Wer tauscht, hat mehr vom Lesen

24.11.2011, 08:10 Uhr
Wer tauscht, hat mehr vom Lesen

© Wairer

Seit etwas mehr als einem halben Jahr steht dieses Regal im Foyer des Schwabacher Kulturhauses. Wer genau hinschaut, kann seinen Zweck zweitausendfach aus der metallenen Rückwand herauslesen, denn dort hat Künstlerhand einen endlosen Fließtext hineingeschnitten: „tauschmich-tauschmich-tauschmich-tausch…“. Es war Annette Edler, stellvertretende Kulturamtsleiterin und Leiterin der Stadtbibliothek, die dem Künstler Reiner Hofmann den Auftrag dazu gab.

Der permanente Büchertausch hat im April mit dem Kulturprojekt „made in…“ seinen Auftakt genommen. Seither gilt, wozu ein kleines Merkblatt einlädt: „Für jedes von Ihnen ins Regal gestellte, gut erhaltene Buch dürfen Sie ein anderes mitnehmen. Bücher bewegen eben! Viel Freude beim Bücherlesen wünscht Ihre Stadtbibliothek Schwabach.“

Nun tritt, es ist Samstagmittag, eine ältere Dame von links an das Tauschmich-Möbel heran. Sie nimmt einen grünen Band heraus. Sie erzählt, wie sie als Kind einmal sehr krank gewesen ist und darüber das Lesen als Zeitvertreib entdeckt hat. Nachschub kauft sie gern auf dem Trempelmarkt. „Und wenn ich hier hereinkomme, hab ich immer ein Buch in der Tasche.“ Könnte ja sein, im Regal findet sich etwas Tauschenswertes.

Heute entdeckt sie da die üblichen Verdächtigen, die bei keinem Trödel fehlen: Konsalik, Simmel, Willi Heinrich und so weiter. Gebundenes Leinen, teils im papierenen Schutzumschlag, steht neben hochglänzendem Paperback. Großformatige Bildbände wechseln sich ab mit handlichen Taschenbüchern. Neben dem „Lexikon der Parapsychologie“ duckt sich ein vergilbter „Maigret“-Krimi. Marylin Monroes Gesichtszüge zieren die Front eines alten Romans („Verpfändetes Leben“ von Vicki Baum). Auch literarische Schwergewichte behaupten ihren Platz: Günter Grass’ „Hundejahre“, Moliéres „Komödien“, Doris Lessings „Afrikanische Tragödie“, ein echter Hemingway.

Dieses und jenes Buch hat die ältere Dame schon daheimgehabt und dann wieder hier eingestellt. Sie rät ab von Will Bertholds „Lebensborn“, ein Buch über die 1930er Jahre, als große blonde Deutsche gezüchtet wurden: „Kitschig, hab ich nach der Hälfte wieder weggelegt.“

Auf just diesen Titel nimmt aber ein anderer Buchtauscher, Lehrer von Beruf, Bezug. Ihm haben es die Sachbücher angetan. Zum Einschlafen liest er schon mal in den „Grundproblemen der Betriebswirtschaftslehre“ von Hans Raffeé oder eben etwas Geschichtliches über das Dritte Reich. Ganz gerührt greift er nach dem Reiseführer „Süditalien“ von Hans Bausenhardt, denn das Gedruckte bringt Erinnerungen an seine jüngste Reise: „30 Jahre lang habe ich auf Kalabrien gewartet, und jetzt waren wir endlich da!“ Mit dem Buch in der Hand beschreibt er den wunderbaren Blick auf den Stromboli und die Stimmung dort, wo Ionisches und Tyrrhenisches Meer zusammenfließen. „Homer!“ sagt er versonnen und denkt nicht an Simpson, sondern an „Ilias“ und die „Odyssee“. Was er vom Tauschmich-Regal hält? „Eine tolle Sache!“

Nach Annette Edlers Beobachtung wechselt der Buchbestand im Regal etwa einmal pro Woche komplett durch. „Wir hatten am Anfang fünf Bücher, alles andere war leer, binnen einer Woche war das Regal voll.“ Ihr gefällt diese Art von „Kommunikation von Menschen untereinander, die sich persönlich gar nicht kennen“. Aufmerksam auf die Idee des Büchertausches wurde sie durch entsprechend umgebaute Telefonzellen oder auch Verteilerkästen in anderen Städten. Jetzt gibt es auch in Schwabach „dieses unglaublich gut genutzte Angebot“.

Sittenanstößiger Inhalt, leere oder überfrachtete Fächer: Nichts von dem, was hätte schieflaufen können, ist passiert. Das Foyer bewährt sich, so Edler, „als ein Ort, an dem es Bücher und Kultur gibt“. Sie macht auf die Gestaltung mit Regal, Sitzbank und Infobereich aufmerksam, und darauf, dass alle Bücher „frontal präsentiert“ werden, also mit der Titelseite – anstatt dem Buchrücken – nach vorne. Das lässt die Leute zugreifen.

Ein junges Paar kommt herein, das seine ganze Kiste voller Bücher trägt, hauptsächlich Rückläufer für die Stadtbibliothek. Doch vier oder fünf Titel wandern flugs ins Regal, ein Krimi zum Beispiel, ohne dass dafür ein Gegenwert an Büchern herausgenommen wird. Daheim in Wendelstein, erzählen die beiden, „stapeln sich die Bücher schon zweireihig“. Ein Buch wegwerfen, das kommt ja nicht infrage. „Aber bei manchen Büchern denkt man sich: Die könnten andere auch einmal lesen …“ Solcher Großzügigkeit ist es zu verdanken, dass die Zahl der Bücher im Schwabacher „Tauschmich“ stets eher etwas größer wird als kleiner.

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