Kampf gegen den Klimawandel

Starkregen: Wie sich Bayerns Städte in gigantische Schwämme verwandeln könnten

27.8.2021, 08:09 Uhr
Starkregen: Wie sich Bayerns Städte in gigantische Schwämme verwandeln könnten

© Ramboll Studio Dreiseitl

Blitze zucken im Minutentakt am Himmel, auf Straßen, Gehsteigen und Plätzen steht binnen Minuten knöcheltief das Wasser und schießt kaskadenartig die Abgänge zu den U-Bahn-Stationen hinunter. Wer jemals ein Tropengewitter in Singapur erlebt hat, wird das wohl nicht so schnell vergessen. "Lokales Starkregenereignis" - dieses Wetterphänomen, das im Zuge des Klimawandels immer öfter auch in Deutschland zu beobachten ist, gehört seit jeher zum Alltag in dem südostasiatischen Stadtstaat.

2400 Liter pro Quadratmeter prasseln durchschnittlich jedes Jahr in Singapur vom Himmel - mehr als das Dreifache der jährlichen Niederschlagsmenge in Bayern. Und das vor allem während der Monsunzeit zwischen November und Januar, sodass die Kanalisation der kleinen Inselnation einst regelmäßig überfordert war. In den vergangenen Jahrzehnten investierte Singapurs Regierung jedoch Milliardensummen, um die Metropole in eine sogenannte "Sponge City" zu verwandeln.

Mit dem Begriff "Sponge City", übersetzt Schwammstadt, konnten in Deutschland vor ein paar Monaten höchstens einige wenige Fachleute etwas anfangen, doch nach den jüngsten Hochwasser-Katastrophen taucht das Wort immer öfter in Diskussionen auf. Vor Kurzem forderte zum Beispiel Klaus Köppel, Leiter des Nürnberger Umweltamts, dass Bayerns zweitgrößte Kommune zur Schwammstadt werden müsse.

Umweltministerium brachte Leitfaden heraus

Auch Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) brachte in den vergangenen Wochen wiederholt entsprechende Projekte ins Gespräch. Anfang des Jahres stellte sein Ministerium einen "Schwammstadt"-Leitfaden für Kommunen und Planer mit vielen Beispielen aus der Praxis vor. "Wir brauchen einen ganzen Instrumentenkasten von natürlichen Klimaanlagen, blauen Adern, Regenwasserspeichern und Grünflächen", fordert Glauber.


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Immerhin: In den vergangenen Jahren wurden im Freistaat mehrere entsprechende Vorhaben auf den Weg gebracht. Zum Beispiel im oberbayerischen Pfaffenhofen an der Ilm, wo das Ecoquartier entstand. In diesem konsequent nach ökologischen Gesichtspunkten konzipierten Stadtteil wird das anfallende Regenwasser nach dem Schwammstadt-Prinzip genutzt, und auch wegen dieses Projekts wurde die Kommune 2011 als nachhaltigste Stadt der Welt (Kategorie 20.000 bis 75.000 Einwohner) ausgezeichnet.

Die Grundidee einer Schwammstadt ist, dass das Niederschlagswasser an dem Ort, wo es anfällt, an der Oberfläche wie bei einem Schwamm "aufgesaugt" und zwischengespeichert wird. "Das bis dato vorherrschende Konzept im Regenwassermanagement einer Stadt oder Region lautete immer: ,Wie bekommen wir anfallende Regenmengen so schnell wie möglich weg‘. Man speist das Wasser in unterirdische Leitungsnetze und lässt es kontrolliert abfließen", erklärt Landschaftsarchitekt Gerhard Hauber.

Kanalnetze kommen an ihre Grenzen

Laut dem Geschäftsführer des Ramboll Studio Dreiseitl kommen diese Kanalnetze bei Rekordregenereignissen aber immer häufiger an ihre Grenzen, weshalb andere Lösungen notwendig sind. Und um solche Lösungen kümmern sich Hauber und seine Mitarbeiter seit mittlerweile 30 Jahren. Das in Überlingen am Bodensee beheimatete Unternehmen ist ein international tätiges Studio für Landschaftsarchitektur, Umwelttechnik und Stadthydrologie und hat in zahlreichen Ländern Schwammstadt-Projekte geplant und realisiert.

Auch in Singapur, wo das Ramboll Studio Dreiseitl unter anderem die Sanierung des Bishan Ang Mo Kio Parks konzipierte. In der etwa 65 Hektar großen Grünfläche im Zentrum des dicht besiedelten Inselstaates schlängelt sich nun ein natürlicher Fluss, weitläufige Versickerungsflächen locken seltene Vogel- und Libellenarten an, und ein integriertes Niederschlagswassermanagementsystem unterstützt die lokale Trinkwasserversorgung.

