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USA-Schwabach: Seit 43 Jahren Urlaub als Marktfrau

16.6.2021, 06:00 Uhr
"Die eine weiß, was die andere denkt", sagt Evi Engel-Koch (rechts) über sich und ihre Schwester Christa Lemere. Normalerweise trennt sie der Atlantik, doch im Sommer stehen sie zusammen auf dem Schwabacher Markt. Eine Leidenschaft, die verbindet.

© Günther Wilhelm, NN "Die eine weiß, was die andere denkt", sagt Evi Engel-Koch (rechts) über sich und ihre Schwester Christa Lemere. Normalerweise trennt sie der Atlantik, doch im Sommer stehen sie zusammen auf dem Schwabacher Markt. Eine Leidenschaft, die verbindet.

"Jeder fragt schon immer: Wann kommt denn deine Schwester wieder?", erzählt Evi Engel-Koch. Im vergangenen Jahr war ein Besuch wegen Corona nicht möglich. Doch nun ist Christa Lemere wieder da. Wie seit inzwischen 43 Jahren. Jeden Sommer kommt sie aus den USA zurück nach Schwabach und hilft ihrer Schwester am Obst-, Gemüse- und Blumenstand am Marktplatz. Arbeit im Sommerurlaub? "Für mich ist das wie Urlaub", lächelt Christa Lemere.

USA-Schwabach: Seit 43 Jahren Urlaub als Marktfrau

© Günther Wilhelm, NN

Der Stand der Familie Engel ist eine Institution am Schwabacher Marktplatz. "Schon unsere Großeltern waren hier", sagt Evi Engel-Koch. Sie selbst hat Lehramt studiert und auch als Lehrerin gearbeitet, ihre zwei Jahre jüngere Schwester eine Gärtner- und Floristiklehre abgeschlossen. "Eigentlich hätte ich die Gärtnerei übernehmen sollen", erzählt Christa Lemere.

Doch dann kam alles ganz anders. Der Liebe wegen. "Beim Weiberfasching im Nobis hab` ich meinen ersten Mann kennengelernt. Und der war Amerikaner. Ein Physiker an der Uni Erlangen", blickt Christa Lemere zurück. Der Abend hat ihr Leben verändert. Die beiden heiraten, ihr Mann bekommt Angebote von amerikanischen Unis, das Paar geht in die USA. Ihr Mann ist ein gefragter Wissenschaftler, wird an mehrere Universitäten berufen. So lernt die junge Schwabacherin die Vielfalt der Vereinigten Staaten kennen. Hawaii, South Carolina, Georgia, Florida, Tennessee, Washington State im Nordwesten und die Hauptstadt Washington D.C..

"Jeder Tag eine einzige Freude"

Als daheim aus Altersgründen die Nachfolge in der Gärtnerei ansteht, übernimmt Evi Engel-Koch und gibt das Lehramt auf. Ein Opfer? "Absolut nicht. Für mich ist jeder Tag am Markt eine einzige Freude", sagt die 65-Jährige. "Und für mich auch", ergänzt Christa Lemere. "Das hat man im Blut."


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Trotz der Distanz über all die Jahre sind sich die beiden Schwestern sehr nahe geblieben. Jeden Samstag wird telefoniert, gerne auch mal zwei, drei Stunden. Und im Sommer zieht es Christa zurück nach Schwabach. "Ich habe zwei Zuhause", sagt sie. "Und in beiden fühle ich mich sehr wohl."

In den USA hat sie sich ihr Leben aufgebaut. "Ich hab` mich sofort eingefunden und hatte nie Probleme. Die Amerikaner sind sehr offen, sehr kommunikativ, sehr hilfsbereit und halten zusammen." Wie ihre Schwester hat sie Lehramt studiert, unterrichtet Englisch und Mathematik. Sie hat einen Sohn und eine Tochter und inzwischen vier Enkel.

Kojoten und Klapperschlangen

Nach dem Tod ihres ersten Mannes hat sie dessen Namen behalten. Auch nachdem sie wieder geheiratet hat. Einen Vier-Sterne-General. Mit ihm lebt sie in der Nähe von Colorado Springs auf einer Ranch. Aber Nähe ist in Amerika ein relativer Begriff.

"Die nächsten Nachbarn sind eineinhalb Autostunden weg", sagt Christa Lemere. "Die Ranch ist groß: So weit das Auge reicht", wirft Evi Engel-Koch noch kurz ein. "Es gibt Kojoten. Klapperschlangen, Waschbären, manchmal schaut ein Braunbär vorbei. Und einmalig schön sind die Adler", berichtet Christa Lemere. Alles ganz normal. Nur dass ein Bär es sich schon mal in Nachbars Wohnzimmer bequem gemacht hatte, das sei doch etwas zu weit gegangen. Colorado Springs sei einfach schön. Auch wegen der Nähe zu den berühmten Wintersportorten Aspen und Boulder in den Rocky Mountains.

Zu Gast im Weißen Haus

Eher beiläufig ergibt sich im Gespräch, dass sie gelegentlich auch in Washington ist: zusammen mit ihrem Mann bei Empfängen im Weißen Haus. Im Weißen Haus? Christa Lemere wiegelt ab: Das bringe der Job ihres Mannes eben mit sich. Welche Präsidenten sie schon kennengelernt hat? Die Antwort kommt zögerlich, sie will nicht prahlen. "Clinton, Bush, Obama, Trump, Biden", zählt sie auf - ohne jeden Anflug von Ehrfurcht. "Die waren alle sehr freundlich. Das sind Menschen wie wir auch." Mehr will sie auch gar nicht erzählen. "Über Politik rede ich nicht."


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"Das ist schon ein ganz anderes Leben", findet Evi Engel-Koch. Für sie aber wäre das nichts, sagt sie. "Ich bin bodenständig." Einige Male hat sie ihre Schwester besucht. "Aber wenn ich fünf Wochen drüben bin, denke ich die ersten drei Wochen noch an daheim und die letzten zwei schon wieder. Ich habe die Amerika-Urlaube schon genossen, aber dort bleiben wollte ich nie."

"Evi hat Heimweh", sagt Christa. Und sie selbst? Was vermisst sie? "Bei uns gibt es sogar Bratwurst. Und ich kenne einen Bäcker aus München, das Brot ist also auch okay. Nur an den Ami-Senf hab´ ich mich in 43 Jahren nicht gewöhnt."

Aus Kunden wurden Freunde

Und einen Markt wie in Schwabach gebe es in Amerika auch nicht. Christa Lemere genießt ihn genauso wie ihre Schwester: "Das ist ein herrlicher Treffpunkt. Hier am Markt bin ich nur die Christa." Viele Kunden sind inzwischen Freunde, mit denen sie auch von den USA aus Kontakt über WhatsApp hält. Schwabach ist ihr wichtig. "Die Stadt hat sich beeindruckend entwickelt", sagt sie aus der Perspektive der jährlichen Heimkehrerin.

Am 1. Juli aber geht es wieder zurück in ihre andere Heimat. In den USA will sie auch bleiben. Wegen der Familie, aber auch weil sie sich sehr wohl fühlt. "Es ist wirklich ein schönes Leben", sagt Christa Lemere, "bis auf den Senf".

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