Treuchtlingen: Ein selbstbestimmtes Leben mit PWS
31.1.2020, 06:04 UhrDie Baustelle hat das Bild der Bahnhofstraße in den vergangenen zwei Jahren geprägt: Ein sichtlich in die Jahre gekommenes, etwa 100 Jahre altes Haus wurde abgerissen, an seiner Stelle entstand ein moderner, weißer Neubau. Er sieht aus wie ein normales Wohnhaus, ist aber im Inneren auf die Bedürfnisse von Menschen mit dem Prader-Willi-Syndrom ausgerichtet und bietet diesen seit vergangenem September eine auf Selbstständigkeit ausgerichtete Wohnform.
Zwölf Personen können in dem Haus in Wohngemeinschaften mit bis zu vier Schlafzimmern oder in Einzelapartments wohnen. Die voneinander unabhängigen einzelnen Apartments sind mit eigenem Wohnzimmer, Küche und Nasszelle ausgestattet, jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer.
Ihnen zur Seite steht ein Mitarbeiterteam, bestehend aus Heilerziehungspflegern, Erziehern und Krankenpflegern von Regens Wagner Absberg. Die Einrichtung der kirchlichen Stiftung widmet sich seit Mitte der 1990er Jahre der speziellen Assistenz und Begleitung von Menschen mit dem Prader-Willi-Syndrom.
Selten und einschneidend
Dabei handelt es sich um eine seltene genetische Erkrankung. Etwa eines von 25.000 Kindern kommt mit diesem Syndrom zur Welt, das ein Leben lang bleibt. Ursache ist das Fehlen der väterlichen genetischen Information am Chromosom 15. Die Menschen mit diesem Defekt leiden unter anderem an Kleinwuchs, Muskelschwäche und einem fehlenden Sättigungsgefühl.
"Die Kinder mit dem Prader-Willi-Syndrom kommen sehr schwach auf die Welt. Sie können kaum schreien, saugen und werden häufig durch eine Sonde ernährt. Die ersten zwei Lebensjahre sind stark durch die Muskelhypotonie geprägt", erklärt Dr. Svetlana Labun, Wohnbereichsleiterin bei Regens Wagner. Früher wurde das Syndrom häufig erst spät diagnostiziert, nicht selten waren die Betroffenen schon 20 Jahre oder älter. Dann hatten sie oft bereits massives Übergewicht, die inneren Organe waren geschädigt. Heute genügt ein Bluttest, um Gewissheit zu bekommen – wenn der Arzt für die Erkrankung sensibilisiert ist.
Das Thema Ernährung spielt im Leben der Betroffenen eine große Rolle. Ihr Leben lang benötigen sie Assistenz im gesamten Umgang mit Nahrung. Insbesondere deshalb wird in den kleinen Wohngemeinschaften in Treuchtlingen gemeinsam gesundheitsbewusst gekocht. Immer mit dabei ist ein Mitarbeiter, der assistiert und über die Schulter schaut.
Höchstens 1500 Kilokalorien am Tag
Denn jeder Bewohner darf nur eine bestimmte Menge an Kalorien zu sich nehmen – etwa 1500 Kilokalorien pro Tag, verteilt auf sieben Mahlzeiten. Dabei zählt auch eine kleine Süßigkeit mit beispielsweise 25 Kilokalorien als Essen. Normalerweise nimmt ein Mensch täglich an die 2000 Kilokalorien zu sich. Die Menge wird in der Wohneinrichtung individuell berechnet und hängt vom persönlichen Energieumsatz ab.
Jeden Donnerstag erstellt jede Wohngemeinschaft gemeinsam mit einem Mitarbeiter ihren eigenen Speiseplan für die Folgewoche, der die Grundlage für den Einkauf bildet. Am Freitag oder Samstag geht es dann gemeinsam mit den Assistenten zum Einkaufen. Dabei ist die Lage der Einrichtung in der Treuchtlinger Stadtmitte ein Vorteil.
Die Lebensmittel werden dann in Vorratsschränken und im Kühlschrank verstaut, die mit Magnetschlössern versperrt sind. "Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Konzeption. Es fällt den Menschen mit Prader-Willi-Syndrom schwer, sich zu kontrollieren. Wäre der Schrank offen zugänglich, würde dies bei den Betroffenen Stress auslösen", erläutert Svetlana Labun.
Ein so normales Leben wie möglich
Tagsüber arbeiten die Betroffenen in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung bei Regens Wagner in Absberg. Jeden Tag fahren sie mit dem Zug nach Pleinfeld, von wo aus es mit dem Bus weiter geht. Nach Feierabend und am Wochenende wird gemeinsam gekocht und der Haushalt erledigt, Freizeitbetätigungen oder spezifischen Bewegungsangeboten nachgegangen.
In der Gestaltung ihrer Freizeit sind die betroffenen Menschen frei, dennoch wird jede Aktivität im Vorfeld mit den Assistenten besprochen, erklärt Teamleiter Christian Bernhard. "Wenn sie zum Beispiel ins Kino oder ins Bad wollen, wird mit ihnen der Fußweg abgesprochen und wie dieser zu bewältigen ist, wenn er zum Beispiel an einem Bäcker oder Metzger vorbeiführt."
Für den Kinobesuch oder den Gang in den Buchladen gibt es ein Taschengeld, das von den Assistenten verwaltet wird. Wechselgeld und Kassenbons werden nach dem Einkauf gemeinsam kontrolliert. Die Absprachen im Voraus sind wichtig, denn manche Bewohner neigen auch dazu, Dinge zu horten. "Da wird zum Beispiel die dritte Tube Zahnpasta im Monat gekauft, obwohl die erste noch gar nicht leer ist", so Bernhard.
Grundsätzlich stehen die Assistenten den Betroffenen für ihre Belange beratend und helfend zur Seite. Dies zielt darauf ab, dass Menschen mit Prader-Willi-Syndrom ganz normal am Leben in der Stadt teilhaben können. "Es ist wichtig, dass man aufeinander zugeht, auch wenn die Menschen vielleicht ein bisschen anders sind", meint Labun.
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