LesArt-Abend mit Sprachkunst in seiner ausgefeilten Form

7.11.2013, 08:36 Uhr
LesArt-Abend mit Sprachkunst in seiner ausgefeilten Form

© Schmitt

Der 1944 in Österreich geborene Lyriker hat mit „Der Kalte“ den zweiten Teil einer Trilogie geschaffen, mit der er die „Geschichte eines Frauenlebens, eines kommunistischen und jüdischen Lebens im 20. Jahrhundert“ erzählen will. Es ist ein literarisches Denkmal für seine Mutter. „Ich mach ihr damit eine Freude oder Ärger.“

Das Buch handelt Mitte der 1980er Jahre in Wien. Dort haben Schindels Aussage zufolge in dieser Zeit drei Kulturkämpfe geherrscht: „Um den Präsidenten, um das Burgtheater und um das Hrdlicka-Mahnmal gegen Faschismus.“ Motive, die er in seinem Buch verknüpft und dabei das Panorama einer Großstadt in einer bestimmten Zeit vor dem Leser ausbreitet.

Seine Figuren beschreibt er aus verschiedenen Perspektiven mit viel Liebe zu Detail.

Eine Botschaft expressis Verbis enthalte der Roman nicht, sagt Schindel. Der Text als Ganzes aber impliziert eine Aufforderung ganz deutlich: „Lebe so, dass Auschwitz nicht noch einmal möglich wird.“

Heftige Debatten

1986 wurde Kurt Waldheim österreichischer Bundespräsident. Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen löste aufgrund seiner Vergangenheit als Offizier der deutschen Wehrmacht eine heftige Debatte in der Alpenrepublik über das Verhältnis zu den Nazis aus. Daniela Eisenstein sprach von der „Lebenslüge Österreichs, das erste Opfer Hitlers gewesen zu sein“.

Die Wahl Waldheims zum Staatsoberhaupt erzeugte Schindel zufolge „eine heftige Diskussion, die sehr viel gebracht hat“. Ähnlich wie die ab 1968 in der Bundesrepublik. „Große Lager gegen Rechts haben sich entwickelt.“

Schindel hält sein Heimatland auch deshalb heute für eine „starke bürgerliche Demokratie“. Aber das könne kippen. „Dagegen gilt es anzukämpfen.“

Robert Schindel entwickelt in seinem Buch viele einzelne Handlungsstränge und führt sie zusammen, ohne ein Chaos entstehen zu lassen. Die Protagonisten sind „fiktive Personen mit realem Hintergrund“. Sie bilden ein Netz in der Metropole. Wiens Bürgermeister zieht mit einem zynischen Bildhauer durch die Kneipen. Wenig später lässt der Künstler die Kulturstadträtin abblitzen, als sie seine Arbeit inspizieren will.

Autobiographische Züge

Der Tagebucheintrag eines 16-Jährigen ebnet den Weg zu handfester Erotik. Seine Freundin will ihn während eines jüdischen Passah-Fests ihren Eltern vorstellen. Schindel schildert es ausführlich. Unterdessen wird im Parlament der neue Bundespräsident vereidigt. Die Aktivistengruppe „Das andere Österreich“ protestiert dagegen und sagt Nein zum Kriegsverbrecherpräsidenten.

„Der Kalte“ ist ein Großstadtroman wie „Berlin Alexanderplatz“ und ein Gesellschaftsroman mit autobiographischen Zügen zugleich. „Die habe ich geschickt auf mehrere Personen verteilt“, schildert er seine Technik zum Einbau der eigenen Lebensgeschichte.

Die zentrale Figur des Romans ist der Auschwitzüberlebende Edmund Fraul, der in Wien zu Hause ist. „Der Kalte“ nennt ihn Schindel, weil ihm durch seine Lebensgeschichte jede Empfindungsfähigkeit abhanden gekommen ist.

Eine Cafehaus-Szene

Bizarr wird es, wenn Fraul im Cafehaus auf Rosinger trifft, den ehemaligen KZ-Aufseher. Diese Verbindung ist möglich, sagt Schindel, weil Rosinger seine Verantwortung bekennt, bereut und eine „marginale Strafe“ angenommen hat. „Das milde Urteil“, wie Fraul findet, „verdanke ich auch ihnen“, gibt Rosinger vor zwei Espressi zu.

Völlig ist seine Schuld offenbar aber noch nicht getilgt. Denn Fraul geht grußlos. Wie selbstverständlich bezahlt Rosinger beider Gedeck.

Angewandte Sprachkunst

Robert Schindel ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Unter anderem hat er 2007 den Jakob-Wassermann-Literatur-Preis der Stadt Fürth erhalten. Er ist Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Als Universitätslektor lehrt er am Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Der Abend in der Synagoge erinnert indes nie an eine Hochschul-Vorlesung. Er liefert ein beeindruckendes Beispiel für angewandte Sprachkunst.

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