Urwald für Franken: Großes neues Schutzgebiet

1.12.2020, 14:23 Uhr
Totholz, das im Wald liegen bleiben darf, wie hier im Spessart, dient als wertvoller Lebensraum für unzählige Arten.

© Martin Müller Totholz, das im Wald liegen bleiben darf, wie hier im Spessart, dient als wertvoller Lebensraum für unzählige Arten.

Arbeitslos werden Peter Hagemann, Leiter des von der Rennsteigregion bis Bad Staffelstein reichenden Forstbetriebs Rothenkirchen, und seine Mitarbeiter ab 2. Dezember nicht werden – obwohl ein genau 541,44 Hektar großer Buchenmischwald bei Vierzehnheiligen ab Mittwoch als Naturwald ausgewiesen ist und nicht mehr forstlich genutzt werden darf.


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"Jetzt geht die Arbeit erst richtig los", meint Hagemann. Schließlich muss die Verkehrssicherheit für Spaziergänger und Pilger in Richtung Vierzehnheiligen gewährleistet bleiben – und dies wird in den kommenden Jahren zunehmend schwierig werden, wenn sich der Wirtschaftsforst langsam in einen Urwald verwandelt. Viele Kontrollgänge werden nötig sein.

Besucher sollen Wald erleben können

Die Menschen sollen nicht ausgesperrt werden aus diesem Naturwald, sondern bei Führungen und durch mit Info-Tafeln bestückte Wege miterleben können, wie sich der Wald verändert. Auf den Wegen sollen sie sich dabei sicher fühlen.

Im Wald selbst wird es allerdings zunehmend gefährlicher und beschwerlicher für Querfeldeingänger, schließlich fallen im Urwald öfter mal Äste oder gar ganze Bäume zu Boden als im Wirtschaftswald. Was im Naturwald durch Stürme, Schneelast oder Altersschwäche umfällt, bleibt liegen.

Naturwald soll überhaupt nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden. Nur die Wege werden freigehalten und der Borkenkäfer kann bekämpft werden. Bei Vierzehnheiligen soll aber nicht einmal den Schädlingen Einhalt geboten werden. "Wir beobachten nur – und schreiten höchstens ein, wenn umgebender Privatwald in Gefahr ist. Diese Gefahr sehe ich hier aber nicht", verdeutlicht Hagemann.

Große Flächen in den Alpen

Der Buchenmischwald bei Vierzehnheiligen ist Teil eines bayernweiten Netzes von Naturwäldern, die ab Mittwoch rechtsverbindlich ausgewiesen sind. 58.000 Hektar werden auf einen Schlag zu Naturwäldern, und damit ein Vielfaches der schon vor einigen Monaten angekündigten 5400 Hektar. Zu diesen zählte unter anderem mit 850 Hektar der Naturwald Knetzberge-Böhlgrund im Steigerwald.


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Der Großteil der Flächen befindet sich in den Alpen. Dazu gezählt werden auch die bisherigen Naturwald-Reservate, die bereits geschützten Kernzonen im Biosphärenreservat Rhön und die besonders alten "Klasse-1-Wälder" , die die Bayerischen Staatsforsten schon aufgrund einer freiwilligen Selbstverpflichtung nicht mehr bewirtschaftet haben. Nun ist der Verzicht auf Bewirtschaftung auch für die Zukunft rechtsverbindlich.

Ziel ist es, wie im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern angekündigt und durch den Druck des Artenvielfalt-Volksbegehrens auf den Weg gebracht, zehn Prozent des Staatswaldes dauerhaft aus der forstlichen Nutzung zu nehmen. Bis 2023 sollen die dafür notwendigen 79.000 Hektar ausgewiesen werden.

Auch bei Vierzehnheiligen wurde ein Teil der Fläche schon länger nicht mehr bewirtschaftet, der Großteil kommt nun aber neu hinzu. Urwald wird der Naturwald aber nicht auf einen Schlag. "Eine Zeit lang wird gar keine Veränderung zu sehen sein. Dann wird sich die Buche mehr und mehr durchsetzen. Die Eiche und andere Edellaubhölzer werden dadurch weniger – sie haben bislang die Unterstützung des Försters gebraucht", erklärt Hagemann. Erst wenn die alten Buchen zusammenbrechen, sei wieder Platz für andere Baumarten.

Bund Naturschutz kritisiert Kleinstflächen

"Die Ausweisung der Naturwälder ist sicher gut und ein Schritt nach vorne. Außerhalb der Alpen sind aber vor allem Kleinstflächen geschützt worden. Im Steigerwald zum Beispiel wurden diese geradezu schrotschussartig in die Landschaft gezimmert", beklagt Ralf Straußberger, Waldreferent des Bund Naturschutzes.

Einer Art mit hohen Lebensraumansprüchen helfe es wenig, wenn es ein zwei Hektar großes Schutzgebiet gebe, die nächste solche Kleinstfläche aber kilometerweit entfernt sei. So könnten sich keine stabilen Populationen bilden, meint Straußberger.

Dass etwa im Nürnberger Reichswald nur bisher schon geschützte Flächen ausgewiesen wurden, macht für ihn allerdings Sinn. "Den Steckerleswald oder die Fichtenwälder im Fichtelgebirge als Naturwald auszuweisen, bringt nichts. Man muss nach alten, wertvollen Wäldern suchen", betont er.

Forderung nach Nationalpark im Steigerwald

Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) äußert sich zwar begeistert über die Naturwald-Offensive, fordert aber, größere zusammenhängende Schutzgebiete in Laubwäldern auszuweisen, vor allem im Steigerwald und im Spessart. Bund Naturschutz und Greenpeace setzen sich für einen Nationalpark im Steigerwald und weitere große Naturwälder im Spessart, Gramschatzer Wald und Ammergebirge ein.

Positiv sehen dagegen alle das neue Schutzgebiet bei Vierzehnheiligen. "Wir sind schon auch ein bisschen stolz, dass wir jetzt einen so großen Naturwald haben. Wir haben viel getan in den letzten Jahrzehnten, um jetzt so gute Voraussetzungen dafür zu haben", meint Forstbetriebsleiter Hagemann.

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