Trainingszentrum: So verhalten sich Rettungskräfte bei Anschlägen

12.11.2019, 11:56 Uhr
In der Trainingshalle des Zentrums für Besondere Einsatzlagen stehen ein Linienbus und eine Riesenleinwand. Hier werden Anschläge, Amokläufe und Geiselnahmen für die Teilnehmer simuliert.

© Alexander Brock In der Trainingshalle des Zentrums für Besondere Einsatzlagen stehen ein Linienbus und eine Riesenleinwand. Hier werden Anschläge, Amokläufe und Geiselnahmen für die Teilnehmer simuliert.

Das, was dann folgt, muss vorher in allen Einzelheiten trainiert werden. Denn selbst routinierteste Kräfte können schnell überfordert sein, wenn sie einen Ort des Schreckens erreichen, an dem ein Attentäter ein Blutbad angerichtet hat. Seit der Axt-Attacke in einem Regionalzug in Würzburg (18. Juli 2016), dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum (22. Juli 2016) und dem Sprengstoffanschlag in Ansbach (24. Juli 2016), denkt die Politik im Freistaat um.

Im Licht dieses Prozesses muss man auch das Bayerische Zentrum für Besondere Einsatzlagen (BayZBE) sehen, das jetzt in Betrieb geht. Es ist Europas erste Anlage für Testläufe, in der Mitglieder der Hilfsdienste solche Notsituationen trainieren. Betreiber des Zentrums sind das Bayerische Rote Kreuz (BRK), die Malteser, die Johanniter und der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Das Zentrum liegt im Gewerbegebiet bei Windischeschenbach, direkt an der A 93.

Auf gut 1000 Quadratmetern lassen sich hier in einem ehemaligen Gewerbegebäude ernste Lagen simulieren. In einer Halle stehen ein fahrbereiter Linienbus und eine Riesenleinwand. "Auf der LED-Leinwand lassen sich Filme einspielen, Bilder eines Biergartens etwa, in dem gleich etwas Schreckliches passieren wird", so Geschäftsführer Daniel Pröbstl. Nebenan sind Räume nachgebaut und eingerichtet. Räume, die in der Realität mögliche Anschlagsziele sein können: Die Aula einer Schule, zwei Klassenzimmer, eine Ladenstraße mit einem Spielwarengeschäft und einer Boutique sowie ein Großraumbüro und ein Café mit gedeckten Tischchen und Dekoration.

Trainingszentrum: So verhalten sich Rettungskräfte bei Anschlägen

© Foto: Alexander Brock

Stress muss entstehen

Alle Räume sind bis auf den letzten Quadratmeter videoüberwacht. Die Bilder werden in den Leitstand übertragen, von wo aus die Trainer die Szenen steuern. Dazu zählt auch, über Lautsprecher Geräusche einzuspielen: Ein Schulgong, Musik, krachende Schüsse, panische Schreie, Martinshörner und Hubschrauber. "Wir wollen so nahe an die Realität herankommen wie möglich. Bei den Teilnehmern muss Stress entstehen", sagt Pröbstl.

Alle Zimmer lassen sich komplett abdunkeln. Stromausfall. Wie arbeitet sich der Rettungssanitäter in so einer Situation am Einsatzort vor? Die Trainer allerdings können sehen, wie sich ihre Schützlinge im Raum bewegen: Die Infrarot-Kameras machen sie auf den Monitoren sichtbar.

Doch wer soll gerettet werden? Für die Lehrgänge können keine Statisten organisiert werden. Dafür hat das BayZBE aber 15 Menschenpuppen mit Lebendgewicht angeschafft, die Erwachsenen wiegen je 80, die Kinder 20 Kilogramm. "Diese Puppen kann man nicht mal schnell wegschaffen." Diverse Wunden, Schuss-, Brand- und Schnittverletzungen aus Kunststoff, liegen fein sortiert in einem "Kosmetikkoffer". Die kann man an den Puppen festmachen.

Nach den Testzyklen bewerten die Trainer den Einsatz. Haben die Kräfte die kürzesten Wege genommen? Haben sie die Anweisungen der Einsatzleitung befolgt? "Wichtig ist auch, dass der Informationsfluss lückenlos fließt. Nicht auszudenken, wenn ein Sanitäter in so einer Situation einen Verletzten retten will, aber nicht mitbekommt, dass der Täter noch einmal zurückkommt." Die Ton- und Filmaufzeichnungen werden vertraulich behandelt und gleich nach dem Lehrgang gelöscht. "Da muss niemand Angst haben, dass das Material weitergeleitet wird."

Das Trainingszentrum schlug mit 3,9 Millionen Euro zu Buche. Der Freistaat fördert die Anlage mit 90 Prozent, die vier Hilfsorganisationen mit zehn. Bereits im laufenden November sollen erste Trainingseinheiten stattfinden. Vom ehrenamtlichen Ersthelfer bis zum Notarzt kann jeder mitmachen. "Wir haben Anfragen aus ganz Deutschland, auch aus Tschechien und Österreich", sagt der 33-jährige Geschäftsführer. Doch in erster Linie sollen Hilfskräfte aus Bayern zum Zug kommen.

Ein Lehrgang für 16 Teilnehmer dauert zwei Tage. Vorab können sich die Interessierten über Online-Kurse auf einer E-Learning-Plattform schlau machen. Denn nicht jeder weiß, was etwa die "Rote Zone" ist – es ist der Bereich, in dem der Täter um sich schießt.

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