Landsknechte und Pharaonen: Treuchtlingens Kostümfundus
17.9.2020, 06:04 UhrEine riesige Schmeißfliege hängt an einem Bügel, Donald Duck grinst unter Plastikfolie hervor, in den Regalen stapeln sich Schwerter, und in einer Ecke lehnt ein ägyptischer Sarkophag: In zwei Klassenzimmern der früheren Gundelsheimer Dorfschule kommt man sich ein bisschen vor wie im Film "Nachts im Museum". Wäre es tatsächlich Nacht, wäre es ein wenig unheimlich. Unter halbtransparenten Überzügen lugen Uniformen, Indianer-Kilts und Tierfelle hervor, an der Wand lehnen Hellebarden und ein Stapel bunter Trommeln, ein weißer Pferdekopf grinst aus einem Pappkarton heraus.
Die beiden Räume über dem Kindergarten beherbergen den Kostümfundus der Stadt Treuchtlingen – zu erkennen nur an einer kleinen Filzstift-Notiz am Türschloss. Etwa 1200 Kleidungsstücke, Masken und Verkleidungen hängen hier an hölzernen Ständern, dazwischen Mottenpapier, darüber Folie gegen den Staub. In den Regalen und Kisten entlang der Wände stapeln sich tausende Requisiten – von Hüten, Helmen und Perücken bis hin zu Steckenpferden und Gewehrattrappen.
Landsknechte und Narren
Einige der Stücke sind schon fast historisch, darunter aufwendig verzierte Burgdamen-Gewänder und mit Samt besetzte Landsknecht-Wämse, die bei längst vergangenen Festzügen getragen wurden. Andere Kostüme hat die Stadtkapelle ausgemustert oder die Karnevalsgesellschaft der Stadt vermacht.
Der Volksfestzug: Treuchtlinger Tradition seit 93 Jahren
Die Herrschaft über dieses bunte Sammelsurium der fantastischen Verwandlungen hat seit mehr als 30 Jahren Gabriele Dreger. Über ihre Tätigkeit im Einwohnermelde- und Ordnungsamt sei sie in die Aufgabe "hineingewachsen", blickt sie zurück. Mehrfach ist sie mit dem Fundus umgezogen – vom Museum ins ehemalige RAD-Lager, dann ins Bürgerhaus, den einstigen Pavillon der Grundschule und zuletzt nun eben nach Gundelsheim. "Das ist ein bisschen umständlich, aber irgendwann braucht man die Sachen halt doch wieder", erklärt Dreger.
Vieles ist handgeschneidert
Ein Teil der Sammlung stammt noch aus der Ära von Festzug-Vater Rudi Jakob. Manche Kostüme hat das Nürnberger Staatstheater aussortiert, andere haben Anfang der 1990er Jahre zwei Näherinnen geschneidert, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei der Stadt beschäftigt waren. Ihre alten Nähmaschinen stehen heute ebenfalls in Gundelsheim. Wieder andere Gewänder gestaltet Dregers Schwester Dagmar Pössnicker alljährlich für die Showtanzgruppen und Prinzenpaare der Karnevalsgesellschaft. Wo welches Kleid hängt und welche Accessoire versteckt ist, weiß Gabriele Dreger auf dem Effeff.
Verliehen werden die Kostüme an Vereine, Schulen und Theatergruppen, nicht aber an Privatleute. "Die fragen immer wieder bei mir an", erzählt Dreger, "aber da würden wir nicht mehr fertig". Schon so kommt die Herrin über den Fundus zu selten dazu, Neuzugänge einzusortieren und so etwas wie ein System aufrecht zu erhalten, damit irgendwann auch ihre Nachfolger den Überblick behalten. "Im Herbst wollen wir wieder Ordnung schaffen", hat sich Dreger vorgenommen. Im Sommer sei es zwischen den verstaubten Stoffbergen einfach zu warm.
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