Tod eines Mädchens ungeklärt: Der verdächtige Vater wird nicht überführt

22.4.2021, 18:02 Uhr

Ein junges Flüchtlingsmädchen verschwindet nach der Berufsschule in Aschaffenburg. Nur der Rucksack der dunkelhaarigen, jungen Frau wird gefunden. Ihre 2015 nach Deutschland geflohene Familie ist polizeibekannt, der konservativ eingestellte Vater aus Syrien als gewalttätig überführt. Die Hoffnung, die Schülerin kehrt im Mai 2017 nach einem kurzen Trip in die Freiheit zurück, wird jäh zerschlagen. Eineinhalb Jahre später finden Spaziergänger ihr Skelett verscharrt in einem Wald bei Aschaffenburg, in einem Betonschacht, der mit einer Stahlplatte abgedeckt ist. "Würdelos, wie ein Stück Dreck entsorgt", wird der führende Ermittler später im Prozess sagen.

Doch auch die akribische Polizeiarbeit führt nicht zum erhofften Erfolg. Die zusammengetragenen Indizien sind zu schwach - und so spricht das Landgericht Aschaffenburg einen wegen Mordes an seiner Tochter angeklagten Vater am Donnerstag frei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Az.: 104 Js 5331/17).


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"Er hatte ein Motiv", der Angeklagte ist mit dem Lebensstil seiner Tochter nicht einverstanden, wollte sie kontrollieren, beherrschen, wie der Vorsitzende Richter Sebastian Geis in seiner Urteilsbegründung sagt. "Der Angeklagte neigte zu Todesdrohungen." Es sei aber nicht Aufgabe der Kammer, denjenigen zu verurteilen, der am wahrscheinlichsten der Täter sei. Viele offene Fragen blieben,

Das Dilemma zusammengefasst: Zwar gibt es eine Leiche, doch so stark verwest, dass Todesursache und Todeszeitpunkt nicht mehr feststellbar sind. Auch der Tatort fehlt in dem Puzzle. Leichenspürhunde können nicht helfen, Blutspuren werden nirgends entdeckt. Zeugen gibt es nicht, die die Schülerin wie vermutet nach der Berufsschule mit ihrem Vater in einem Auto wegfahren sehen. Der Vater von sechs Kindern hat zwar kein handfestes Alibi und soll seine Tochter schon mehrfach mit dem Tod bedroht haben wegen ihres westlich orientierten Lebensstils - aber das rechtfertigt keinen Schuldspruch.

Der Syrer aus Aleppo hat im Prozess nie etwas öffentlich zum Tod des Mädchens gesagt. Das Alter des Opfers war zunächst mit 16 angegeben worden. Ein Altersbestimmungsgutachten kam später zu dem Schluss, dass die junge Frau wahrscheinlich 19 Jahre alt war.

Der Verteidiger Jürgen Vongries zerpflückt in seinem Schlusswort die Polizeiarbeit und konstatiert: Es gebe nur viele Spekulationen, Widersprüchliches und Widerlegtes - aber die Täterschaft des Angeklagten sei nicht nachweisbar. "Wir müssen mit dem leben, was die Beweisaufnahme ergibt." Er gehe vielmehr davon aus, dass der Freund der Schülerin etwas mit ihrem mysteriösen Tod zu tun habe. Womöglich habe er ihr in "krankhafter Eifersucht" etwas angetan.


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Die Mordanklage gegen den 46-Jährigen fußt auf den Aussagen des Halbbruders der Toten. Er ist beim Verschwinden der jungen Frau 13 Jahre alt und behauptet, sein Vater habe ihm befohlen, die 19-Jährige zu töten. Doch vor dem Schwurgericht ist nach der Erläuterung einer Gutachterin schnell klar: Die Aussagen des Jungen sind mit äußerster Vorsicht zu genießen, "einfach nicht überzeugend", wie Anwalt Vongries zusammenfasst.

Die Polizei konnte den Vater des toten Mädchens wegen mangelnder Beweise nicht festnehmen.

Die Polizei konnte den Vater des toten Mädchens wegen mangelnder Beweise nicht festnehmen. © colourbox.com

"Es ist natürlich höchst bedauerlich, wenn hier der Tod eines Mädchens (...) ungesühnt bleibt", hatte der Anklagevertreter Jürgen Bundschuh am Vortag in seinem Plädoyer gesagt. Aber im Zweifel für den Angeklagten - einen anderen Verdächtigen haben Polizei und Staatsanwaltschaft nicht im Visier. Es könnte auch ein Unfall während eines Streits gewesen sein, stellt das Gericht fest.


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Den zweiten Anklagepunkt - Mordversuch und gefährliche Körperverletzung am Freund der Tochter - sieht die Kammer allerdings als erwiesen an, auch wenn das Motiv unbekannt ist, wie Geis sagt.

Für die Messerattacke auf den damals 23-Jährigen im Juni 2017 wird der Angeklagte zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Zudem soll er 6000 Euro Schmerzensgeld plus Zinsen an das Opfer zahlen. Die Staatsanwaltschaft hatte in diesem Fall auf elf Jahre Haft plädiert, der Verteidiger auch hier auf Freispruch. Laut Vongries ist denkbar, dass der heute 27-Jährige sich selbst am Hals verletzt hat. Zur Messerattacke will sich der nervös wirkende Angeklagte zum Schluss der Verhandlung dann plötzlich doch äußern. Sein Dolmetscher übersetzt: "Wenn ich an diesem Tag da gewesen wäre, hätte ich ihn bestimmt getötet."