Sturm aufs Capitol: Schwabacher Eindrücke aus Amerika

8.1.2021, 23:00 Uhr
Sturm aufs Capitol: Schwabacher Eindrücke aus Amerika

© Foto: dpa

Was ist nur los in Amerika? Das fragt man sich nach dem Sturm aufs Capitol in Washington DC. mit noch größerer Sorge. Patrick Ponath kommt aus Schwabach und arbeitet seit 2017 im Silicon Valley, lebte schon Jahre zuvor in den Staaten, hat dort seinen Doktor in Physik gemacht. Johann Ricker ist in Kammerstein aufgewachsen und mit seinen Eltern, sein Vater ist Amerikaner, 2014 in die USA gezogen. Inzwischen ist er 26 Jahre alt und Lehrassistent an der University of Texas in Dallas. Dort studiert er Geschichte. Ein Schwerpunktthema: der Rassismus in Nordamerika und Europa. Das Tagblatt hat beide um Eindrücke und Einschätzungen gebeten.

Patrick Ponath

Das Silicon Valley, so erzählt der Ex-Schwabacher, als wir ihn am späten Donnerstagabend (neun Stunden Zeitunterschied) per Zoom in seinem Homeoffice erwischen, gelte als sehr progressiv und liberal. Hier ist Ponaths Arbeitsstelle, im Bereich Forschung und Entwicklung eines Unternehmens, das Maschinen zur Chip-herstellung produziert. In Zeiten von Social distancing ist Ponath selten an seinem regulären Arbeitsplatz in der Firma, Homeoffice ist meist angesagt, sodass die Kontakte mit Arbeitskollegen eher stark eingeschränkt sind. Am Tag der Geschehnisse rund ums Capitol war er in der Firma, hat dort bei Arbeitskollegen eine gewisse Ungläubigkeit dergestalt erlebt, dass solches in den Staaten überhaupt passieren könne.

Sturm aufs Capitol: Schwabacher Eindrücke aus Amerika

© Foto: dpa

Auch Freundin Jennifer, eine Amerikanerin, sei angesichts der Gewalt geschockt gewesen: "Dass Menschen zu so etwas fähig sind." Für Patrick Ponath ist die Eskalation am Capitol kein überraschendes Ereignis, zumal Noch-Präsident Trump nichts unterlassen habe, um die Stimmung aufzuheizen.

Angesichts der dramatischen Bilder im Fernsehen äußert sich Freundin Jennifer, sie habe es zuvor nie für möglich gehalten, dass in den Vereinigten Staaten so etwas möglich sei. Sie schreibt dem Republikaner Trump einen Großteil der Schuld an den Ereignissen zu. Denn schließlich habe er durch Botschaften an seine Anhänger die Stimmung geschaffen. Trump habe irgendwann zwar notgedrungen "geht nach Hause" gesagt, doch letztlich sei ihm, so Jenns Einschätzung, egal gewesen, was passiert.

Zur Aktion in Washington seien Menschen von weither angereist, die auf irgendeine Art fehlgeleitet worden sind, denen Arbeitslosigkeit oder geringes Einkommen gemein sei und die über geringe Bildung verfügten. "Trump hat haargenau gewusst, was er macht", meint Jennifer. "Er hat andere Menschen wie Marionetten benutzt". Und doch ist sie sich sicher, dass er gesichtswahrend selbst das Weiße Haus verlassen werde und nicht vom Secret Service hinausgeleitet werden müsse.

Johann Ricker

Zunächst war es für ihn ein normaler Arbeitstag an der Uni. Bis ihn ein Freund anschrieb, ob er schon mitbekommen habe, was da in Washington gerade geschieht. "Von da an habe ich die Ereignisse live auf Twitter verfolgt", berichtet Johann Ricker.

Sturm aufs Capitol: Schwabacher Eindrücke aus Amerika

© Foto: Ricker

Wie er reagiert hat? "Gar nicht mehr überrascht, um ehrlich zu sein", sagt er. "Trump und sein Gefolge rufen ständig zum Aufstand auf oder dass man Widerstand gegen das böse Establishment oder die böse demokratische Partei leisten muss, gar zur Waffe greifen."

Ein trauriges Beispiel sei der Fall von Kyle Rittenhouse, der im August in Kenosha bei einer Black-Lives-Matter-Demonstration mit seinem Gewehr zwei Menschen erschoss. "Trumps größte Fans haben Rittenhouse als Held dargestellt, der gemacht hat, was sich andere nicht trauen."

Jetzt beim Sturm aufs Capitol seien einige Rohrbomben platziert worden. Auch wurden einige Trump-Anhänger bewaffnet und einer auch mit Kabelbindern fotografiert. "Es besteht kein Zweifel, dass diese Person geplant hat, ein paar Senatoren oder Abgeordnete gefangenzuhalten oder zu entführen. Das Timing war auch perfekt, da der Senat das Wahlergebnis bestätigen wollte. Zweck war, Senat und Unterhaus einzuschüchtern. Daher denke ich, dass dieser Akt ein terroristischer war", so Johann Ricker.

Wie er sich erklärt, dass so viele Amerikaner an die "gestohlene Wahl" glauben, obwohl Trump keine Beweise vorlegen konnte? "Diese Menschen sehen Trump als den Erlöser Amerikas, als Gottes Geschenk, um das Land wieder auf die richtige Spur zu bringen. Insbesondere die rechten und rechtsradikalen Amerikaner würden alles tun, was ihnen ihr Lieblingspräsident befiehlt. Diese Leute brauchen keine Beweise, weil in ihrer Welt Trump nichts falsch machen kann", erklärt Ricker.

Wie die Stimmung im Land am Tag danach ist? "Sehr bedrückend. Immer noch schockiert", so Johann Ricker. "Es gibt auch viel Wut in der amerikanischen Linken, dass die schlimmsten Erwartungen sich als wahr herausgestellt haben."

Was soll nun geschehen: Trump absetzen oder die restlichen Tage aussitzen? "Trump abzusetzen wäre ein guter Schritt, um zu zeigen, dass es keine Person gibt, die immun gegenüber dem Gesetz ist", findet Ricker.

Alle hoffen, das Biden das gespaltene Land wieder zusammenführt. Teilt Johann Ricker diese Zuversicht? "Überhaupt nicht. Der Spalt in Amerika geht so tief, dass es unmöglich ist für einen Präsidenten, ihn zu heilen. Es kann Generationen dauern, um den Schaden zu reparieren."

 

Keine Kommentare