Aktuelle Untersuchung des LBV

Trister Vorgarten statt Biotop: Die Wahrheit über die Ausgleichsflächen

1.7.2021, 14:27 Uhr
Um die Naturzerstörung durch das neue Wohngebiet auszugleichen, sollten hier im oberbayerischen Gars am Inn eigentlich Streuobst- und heimische Laubbäume gepflanzt werden. Tatsächlich werden die Flächen heute jedoch einfach als erweiterte Vorgärten genutzt - mit kurzgeschnittenem Rasen und nicht-heimischen Ziergehölzen wie Kirschlorbeer.

© LBV Um die Naturzerstörung durch das neue Wohngebiet auszugleichen, sollten hier im oberbayerischen Gars am Inn eigentlich Streuobst- und heimische Laubbäume gepflanzt werden. Tatsächlich werden die Flächen heute jedoch einfach als erweiterte Vorgärten genutzt - mit kurzgeschnittenem Rasen und nicht-heimischen Ziergehölzen wie Kirschlorbeer.

15 Millionen Tonnen an Gütern werden pro Jahr im Güterverkehrszentrum (GVZ) am Nürnberger Hafen umgeschlagen, Straße, Schiene und Wasserstraße werden hier miteinander verbunden. Ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor - aber eben auch ein gewaltiger Eingriff in die Natur.

Ringelnatter am Nürnberger Hafen

Für solche Eingriffe werden Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen notwendig, die die Zerstörung von Lebensräumen kompensieren, indem sie anderswo Flächen ökologisch aufwerten. Beim GVZ ist der Ausgleich laut einer aktuellen Untersuchung des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) besonders gut gelungen.

Auf zehn Hektar wurde das Gelände zum Beispiel so modelliert, dass sich in den Senken Wasser sammelt. Es dient als Laichgewässer und hat teilweise fast moorartigen Charakter. Dort und in wertvollen Sandlebensräumen, auf Magerrasenflächen und im extensiven Grünland leben Kreuzkröten, Ringelnattern und Heidelibellen, wachsen Steppen-Salbei und Sonnentau.

Doch laut LBV ist dieser ökologische Glücksfall eher eine Ausnahme. Nur rund 25 Prozent der Ausgleichmaßnahmen werden ordnungsgemäß durchgeführt. Die Hälfte lässt sich bestenfalls als mittel bis schlecht einordnen, bei einem Viertel der Fälle wird praktisch gar nichts umgesetzt, obwohl das mit der Genehmigung der jeweiligen Bauvorhaben eigentlich zwingend vorgeschrieben wurde.

"Auf dem Papier ist Bayern schöner"

"Ausgleichmaßnahmen sind einer der zentralen Pfeiler des Naturschutzes in Bayern. Auf dem Papier sind diese Maßnahmen umgesetzt, mit ihnen wäre Bayern ein großes Stück schöner. Tatsächlich ist Bayern auf dem Papier aber eben schöner als in Wirklichkeit", betont der LBV-Vorsitzender Norbert Schäffer.

Ein Negativ-Beispiel von vielen: In Gebenbach (Landkreis Amberg-Sulzbach) sollte auf 0,9 Hektar kompensiert werden, was der Bau einer Photovoltaikanlage nebenan an Lebensraum zerstört hatte. Geschehen ist nichts. "Da befindet sich jetzt ein Gerstenacker statt extensivem Grünland. Die vorgeschriebenen Hecken wurden nicht gepflanzt", verdeutlicht LBV-Projektleiterin Marianne Kunkel.

Im oberbayerischen Gars am Inn sollte der Bau eines neues Wohngebietes direkt vor Ort mit Streuobst- und heimischen Laubbäumen ausgeglichen werden. Tatsächlich werden diese Flächen heute jedoch einfach als erweiterte Vorgärten genutzt. "Der kurzgeschnittene Rasen sowie die Pflanzung von nicht-heimischen Ziergehölzen wie Kirschlorbeer entwerten die Flächen aus ökologischer Sicht praktisch vollkommen", schreibt der LBV in seiner aktuellen Untersuchung. Die Ausgleichsflächen wurden laut LBV außerdem nicht korrekt an das Ökoflächenkataster gemeldet.


Darum sollten Sie nie Hecken aus Thuja oder Kirschlorbeer pflanzen


Eigentlich sollten im Kataster des Landesamtes für Umwelt alle diese Flächen vermerkt sein. Anfang April waren dort 64.623 Ausgleichs- und Ersatzflächen mit einer Gesamtgröße von 28.253 Hektar verzeichnet. Die meisten Ausgleichsflächen gibt es in Oberbayern (20.578) und Schwaben (13.705). Mittelfranken (6396), die Oberpfalz (5837) und Oberfranken (4025) folgen deutlich dahinter.

Lob für ICE-Trasse München-Nürnberg

Bei den meisten Maßnahmen werden Bäume, Gehölze und Büsche gepflanzt. Danach kommt die extensive Grünlandbewirtschaftung. Außerdem werden Wälder aufgeforstet oder Streuobstwiesen angelegt.

Die Ausgleichsmaßnahmen für 80 Wohngebiete, Umgehungsstraßen oder Logistikzentren hat sich der LBV nun angesehen und von vier unabhängigen Planungsbüros untersuchen lassen. "Viele größere Eingriffe werden konsequent ausgeglichen", betont Schäffer. So etwa beim Nürnberger GVZ, aber auch bei der ICE-Trasse München-Nürnberg.

Viele der kleinen Flächen seien dagegen weit vom ökologischen Soll-Zustand entfernt, oft sei hier von den Vorgaben gar nichts umgesetzt. "Das sind kleine Flächen - aber die Summe macht es. Es geht um Qualität nicht nur um Quantität. Grün ist nicht gleich Grün", meint Schäffer.

"Hilfssheriffs" mit eigener App

Der LBV fordert deshalb unter anderem eine Nachweispflicht für die Eingriffsverursacher und mehr Personal in den Genehmigungsbehörden. Dort solle viel konsequenter kontrolliert werden, ob die Vorgaben eingehalten werden.

Bis dahin will sich der LBV mit seiner "AuFi"-App behelfen. Durch die dort verzeichneten Ausgleichsflächen kann jeder Spaziergänger kontrollieren, ob ökologisch wertvolle Lebensräume nur auf dem Papier stehen oder auch in Wirklichkeit zu sehen sind. Über die App kann jeder Nutzer seine Eindrücke an den LBV melden.

"Wir wollen keine Hilfssheriffs", sagt Schäffer zwar. Bis Naturzerstörungen zuverlässiger ausgeglichen werden, wird man sich aber wohl damit behelfen müssen.

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