Volle Tonnen und wilde Müllkippen: Die Pandemie verursacht Abfallberge

12.3.2021, 05:57 Uhr
Volle Tonnen und wilde Müllkippen: Die Pandemie verursacht Abfallberge

© Christian Charisius/dpa

In den Jahren vor der Corona-Krise wurden in der Müllverbrennungsanlage im Nürnberger Stadtteil St. Leonhard jeweils knapp 250.000 Tonnen Haushaltsmüll und haushaltsähnlicher Gewerbemüll verbrannt. Die Einrichtung fuhr damit an der technischen Obergrenze. 2020 hatte sich die Situation nur unwesentlich entspannt. "Da waren es gerade mal 6200 Tonnen weniger", erzählt Reinhard Arndt, Werkleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs Stadt Nürnberg. Die Abfallströme hätten sich nur verschoben - unter dem Strich seien die Mengen nahezu gleich geblieben.

Verantwortlich dafür ist unter anderem das veränderte Konsumverhalten der Bürger während der beiden bisherigen Lockdowns. Mehr Verpackungsmüll aufgrund des boomenden Online-Handels, mehr Einwegverpackungen wegen der To-go-Angebote der Gastronomie und mehr Sperrmüll und zu entsorgende Baustoffe, weil die Menschen die viele freie Zeit zuhause auch zum Renovieren und Entrümpeln nutzten.

Vermüllung des öffentlichen Raums

Dazu kommt laut der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft das wachsende Problem des sogenannten "Litterings", der Vermüllung des öffentlichen Raums. "Mit den Lockerungen im Mai begannen sich die Menschen aufgrund der Empfehlungen verstärkt im Freien zu treffen und dort auch zu essen", heißt es in einer Zwischenbilanz nach einem Jahr Pandemie. Die Menge an "gelitterten" Verpackungen, insbesondere Kunststoffeinwegverpackungen und To-go-Getränkebecher, habe sich während der Pandemie verdoppelt.

Auch die Beschäftigten des Servicebetriebs Öffentlicher Raum (Sör) in Nürnberg haben mit wachsenden Müllmengen, zum Beispiel in Grünanlagen oder auf öffentlichen Plätzen zu kämpfen. Und zum Teil finden sich laut Sör-Pressesprecher André Winkel solche Hinterlassenschaften mittlerweile auch an entlegeneren Orten, an denen es vor der Corona-Pandemie diese Probleme nicht gegeben hatte.

Winkel vermutet, dass unter anderem private Trinkgelage für diese Entwicklung verantwortlich sind. Menschen weichen auf weniger frequentierte Plätze aus, an denen auch die Polizei seltener vorbeikommt. "Und danach reicht die Energie nicht mehr aus, die Flaschen und Getränkekartons auch wieder mitzunehmen", vermutet der Sör-Sprecher, der auch von merklich mehr wilden Ablagerungen von Sperrmüll, Bauschutt und Elektroschrott berichtet. Unter anderem das Umfeld von Wertstoffcontainern werde hierfür missbraucht.

Genaue Zahlen zu illegal entsorgtem Abfall in Bayern gibt es nicht, da die Abfallentsorgung Aufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte ist und keine einheitlichen Statistiken dazu geführt werden. "Daten dazu liegen der Staatsregierung daher nur in sehr eingeschränktem Maße vor", antwortete das bayerische Umweltministerium auf eine entsprechende Anfrage im Landtag. Nach Angaben einzelner Städte lägen die jährlichen Kosten für die Entsorgung "gelitterten" Abfalls - je nach Größe der Kommune - in einem Bereich zwischen 5000 und 200.000 Euro.

Gesicherte Aussagen über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Abfallentwicklung im Freistaat werden zudem erst Ende 2021 möglich sein. "Dann wird die Hausmüllbilanz für 2020 veröffentlicht und erst dann wird sich zeigen, inwieweit sich die absolute Menge an Hausmüll durch die Zunahme von Verpackungsmüll verändert hat", erklärt ein Sprecher des Landesamtes für Umwelt.

Dass diese Statistik dann eine erhebliche Steigerung der Müllmengen aus den privaten Haushalten ausweisen wird, steht für Rüdiger Weiß, Geschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Entsorgungsunternehmen, jedoch außer Frage. "Unsere Mitglieder müssen seit dem Beginn des ersten Lockdowns zum Beispiel deutlich höhere Mengen an Gelben Säcken bewältigen", erklärt Weiß. Die Sortieranlagen seien extrem ausgelastet, und nach wie vor habe die Branche das Problem, dass immer noch viel zu viel Dinge in den Gelben Säcken und den Gelben Tonnen landen, die dort nicht reingehören. "Zum Teil landen dort mehr als 40 Prozent Fremdstoffe", klagt der Geschäftsführer. Auch bei den Bioabfällen hätten die Verwertungsbetriebe nach wie vor mit einer viel zu hohen Fremdstoff-Quote zu kämpfen.

Müllfahrzeuge fahren Extratouren

Das geänderte Konsumverhalten der Menschen und die veränderte Zusammensetzung ihres Mülls stellt die Entsorgungsunternehmen auch bei der Abfuhr vor zusätzliche Herausforderungen. Weil sich die Menge an sperrigem Verpackungsmüll in den Gelben Säcken in manchen Gebieten fast verdoppelt hat, müssen die Müllfahrzeuge teilweise schon nach vier Stunden Fahrt zum Entladen zurückfahren. Vor den Lockdowns schafften sie eine Tagestour am Stück.


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Viele Leute in der Entsorgungs- und Verwertungsbranche blicken deshalb mit einer Mischung aus Hoffen und Bangen auf die Zeit nach der Pandemie. Wird der Trend zu Bestellungen im Online-Versandhandel wieder zurückgehen und die Menschen in die örtlichen Einzelhandelsgeschäfte zurückkehren? Wird nicht mehr so viel bei Essenslieferdiensten bestellt und fallen dann auch nicht mehr so viele Einwegverpackungen an? Solche Fragen treiben unter anderem Reinhard Arndt angesichts der limitierten Kapazitäten der bayerischen Müllverbrennungsanlegen um. Denn wenn die Wirtschaft wieder anläuft und in den Privathaushalten weiterhin so viele Abfälle wie momentan produziert werden, könnte das bisherige System an seine Grenzen stoßen.

Masken und Schutzkleidung verursachen zusätzlichen Müll

Immerhin: Ein zusätzlicher Abfallstrom, nämlich Masken, Einweghandschuhe und Schutzkleidung, sollte nach dem Sieg über das Virus wieder deutlich kleiner werden. So hatte das Bundeswirtschaftsministerium einen deutschlandweiten Bedarf von bis zu zwölf Milliarden Einwegmasken pro Jahr errechnet. Zusammen mit der nach dem Gebrauch zu entsorgenden Schutzkleidung, etwa für Krankenhauspersonal, ergibt das einen zusätzlichen Müllberg von 1,1 Millionen Tonnen pro Jahr.

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