"Schlimmstenfalls lebenslänglich"

Vermutlich rund 1000 Betroffene im Landkreis: Rother Gesundheitsamt warnt vor Post-Covid

Robert Gerner

Schwabacher Tagblatt

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5.5.2022, 09:00 Uhr
Wenn die Symptome einfach nicht verschwinden. In Mittelfranken gründen sich erste Selbsthilfegruppen von Menschen, die an Post Covid leiden.

© AdobeStock Wenn die Symptome einfach nicht verschwinden. In Mittelfranken gründen sich erste Selbsthilfegruppen von Menschen, die an Post Covid leiden.

Gefühlt ist die Pandemie in ihrem Endstadium. Es gibt nach wie vor sehr viele Infektionen. Doch in den aller-allermeisten Fällen sind die Betroffenen nach ein paar Tagen mit Fieber, Husten und/oder Schnupfen wieder fit.

Aber was ist, wenn die Kopfschmerzen nicht nachlassen? Wenn sich der körpereigene Akku nur noch auf 30 Prozent auflädt? Wenn man sich nicht mehr auf die Arbeit oder ein spannendes Buch konzentrieren kann? Wenn man über Wochen kaum aus dem Bett kommt, weil jede Anstrengung zu viel ist?

Wer vier Wochen nach einer Corona-Infektion noch Erschöpfungszustände, Konzentrationsstörungen, Atemnot, Schlafstörungen und Muskelschmerzen hat und/oder seinen Geruchs- und Geschmackssinn noch nicht wiedererlangt hat, der leidet an "Long-Covid". Bis zu 15 Prozent der Infizierten sind mehr oder weniger stark betroffen. Immerhin: Die meisten von ihnen werden die Spätfolgen früher oder später überwinden.

Von Long-Covid zu Post-Covid

Wer aber auch nach drei Monaten noch nicht wieder auf den Beinen ist, bei dem ist es nicht weit zur "Post-Covid"-Diagnose. Betroffen sind davon sind nach Einschätzung von Dr. Stefan Schmitzer etwa zwei Prozent aller Infizierten. "Wir haben im Landkreis Roth bislang gut 40.000 per PCR-Test nachgewiesene Ansteckungen", rechnete der Leiter des Gesundheitsamtes Roth-Schwabach in der jüngsten Sitzung des Kreisausschusses vor.

Wenn jeder Fünfzigste an Post Covid leide, dann seien das mehr als 700 Landkreis-Bürger. Wenn man davon ausgehe, dass die tatsächliche Zahl der Infizierten noch deutlich höher sei, dann komme man schnell auf mehr als 1000 Betroffene, deren Körper jahrelang oder vielleicht sogar lebenslang mit den Spätfolgen kämpfe, so der Chef des Gesundheitsamtes.

Für jeden Einzelnen und dessen Familie sei das ein Drama. Aber auch der volkswirtschaftliche Schaden sei enorm: "Die Leute können oft nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten, bei manchen bricht die Existenzgrundlage weg, sie brauchen aufwändige und kostenintensive Therapien."

Wie kürzlich berichtet, gibt es in der Region inzwischen einige Therapieeinrichtungen für Menschen mit Post-Covid. Es ist aber absehbar, dass der Bedarf viel größer ist als das Angebot.

Die Impfung hilft auch hier

Die Frage ist, wie man sich vor Post-Covid schützen kann? "Das bringt mich zu meinem Lieblingsthema", sagte der Amtsarzt vor dem Kreisausschuss. "Die Impfung verhindert in der Regel nicht nur schwere Verläufe einer Infektion, sie verringert nicht nur das Übertagungsrisiko. Sie verringert auch eindeutig die Gefahr, an Long-Covid- oder Post-Covid zu erkranken. Das ist inzwischen eindeutig bewiesen."

"Und was sagen Sie zum Thema Impfschäden, von denen man aus einschlägigen Kreisen immer wieder hört", fragte stellvertretender Landrat Walter Schnell nach. Stefan Schmitzers Reaktion kam prompt: Es gebe, wie bei jeder Impfung und wie bei jedem Medikament, eine geringe Gefahr von Nebenwirkungen. Eine 100-prozentige Sicherheit im Leben gebe es nicht.

Bleibende Impfschäden seien in Einzelfällen nachgewiesen, räumte Schmitzer ein. Sie seien jedoch angesichts von mehreren Milliarden verimpften Dosen so extrem selten, dass die Vorteile der Impfung die tragischen Nachteile für einzelne Wenige vieltausendfach aufwiegen. Und: "Es gibt in der Medizingeschichte vermutlich keine Impfung und kein Medikament, das besser untersucht wurde als die neuen mRna-Impfstoffe von Biontech und Moderna."

Relativ entspannt

Die aktuelle Corona-Lage im Gebiet des Gesundheitsamtes Roth-Schwabach stufte Stefan Schmitzer vor den Kommunalpolitikern als "relativ entspannt" ein. Verglichen mit den ersten beiden Pandemiejahren sei die Inzidenz derzeit zwar extrem hoch, und sie sei wahrscheinlich sogar zwei- bis dreimal so hoch wie offiziell ausgewiesen. Doch viele Betroffene würden sich mit einem positiven Schnelltest begnügen und keinen genaueren PCR-Test mehr draufsatteln. "Und nur ein positiver PCR-Test findet Eingang in die Statistik."

Die Krankheitsbilder seien, von Ausnahmen abgesehen, im Durchschnitt milder als bei früheren Wellen und Corona-Mutanten. Die ältesten und verletzlichsten Gruppen seien durch die Impfung ganz gut geschützt. Man habe einzelne Fälle in Altenheimen, aber keine großen Ausbrüche mehr. Derzeit sei keine Schulklasse im Distanzunterricht und keine Kindergartengruppe geschlossen.

Zwei Dinge würden ihm allerdings Sorgen bereiten: Insgesamt sei die Impfquote wahrscheinlich zu gering, um gut und ohne neue Einschränkungen durch Herbst und Winter zu kommen: "Das wird noch einmal eine spannende, herausfordernde Zeit."

Die Kollateralschäden

Und zweitens: Corona habe auch für zahlreiche Kollateralschäden gesorgt. Schmitzer machte das fest an den jüngsten Schuleingangsuntersuchungen. "Es gab schon vor Corona einen klaren Trend zu größeren Defiziten. Aber jetzt ist es so, dass eigentlich fast jedes Kind entweder Ergotherapie oder logopädische Hilfe bräuchte. Oder beides."

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