US-Soldaten in der Region: Aus Besatzern wurden Freunde

12.5.2020, 18:03 Uhr
US-Soldaten in der Region: Aus Besatzern wurden Freunde

© Foto: Stadtarchiv Nürnberg

Es sind noch einmal blutige Stunden, bis der Krieg in Franken und der Oberpfalz vorbei ist. Mancher versprengte deutsche Soldat löst mit einer Panzerfaust gegen die anrollende US-Armee massiven Beschuss aus. Die Furcht vor den eigenen Soldaten sowie der SS und auch vor den anrückenden Amerikaner ist riesig. Tagelang harren Familien zu Kriegsende in Kellern aus. Schüsse von Heckenschützen werden mit Artilleriegranaten der US-Armee beantwortet, auch kommen noch einmal Tiefflieger und Jagdbomber zum Einsatz.

So beginnt die Zerstörung des Städtchens Velden im Pegnitztal. Bereits am 17. April waren mehr als 200 US-Panzer durch Velden gerollt. Die Bevölkerung atmet auf. Doch der Krieg ist nicht vorbei. Ein deutscher Spähtrupp mit wenigen Panzern zieht wenig später in Velden ein, beobachtet von einem amerikanischen Aufklärungsflugzeug. Kurz darauf werfen Bomber Phosphorbrandsätze und Sprengbomben ab, danach folgte der Beschuss mit Bordwaffen. Velden verwandelt sich in ein Flammenmeer.

Überleben im Bierkeller

Weil der Spähtrupp nicht kapituliert, beschießt die US-Artillerie am nächsten Tag jedes Haus, in dem ein Soldat vermutet wird, mit Brandmunition. Aus Bierkellern und Eisenbahntunnels kehren schließlich die Bewohner zurück in ihr verwüstetes Städtchen. Von den andernorts üblichen Plünderungen bleibt Velden nahezu verschont – es gibt fast nichts mehr zu stehlen.


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Andere Orte haben mehr Glück. In Schwabach spielt eine Frau eine besondere Rolle bei der Übergabe der Stadt ans US-Militär: Konstanze Link, damals 35 Jahre alt, gebürtige Engländerin, ist mit einem Schwabacher verheiratet. Sie spricht mit dem Bürgermeister und hat zwei Helfer: Carroll McEllroy und James Hannon waren mit ihrem Flugzeug bei Hannover abgeschossen worden, sie wurden in Neumarkt interniert und waren schließlich in den Wirren am Ende des Kriegs in Schwabach angekommen. Konstanze Link übersetzt – und schließlich verhandeln die beiden US-Offiziere mit den US-Militärs.

Weil in Schwabach Panzer gesehen wurden, sollte die Goldschlägerstadt das gleiche Schicksal wie Velden ereilen, mit Artillerieangriffen und Bomben aus der Luft. McEllroy und Hannon aber überzeugen ihre Kameraden und garantieren, dass kein Schuss fällt. Kampflos übernimmt die US-Armee schließlich die Stadt. Gut zwei Wochen vor dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai beginnt für die Bewohner ein neuer Zeitabschnitt nach dem "Dritten Reich".

Der Modus der Besatzung ist weitgehend gleich: US-Soldaten durchsuchen die Häuser nach Soldaten. Uniformierte werden festgenommen. Die Armee beschlagnahmt Häuser und quartiert Soldaten ein.

Begehrte Uhren

Schon bald lernen die Deutschen ein wichtiges Wort: "curfew" bedeutet Ausgangssperre, meist von 18 Uhr abends bis sieben Uhr am nächsten Morgen. "Die Amerikaner sind nicht nach Deutschland gekommen, um Kindermördern die Köpfe zu streicheln und SS-Verbrecher zu päppeln", schreibt damals die Truppenzeitung Stars and Stripes. Soldaten plündern Wohnhäuser, Brauereien und Weinlager. Uhren sind beliebt, Nazi-Orden werden als Trophäen eingesackt. Sexuelle Übergriffe auf Frauen und Mädchen häufen sich.

Wie groß das Chaos in den ersten Tagen der Besatzung ist, zeigt das Beispiel Neumarkt. Am 23. April gibt das US-Militär die Stadt den ausländischen Gefangenen und Zwangsarbeitern tagelang zur Plünderung frei. Auch einige Deutsche bereichern sich schamlos in der Nachbarschaft.


