Vogelherd: Der Abschied der Glocken

31.10.2020, 14:33 Uhr
Vogelherd: Der Abschied der Glocken

© Foto: Günther Wilhelm

Marianne Lachmann lächelt freundlich. Aber man sieht ihr an, dass sie sich dazu fast ein wenig zwingen muss. Wie sie sich in diesem Moment fühlt? "Fragen Sie nicht", antwortet sie spontan, "sonst fang’ ich noch zu heulen an."

Es ist ein Moment, in dem viele Erinnerungen wieder hoch kommen. "Es war herrlich, wirklich herrlich." 34 Jahre war sie für die katholische Filialkirche "Zur göttlichen Vorsehung" im Vogelherd im Einsatz. Ehrenamtlich und unermüdlich. "Als Putzfrau, als Gartenpflegerin, dann bin ich zur Mesnerin aufgestiegen", erzählt sie mit humorvoller Selbstironie. "Hier war ich fast mehr als daheim — das war meins."

Erste Profanierung

Seit 2015 ist das vorbei. Damals wurde die Kirche "profaniert", also förmlich entweiht. Als erstes und bisher einziges Gotteshaus in der Diözese Eichstätt überhaupt. Nur noch zwischen 10 und 30 Gottesdienstbesucher, dafür enorme Kosten für Heizung und eine sonst nötige Sanierung: So entschied man sich in der Kirchengemeinde St. Sebald und der Diözese zu diesem schweren Schritt.

"Im letzten Gottesdienst hab’ ich vor Aufregung gezittert", erzählt Marianne Lachmann ganz offen. Und jetzt, fünf Jahre später, folgt der nächste Abschied.

Spezialisten haben die vier Glocken abgebaut. Es ist wie der Anfang vom Ende. Denn die 1954 gebaute Kirchen soll abgerissen und das 2100 Quadratmeter große Gelände mit Wohnungen bebaut werden. Mittlerweile steht der neue Lärmschutzwall an der Autobahn. Der Grundsatzbeschluss ist gefallen, sonst ist noch vieles offen.

Doch im Innern wirkt die Kirche bereits wie eine Baustelle. Mittwochnachmittag: Vor dem Altarraum liegen die dicken Holzbalken des Glockenstuhls, die vier Glocken stehen vor den Stuhlreihen.

Auch für Thomas Winkelbauer ist das eine neue Erfahrung. Der Glockensachverständige der Diözese Eichstätt kennt sich bestens aus mit den rund 3000 Glocken in der Diözese. Aber einen Abbau organisieren und vorbereiten, "das musste ich noch nie".

Auch ihm fällt das schwer. Aber weniger weil es technisch eine Herausforderung war, die Glocken aus dem rund 20 Meter hohen, aber teils nur 80 mal 80 Zentimeter schmalen Turm zu bekommen.

Vier Glocken

Der Grund ist ein anderer: "Das sind ja doch geweihte Gegenstände", sagt Thomas Winkelbauer. Und sehr schöne noch dazu. "Das sind exzellente Glocken mit einem herrlichen Geläut."

Die größte ist die Walburgisglocke mit rund 280 Kilogramm Gewicht. Dann folgen die Elisabethglocke (162), die Sebaldglocke (134) und die Martinglocke (95).

Die große Frage war: Was tun mit den Glocken? "In der Diözese hatten wir keine Verwendung", erklärt Winkelbauer. Auch an einen Verkauf in eine andere Diözese ist gar nicht zu denken. "Es gibt zwar eine Art Glockenbörse, aber ich habe noch nie gehört, dass eine einen Abnehmer gefunden hat."

"Eine Schwemme"

Eine Nachfrage nach gebrauchten Glocken existiert so gut wie nicht, dafür wächst das Angebot. "In Deutschland haben wir eine Schwemme gebrauchter Glocken, weil vor allem im Norden und Westen viele Kirchen profaniert werden."

So entstand die Idee, in die Partnerdiözesen im Ausland zu schauen. "Das Referat Weltkirche hat Kontakt nach Leitmeritz im Norden Tschechiens aufgenommen", berichtet Pfarrer Robert Schrollinger von St. Sebald am Telefon, weil er beim Fototermin in der Kirche verhindert war.

Und dort freue man sich über dieses Geschenk ganz besonders. Neu erklingen werden die vier Glocken in der Kirche St. Peter und Paul in Horni Prysk, dem früheren Ober-Preschkau. "Die Kirche dort wurde vor sechs Jahren neu geweiht, neue Glocken aber konnte man sich nicht leisten", erklärt Pfarrer Schrollinger.

"Schönes Zeichen"

Die alten Glocken dort waren 1942 unter der Nazi-Herrschaft eingeschmolzen worden. Da sei es doch jetzt ein schönes Zeichen, dass Glocken aus Deutschland kommen. "Natürlich ist es kein erbauliches Gefühl, ein Kirche zu profanieren und die Glocken abzugeben", sagt auch Pfarrer Schrollinger. "Aber wenigstens ist es ein sehr guter Zweck."

"Kirche lebt weiter"

Glockenexperte Thomas Winkelmann freut sich besonders, dass alle vier Glocken zusammen bleiben. In ihrem Klang würden sie sich wunderbar ergänzen.

"Und irgendwie", sagt Thomas Winkelmann und schaut zu Marianne Lachmann, "ist es doch so, dass die Kirche im Vogelherd jetzt dort weiterlebt."

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