Melchior-Figur: Das sagen Kirchenvertreter aus Schwabach und Wendelstein

14.10.2020, 06:02 Uhr
Um diese Figur geht es: Der Melchior im Ulmer Münster. Im Hintergrund spricht Ernst-Wilhelm Gohl, Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Ulm

© Sebastian Gollnow Um diese Figur geht es: Der Melchior im Ulmer Münster. Im Hintergrund spricht Ernst-Wilhelm Gohl, Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Ulm

Während die anderen beiden Könige normale Gesichtszüge haben, gleicht der Baltasar aus dem Ulmer Münster einer Fratze. Riesige Lippen, goldene Kreolen und affenartigen Züge: Dass diese Figur ein uraltes, rassistisches Stereotyp bedient, steht außer Frage. Deshalb stehen diese Heilige Drei Könige 2020 nicht mehr in der Weihnachtskrippe.

Der Dekan Ernst-Wilhelm Gohl selbst hat sich dafür ausgesprochen, die Figuren zu entfernen. Seitdem hat Gohl keine ruhige Minute mehr, denn: Natürlich ist auch in diesem Fall wieder eine deutschlandweite, vor allem in sozialen Medien ausgetragene, Debatte aufgeflammt. Diese erinnert an die Straßen, Apotheken und Brauereien, die das Wort "Mohr" im Namen haben und deshalb unbenannt wurden - oder werden sollen.


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Die einen sind froh und erleichtert, dass derartige Symboliken und Namen endlich aus der modernen Gesellschaft verschwinden. Die anderen wittern aufgebauschte Debatten, wollen an die Geschichte erinnern oder fragen schlichtweg, ob man denn keine wichtigeren Themen zu diskutieren hätte.

Zumindest andere Themen treiben derzeit die Kirchenmitarbeiter, Pfarrer oder Dekaninnen um. Denn: In den Pfarrhäuser geht die Planung für Weihnachten los oder Hochzeiten werden nachgeholt. Die Schwabacher Dekanin Berthild Sachs hat von der Melchior-Debatte in der Zeitung erfahren. Auch sie steckt gerade mitten in den Planungen für die Weihnachtszeit.

Globaler Gedanke

"Hinter der Darstellung der Heiligen Drei Könige steckt ein ein globaler Gedanke. Der gesamte Erdkreis, symbolisiert durch die Vertreter Asiens, Afrikas und Europa, pilgert zum neu geborenen Kind. Zudem handelt es sich bei den Vertretern um Gelehrte, Weise. Da steckt theologisch eine Menge drin", erklärt die Dekanin. Eine biblische Geschichte mit dem Thema der Globalisierung - das sei ein fast modernes Phänomen, schließlich repräsentierten die drei Weisen aus dem Morgenland die damalige Welt. "Aber", warnt Berthild Sachs, "man muss darauf achten, wie man die Vertreter darstellt." So wie es in Ulmer Münster der Fall war, wäre es natürlich stereotypisch und rassistisch gewesen.

"Die Grundidee ist eine von Internationalisierung und Differenzierung, das sollte man respektvoll ausdrücken." Deshalb fände die Dekanin es auch schön, wenn sich diese Differenzierung in der Repräsentation der Sternsinger widerspiegelt. "Die Sternsinger sollen die Wirklichkeit abspiegeln, deshalb ist Inklusion und Diversität so wichtig." Das bezieht Berthild Sachs übrigens auch auf das Thema Alter: "Auch der Großvater kann bei den Sternsingern mitlaufen."

"Die Grundidee ist eine von Internationalisierung und Differenzierung, das sollte man respektvoll ausdrücken," so Dekanin Berthild Sachs. 

"Die Grundidee ist eine von Internationalisierung und Differenzierung, das sollte man respektvoll ausdrücken," so Dekanin Berthild Sachs.  © HeikeRost.com

"Nicht überspitzt darstellen"

Der katholische Pfarrer Michael Kneißl sagt: ""Worauf man achten sollte, ist Merkmale nicht überspitzt darzustellen."

Der katholische Pfarrer Michael Kneißl sagt: ""Worauf man achten sollte, ist Merkmale nicht überspitzt darzustellen." © Pfarrgemeinde St. Nikolkaus

Pfarrer Michael Kneißl vom katholischen Pfarramt Wendelstein sieht das genauso. Die Heiligen Drei Könige würden die Menschen auf der Welt repräsentieren und sollen deshalb auch dementsprechend aussehen. "Wenn man die Drei Könige als blond und hellhäutig darstellen würde, wäre das für mich auch wiederum rassistisch, denn es war ja nicht so," so der katholische Pfarrer. "Worauf man achten sollte, ist Merkmale nicht überspitzt darzustellen." So würden ja Deutsche es auch nicht gut finden, wenn sie stereotypisch mit Trachten und Sepp Hut dargestellt würden. "Wichtig fände ich, nicht nur zu überlegen, in welcher Erscheinung und Aufmachung die Figuren an der Krippe auftauchen, sondern dass wir die "lebendigen" Menschen anderer Kontinente weihnachtlich im Blick haben - mit dem in manchen Zonen großen Bedrängnissen von Hungersnot, von Flüchtlingselend, von wirtschaftlicher Misere..."

 "Das ist natürlich eine Karikatur. Vielleicht könnte man das Gesicht der Figur neu konstruieren", meint Sandra Niyonteze, Vorsitzende des Integrationsrates der Stadt Schwabach.

 "Das ist natürlich eine Karikatur. Vielleicht könnte man das Gesicht der Figur neu konstruieren", meint Sandra Niyonteze, Vorsitzende des Integrationsrates der Stadt Schwabach. © Daniel Hertwig

Sandra Niyonteze, Vorsitzende des Integrationsrates der Stadt Schwabach, hält die Sensibilisierung und das grundsätzliche Führen dieser Debatte für wichtig, auch wenn sie von Verallgemeinerungen in der Rassismus-Debatte nichts hält.

Zu der Melchior-Figur im Ulmer Münster hegt sie gemischte Gefühle: "Das ist natürlich eine Karikatur. Vielleicht könnte man das Gesicht der Figur neu konstruieren." Sie einfach zu entfernen, hält sie für nicht sinnvoll - auch wegen der grundsätzlichen Aussage der Bibelgeschichte. "Vielleicht kann die Kirche diese Debatte als Anlass nehmen, inwieweit es an der Zeit ist, sich selbst zu reformieren."

Klischeefreie Darstellung

In Hinblick auf die bevorstehende Weihnachtszeit werden sicherlich einige Kirchenvertreter einen genaueren Blick auf ihren Melchior in der Krippe werfen. Die Deutsche Bischofskonferenz wirbt jetzt für eine klischeefreie Darstellung. Seitens der Evangelische Kirche in Deutschland heißt es gegenüber der Bild am Sonntag: "Selbstverständlich kann in jeder Gemeinde vor Ort sensibel darüber entschieden werden, welche Darstellungen in ihrer jeweiligen Kirche zu sehen sind."

Das Thema reduziert sich aber nicht nur auf das Krippenspiel an Weihnachten. Spätestens wenn im Januar wieder Menschen als Caspar, Melchior und Balthasar losziehen, um als Sternsinger Spenden zu sammeln, wird die Thematik des dunkler Schminkens („Black Facing“) wieder auftreten.

Daran knüpft sich die immer wiederkehrende Diskussion um rassistische Faschingskostüme. Somit ist die kleine Melchior-Figur im Ulmer Münster wohl Ausdruck einer viel größeren und zentraleren Debatte: Wie gehen wir jetzt und in Zukunft mit Rassismus im Alltag um?

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