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Die Verwaltung untersteht nun dem Militär, das sofort die Bürgermeister aus der NS-Zeit entlässt und neue einsetzt. Rat holen sich die Besatzer etwa bei Kirchenvertretern, bevorzugt werden Männer (von einer Bürgermeisterin ist nie die Rede), die im Widerstand waren oder von den Nazis aus dem Amt gejagt wurden.

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Wirbel gibt es in Ansbach um den neuen Oberbürgermeister. Hans Schregle, Studienrat für Englisch und Französisch, hatte früh gegen Hitler gewettert und war deshalb von Nürnberg nach Ansbach strafversetzt worden.

Was den Bewohnern der Protestantenhochburg nicht passt: Schregle ist Katholik. Doch der Lehrer mit den ausgezeichneten Englischkenntnissen macht weiter Karriere und wird schon im Oktober 1945 Regierungspräsident für Ober- und Mittelfranken.

Andere Sorgen

General Lucius D. Clay hat zu dieser Zeit schon den Plan, die Demokratie von unten aufzubauen. Erst in den kleinen Gemeinden, dann in Städten und Landkreisen und schließlich auf Landesebene sollen ab 1946 Wahlen stattfinden. Eine ähnliche Abfolge regt die Militärführung für das Verfahren bei der Parteiengründung an. SPD und CSU bekommen am 8. Januar 1946 die Lizenz für Bayern.

Doch unmittelbar nach dem Kriegsende haben die Menschen andere Sorgen. Die Männer sind meist noch in Gefangenschaft – oder gefallen. Die verbliebenen Wohnungen sind durch Einquartierungen überbelegt oder von den US-Truppen beschlagnahmt. Erst kommen Flüchtlinge von der Saar, dann Sudetendeutsche, Schlesier, auch die Ausgebombten, die Unterschlupf auf dem Land gefunden hatten, drängen zurück in ihre Heimatorte.


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Lebensmittel sind weiter rationiert. Hamsterkäufe und Betteltouren in Dörfern sind oft die einzige Chance, Essen für die Familie aufzutreiben, berichten Zeitzeugen.

Hunger kennen die US-Soldaten nicht. Kontakte zu Deutschen sind den GIs aber bis August 1945 strikt verboten; sie teilen dennoch bald Süßigkeiten und Zigaretten – und umgehen das Fraternisierungsverbot. Zeitzeugen berichten, wie sie als Kinder bald die Furcht vor allem vor den Schwarzen verloren, die besonders freigiebig beim Austeilen von Kaugummis, Schokolade, Erdnüssen und Keksen waren. Schwarze Menschen kannten Franken und Oberpfälzer vorher allenfalls von Bildern aus der Kolonialzeit, dem Kuriositätenkabinett auf Kirchweihen oder dem Wappen derer von Tucher.

Oft geraten US-Soldaten in Nürnberg, Fürth, Erlangen, Ansbach oder Herzogenaurach sogar in die Rolle des Familienernährers. Schon bald gibt es amerikanische Clubs in den Städten, in denen getanzt wird – man kommt sich näher, auch im Kino.

Von der Kaserne in der Frankenstraße in Nürnberg gibt es Berichte, dass dort die "Frolleins" schon 1946 zum Dienstschluss warteten, die GIs also die freie Auswahl hatten, sei es ein romantisches Abenteuer oder bezahlter Sex. Später werden dort – bis zum Abzug der Truppen in den 1990er Jahren – die Pizzabuden zu Flirttreffs, die Wodanstraße zum Straßenstrich.

"In die Staaten"

Aber es geht nicht nur um oberflächliche Beziehungen. Manche Fränkin und Oberpfälzerin zieht mit ihrem GI "in die Staaten".

Auch wenn sich manche Bürger über "Negerliebchen" echauffieren und die Kirche "das Ende der Sittlichkeit" konstatiert, die Besatzer wandeln sich mehr und mehr zu Freunden. Deutsch-amerikanische Freundschaft, wie sie heute noch in Grafenwöhr rund um den Truppenübungsplatz gelebt wird, ist das Motto von gemeinsamen Festen. Beide Seiten suchen Normalität in den ersten Monaten und Jahren nach dem Krieg.

Einen Beleg für diese Normalität liefert im August 1945 ein Ereignis in Herzogenaurach. Dort heiraten die US-Bürger Robert Marlin Halferty und Phyllis Louise Yenter, er Leutnant, sie Krankenschwester. Es war die erste Hochzeit eines amerikanischen Militärs im besetzten Bayern.

 

Mitarbeit von Johannes Alles, Alexander Biernoth, Wolfgang Fellner, Hans Claus Neubing und Günther Wilhelm.

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