Suche nach Verstärkungen musste ein "Familienbetrieb", wie es die Davids in Röthenbach/St.W. nun mal waren, auch ungewöhnliche Wege gehen, um mit der Konkurrenz Schritt zu halten. So bekam Franz David vor der Saison 1999/2000 eine Nachwuchsspielerin aus China angeboten. "Ich wusste nicht viel über sie, nicht mal ein Video gab es. Doch der Vermittler sagte mir, dass ich mit der Verpflichtung keinen Fehler machen würde", erzählt David. Es war ein Glücksgriff. Jiaduo "Dudu" Wu war sofort die erhoffte Verstärkung. Nach ihrem Weggang zum Spitzenteam FSV Kroppach nahm sie die deutsche Staatsangehörigkeit an und gewann für Deutschland international bedeutende Titel.

Franz David blickt auch als Trainer gerne auf eine sportlich aufregende und sehr erfolgreiche Zeit zurück. So führte er die Talente des BTTV, von denen einige auch in Röthenbach spielten, zu zahlreichen Erfolgen. Junge Spielerinnen aus der Region wie Svenja und Jessica Weikert, Andrea "Hilli" Hillgärtner, Andrea Schiel oder Eva Zschau, um nur einige zu nennen, sammelten bei bayerischen, süddeutschen oder deutschen Titelkämpfen unzählige Medaillen, die sich auch Verbandstrainer David ans Revers heften durfte. 19 Jahre lang blieb "Dauerbrenner" Svenja Weikert fest mit dem Verein verbunden. Auf ein Jahr weniger brachte es ihre Zwillingsschwester Jessica.

24 Jahre Bundesliga

1991 gelang der lang ersehnte Aufstieg in die 2. Bundesliga. Hier wurde das Team zweimal Zweiter und einmal Dritter, ehe es in der Saison 1994/95 als Meister hoch in die 1. Bundesliga ging. Obwohl Europameisterin Marie Svensson (Schweden) und Sandra Peter vom FC Langweid das Teams verstärken, stieg man als Tabellenletzter prompt wieder ab. Svensson spielte kaum, war lange verletzt. Zwei Jahre später gelang der Wiederaufstieg. In den drei folgenden Jahren belegte das Team die Plätze acht, sieben und neun und musste 2001 wieder absteigen. Im Mai 2001 wurde die Tischtennisabteilung in den TTC Femont Röthenbach ausgegliedert, und kehrte 2002 ins Oberhaus zurück. Ein Jahr später zog der Verein aus finanziellen Gründen die Mannschaft in die 2. Bundesliga zurück. Seit 2007 trat man unter TTC Optolyth Optik Wendelstein an, danach nannte sich der Verein um in TTC Wendelstein.

ETTU-Pokal

Vergleichbar mit dem damaligen UEFA-Pokal im Fußball, war der ETTU-Pokal im Tischtennis finanziell sicherlich nicht das Highlight. Weite Auswärtsfahrten mussten aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Dennoch bescherte dieser Wettbewerb einige unvergessliche Auftritte. In 1999 erst im Halbfinale am FC Langweid gescheitert, gelang zwei Mal sogar der Einzug ins Endspiel (mit Hin- und Rückspiel).

In der Saison 1999/2000 hatten Jiaduo Wu, Svenja Weikert und Tanja Riss nach ihrem 4:2-Hinspielsieg in eigener Halle (nach 0:2-Rückstand) über Postas Matav Budapest bereits die Hand am Pokal. Hätte in Budapest nach 2:0-Führung das Doppel Wu/Svenja Weikert beim Stand von 18:18 nach gewonnenem ersten Satz die drei Bälle zum Gesamtsieg geholt, man wäre mit dem Cup im Gepäck aus der ungarischen Metropole nach Hause gefahren. So aber ging das Doppel verloren. Budapest machte nicht nur den Rückstand wett, sondern gewann das Rückspiel mit 4:2 und hatte insgesamt wegen des besseren Satzverhältnisses die Nase vorne. Eine Niederlage, die Franz David heute wesentlich mehr beschäftigt: "Als ich mir vor Kurzem auf Video die Zusammenfassung angesehen hatte, konnte ich mich erst so richtig drüber ärgern!"

In der Saison 2001/02 schaffte es der TTC Femont Röthenbach in diesem Wettbewerb ebenfalls bis ins Endspiel. Und auch hier durfte man sich gegen 3B Berlin nach der knappen 2:3-Hinspielniederlage etwas ausrechnen. Es war ein stimmungsvoller Auftritt vor rund 300 Zuschauern in der gut besuchten Schwarzachhalle. Doch nach gerade mal 80 Minuten jubelten nur noch die zahlreichen Berliner Fans über dem 3:0-Erfolg ihrer Mannschaft.

Internationale Erfolge

Christina Fischer: Vier EM-Teilnahmen. Mit der Nationalmannschaft gewann sie zwei Mal Gold und einmal Silber. 1997 holte sie WM-Bronze, gewann den Europapokal mit Langweid und Lübeck.

Jiaduo "Dudu" Wu: Nach dem Wechsel zum FSV Kroppach und ihrer Einbürgerung im November 2005 spielte sie auch für die Deutsche Nationalmannschaft. EM-Bronze 2007 war ihr erster großer Erfolg. Am 20. September 2009 gewann sie bei der EM in Stuttgart Gold im Einzel. 2008 und 2012 war sie für die Olympischen Sommerspiele in Peking und London qualifiziert. Sie wurde EM-Dritte im Damen-Doppel 2007 mit Elke Wosik, war 2012 Siegerin beim Europa-Top-12-Turnier in Lyon und jeweils Dritte 2008 in Frankfurt und 2009 in Düsseldorf.

Marie Svensson: Im Einzel wurde sie 1994 Europameisterin. Im Doppel und Mixed holte die mehrfache Schwedische Meisterin drei weitere EM-Medaillen und eine WM-Medaille 1995 im Mixed.

Svetlana Ganina: 2007 feierte die Russin ihren größten Erfolg, wurde mit Wiktorija Pawlowitsch Europameisterin im Doppel.

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