60 Stunden pro Woche

Versorgung bald vor dem Kollaps? Bayerns Kinderärzte sind am Limit

Stefan Besner

Online-Redaktion

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23.11.2022, 18:52 Uhr
Über zehn Stunden pro Tag und mehr als 60 in der Woche arbeiten Informationen des BR zufolge einige Kinderärzte in Bayern. (Symbolbild)

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa Über zehn Stunden pro Tag und mehr als 60 in der Woche arbeiten Informationen des BR zufolge einige Kinderärzte in Bayern. (Symbolbild)

Neben der Corona-Pandemie, die noch immer Jung und Alt in die Arztpraxen befördert, ist mit dem winterlichen Schmuddelwetter auch die Erkältungs- und Grippesaison in vollem Gange. Speziell die Wartezimmer der Kinderärzte platzen Medienberichten zufolge nicht nur in Bayern, sondern auch bundesweit aus allen Nähten. Das hat verschiedene Gründe.

Über sechzig Stunden pro Woche

Über zehn Stunden pro Tag und mehr als 60 in der Woche arbeiten Informationen des BR zufolge einige Kinderärzte in Bayern. Vor den Praxen bilden sich teils lange Schlangen. Sogar Eltern mit Neugeborenen mussten wegen Aufnahmestopp abgewiesen werden. Ein Regensburger Kinderarzt versorge demnach rund 6.000 Kinder im Quartal. Das sind mitunter mehrere hundert am Tag. Hinzu kämen noch Bereitschaftsschichten für Notfälle an Wochenenden und Feiertagen. Dabei hat Bayern prozentual auf die Bevölkerung gesehen eigentlich mehr als genug Kinderärzte - zumindest auf dem Papier.

Kluft zwischen Theorie und Praxis

Laut dem Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) liegt der Versorgungsgrad in 67 von 79 Planungsbereichen bei zum Teil deutlich über 100 Prozent. In Nürnberg sind es knapp 113 Prozent in Fürth sogar rund 155 Prozent. Garmisch-Partenkirchen bildet mit einem Versorgungsgrad von annähernd 194 Prozent den Spitzenreiter in Bayern. Diese Zahlen verschleiern jedoch die tatsächliche Situation. In der Realität kämen soziologische Faktoren zum tragen, die bei der Bedarfsplanung kaum berücksichtigt würden, so Gesundheitsexpertin Christine Haubrich von den Landtags-Grünen gegenüber dem BR. Auch der elterliche Beratungsbedarf würde immer aufwendiger, so Dominik Ewald, der Vorsitzende des bayerischen Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Übergewicht, steigender Medienkonsum, mehr Kinder mit Sprachdefiziten und mehr zu behandelnde Krankheiten wie ADHS, Allergien oder Asthma seien nur einige Faktoren, weswegen der Schlüssel nicht funktioniere.

Bürokratie lähmt Arztpraxen zusätzlich

Ein weiteres Problem sehen zahlreiche Ärzte in der Flut von Attesten, die von Kitas und Schulen verlangt würden. Gegenüber dem MDR teilte der Bundesverband der Kinderärzte mit, das Bescheinigen der Kitatauglichkeit raube Kapazitäten, die für kranke Kinder gebraucht würden. Auch Krankschreibungen für Schulkinder seien unnötige Atteste. Eltern sollten den Gesundheitszustand ihrer Kinder selbst beurteilen können und, falls nötig, eine Entschuldigung für die Schule schreiben, so der Wunsch. Bereits die telefonische Attest-Nachfrage blockiere die Leitungen und koste Zeit, die somit nicht für kranke Kinder aufgebracht werden könne.

Medizinische Versorgung vor dem Kollaps?

Die Überlastung der Praxen beschränkt sich indessen nicht auf den Freistaat allein. Vielen Kinderärzten in ganz Deutschland stehe das Wasser bis zum Hals, heißt es in einem Bericht der Welt. Die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen sei inzwischen weder ambulant noch stationär gesichert. In Bayern sei der Nachwuchs an Kindermedizinern, der zu über 70 Prozent aus Frauen bestehe, nach Informationen des BR zudem nicht mehr bereit, eine eigene Praxis zu eröffnen, um jeden Tag rund zwölf Stunden zu arbeiten. Gleichzeitig seien sehr viele der aktiven Kinderärzte bereits über 60 Jahre alt und hörten in absehbarer Zukunft auf. Wenn sich am Arbeitsaufwand der Kinderärzte nichts ändere, steuere man auf eine Versorgungslücke zu.