Stanišić: Höhepunkt der Schwabacher LesArt

8.11.2019, 13:52 Uhr
Gute Laune: Saša Stanišić und Schwabachs Bürgermeister Roland Oeser.

© Robert Schmitt Gute Laune: Saša Stanišić und Schwabachs Bürgermeister Roland Oeser.

Hat er wirklich das Buch des Jahres geschrieben? "Ein Roman und doch keiner, eine Autobiografie und doch keine: ,Herkunft’ ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung", sagt der Autor selbst über das mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Werk.

Der am 7. März 1978 im bosnischen Višegrad geborene Stanišić ist 1992 auf der Flucht vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg nach Heidelberg gekommen. Sein Buch ist auch ein Spiel mit dieser Erfahrung. Oder sollte man sagen "die Verarbeitung dieses Traumas"? Mag sein.

Dem Buch merkt man indes keine Traumatisierung an. Kommunismus, Krieg, Vertreibung und Neuanfang: Stanišić hat all dies offenbar erstaunlich positiv verarbeitet. Mit viel Witz und immer auch mildem Pathos erzählt der ehemalige Jugoslawe, wie er als "Pionier Titos" am Stafettenlauf zum "Tag der Jugend" teilgenommen hat und macht das Europapokal-Halbfinale 1991 zwischen Roter Stern Belgrad und Bayern München zum letzten Dokument jugoslawischer Vielvölkereinheit. Galt das Team aus der Hauptstadt damals doch als "Jugoslawien-Auswahl". Nach seinem Triumph in der Königsklasse aber zerfiel es ebenso wie wenig später der Staat, aus dem es seine Spieler rekrutiert hatte.

Stanišić: Höhepunkt der Schwabacher LesArt

© Foto: Robert Schmitt

"Hier spricht niemand deutsch"

In Heidelberg muss Saša natürlich zur Schule gehen. Ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, geschweige denn zu sprechen. So schildert er die ersten Erfahrungen in einem deutschen Klassenzimmer. Links neben ihm ein Finne namens Pekka, rechts Dedo, der wie er aus Jugoslawien stammt. "Hier spricht niemand Deutsch", stellt er fest. Dennoch wird in der ersten Stunde Geographie unterrichtet. Der Lehrer bringt Karten mit. Er zeigt den Rhein, den Feldberg und den Odenwald. Pekka hört gut zu, kommt aber etwas durcheinander. "Wo bist Du geboren?", will der Lehrer von ihm wissen. "Im Odenwald", antwortet der Skandinavier. Der 14-jährige Saša hat ähnliche erste Berührungspunkte: "Auf der Tür zur deutschen Sprache steht ,ziehen’ und du drückst." Heute beherrscht er sie so perfekt, dass seine Bücher mit Preisen überhäuft werden.

Saša Stanišić erschafft in "Herkunft" ein eigenes Universum mit vier verschiedenen Mosaik-Flächen. Die Welt der Kindheit in Bosnien, die Welt in Heidelberg, die Welt der dementen Großmutter und die Welt des bosnischen Bergdorfs Oskorusa: der Heimat der Ahnen, in der alle Grabsteine seinen Familiennamen tragen.

Von Kommunisten und Anglern

Den Ausflug dorthin unternimmt er mit der Großmutter, denn seine frühe Kindheit ist geprägt vom Kontakt zu den Eltern seiner Eltern, "die studieren (Mutter) und arbeiten (Vater) mussten". Einer der Großväter war Kommunist, der den Enkel zu Spaziergängen mit weiteren Kommunisten mitnahm. Der andere war Angler.

Die zweite Oma hat ihm aus den Bildern von Nierenbohnen die Zukunft vorausgesagt. Jetzt besucht er sie im Altenheim und erweist sich als fürsorglicher Enkel, der sensibel mit der Verwirrung der 87-jährigen umgeht. "Ich weiß nicht mal, ob sie weiß, wo diese Wände stehen, die sie umgeben." Es ist ein Abschied von seiner Großmutter. "Während ich Erinnerungen sammle, verliert sie ihre."

"Poet und Revolutionär"

Mit "Herkunft" hat Saša Stanišić gewiss ein Buch vorgelegt, das ihn nicht nur als einen der besten jungen Erzähler Deutschlands ausweist. "Er ist ein Poet und Revolutionär, der seine eigentliche Heimat in der Sprache gefunden hat", schrieb ein Kritiker über ihn.

Für Bürgermeister Roland Oeser als Moderator des ebenso vergnüglichen wie nachdenklich stimmenden Abends hat Stanišić mit Herkunft "europäische Geschichte in deutscher Literatur" festgehalten.

"Ich liebe Eier"

"Mit klarer, humorvoller und feiner Sprache hat er ein Buch geschrieben, das gegen das Vergessen kämpft", sagt Oeser, der selbst hautnah mit dem jugoslawischen Bürgerkrieg in Berührung gekommen ist. Er hat 1992 eine Familie aus Bosnien bei sich aufgenommen.

Stanišić hat sich in Schwabach umgesehen und das Stadtmuseum besucht. "Die Eierausstellung ist super", sagt er. "Ich liebe Eier." Danach habe er ein "Spalter" getrunken.

Auf der Internetplattform Twitter verrät er, dass er sich im Museum ein Ei als Souvenir gekauft habe, ein "Souvenei" also, und zeigt sogar stolz ein Bild davon. "Freu mich wie ein Huhn auf den Besuch", hatte er zuvor getwittert.

"Ich bin guter Dinge", leitet er im Markgrafensaal seine Lesung ein, die von der ersten bis zu letzten Minute belegt: Er hat das Buch des Jahres geschrieben.

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