Die kleine Nation mit ihren knapp sechs Millionen Einwohnern hat nämlich das Problem, dass sie über keine nennenswerten Quellen oder Grundwasserreserven verfügt und deshalb auf Wasserlieferungen aus Malaysia angewiesen ist. Ende des vergangenen Jahrtausends kamen noch mehr als zwei Drittel des benötigten Wassers aus dem Nachbarland, inzwischen hat sich der Anteil auf etwa 50 Prozent reduziert, und in 40 Jahren will Singapur seinen Wasserbedarf komplett allein decken.


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In einer ganzen Reihe von chinesischen Großstädten wurde in den vergangenen Jahren ebenfalls massiv in Schwammstadt-Maßnahmen wie versickerungsfähige Verkehrsflächen, zusätzliche Grüngürtel und Fassaden- und Dachbegrünungen investiert. Damit will man sich nicht nur gegen sintflutartige Regenfälle, sondern auch gegen lange Trockenphasen wappnen.

Unterirdische Pufferspeicher

"Angesichts des Klimawandels wird es immer wichtiger, Wasser in einer Form zu speichern, bei der es nicht sofort wieder verdunsten kann", erklärt Haubers Geschäftspartner Dieter Grau. Ermöglicht werde das zum Beispiel mittels sogenannter Rigolen - unterirdische Pufferspeicher, die das Regenwasser aufnehmen und dann nach und nach an das umliegende Erdreich abgeben können. Um das Wasser zu diesen Rigolen zu leiten, werden unter anderem die umliegenden Straßen und Wege mit kleinen Kuhlen versehen, die sich bei starken Niederschlägen vorübergehend in ein oberirdisches Kanalnetz verwandeln.

Schwammstadt-Projekte dienen übrigens nicht nur dem Hochwassermanagement und einer verbesserten Nutzung des Regenwassers, sondern auch der Klimatisierung unserer Städte. Langsam verdunstendes Wasser und Grünzonen schaffen einen gewissen Ausgleich zu den vielen versiegelten Flächen und den Beton-, Stahl- und Glasfassaden, die sich im Hochsommer extrem aufheizen.

Um die Folgen des Klimawandels einigermaßen ausgleichen zu können, müsste der Grünanteil in den deutschen Städten allerdings ganz massiv erhöht werden. Auf mindestens 20 bis 25 Prozent der Gesamtfläche, wie ein Forscherteam der Technischen Universität München errechnet hat. Ziemlich ernüchternd für die Wissenschaftler vom Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung war da eine Feldstudie in der Münchner Maxvorstadt: Aktuell beträgt dort der Grünflächenanteil gerade mal neun Prozent.

"Ohne den entsprechenden politischen Willen geht nichts", weiß Dieter Grau aus langjähriger beruflicher Erfahrung. Bei Neubaugebieten wie dem erwähnten Ecoquartier sei es vergleichsweise einfach, ein wirksames Schwammstadt-Konzept umzusetzen, bei bereits bestehenden Vierteln dagegen müssten oft erhebliche Widerstände überwunden werden. Auch deshalb, weil jeder Quadratmeter Grundfläche in städtischen Toplagen sehr viel Geld wert ist.

Einige Städte haben aus der Vergangenheit gelernt

Dennoch können die Mitarbeiter des Ramboll Studio Dreiseitl nicht über Arbeitsmangel klagen, ein Teil ihrer Auftraggeber hat aus massiven Flutschäden in der Vergangenheit gelernt. Etwa die Stadt Kopenhagen, die in den vergangenen Jahren mehrmals mit Überschwemmungen zu kämpfen hatte. "Die Stadtregierung war deshalb hohem politischen und sozialem Druck ausgesetzt, und heute wird bei jedem Bauprojekt vorgegeben, wie viel Wasser auf dieser Fläche zurückgehalten werden muss", erzählt Gerhard Hauber. Durch solche Maßnahmen spare man letzten Endes sogar Geld, denn eine Neudimensionierung des Kanalnetzes sei erheblich teurer als zu "Schwämmen" umfunktionierte Parks, Straßenränder oder Brachen.

Auch das schwäbische Neu-Ulm musste seine Lektion erst lernen. 1999 hatte ein Hochwasser die Innenstadt und einige angrenzende Gemeinden überflutet, nun wird ein zehn Hektar großes Neubaugebiet konsequent nach Schwammstadt-Kriterien realisiert. "Da hat sich in den Köpfen der Stadträte und der Verwaltung einiges getan. Die damaligen Überschwemmungen haben alle für dieses Thema sensibilisiert", sagt Karen Bounaga von der zuständigen Abteilung Stadtplanung. Ende 2025 sollen die ersten Häuser in Neu-Ulms kleiner Schwammstadt bezugsfertig sein.

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