Von Franken bis in die Oberpfalz: Bleiben viele Bäder jetzt zu?

24.6.2019, 05:59 Uhr
Von Franken bis in die Oberpfalz: Bleiben viele Bäder jetzt zu?

© Foto: Markt Postbauer-Heng

Es sind enorme Hürden, die derzeit noch verhindern, dass das in diesem Jahr unerwartet geschlossene Naturbad in Postbauer-Heng (Kreis Neumarkt) wieder öffnen kann. Einige dieser Hürden sind: 300 Meter Schwimmen in Kleidung in höchstens zwölf Minuten, 25 Meter Streckentauchen, 50 Meter Schleppen im Wasser in höchstens vier Minuten.

Diese und weitere Aufgaben muss meistern, wer das Deutsche Rettungsschwimmerabzeichen Silber anstrebt. Das ist nötig, um in einem Bad als Aufsicht eingesetzt zu werden. "Das ist nicht so einfach, wie vielleicht einige gedacht haben", sagt Christian Illing vom neu gegründeten Förderverein für das Naturbad. Trotzdem sind fast 20 Engagierte aus Postbauer-Heng dabei, fleißig zu trainieren, um möglichst schnell alle Prüfungen abzulegen und das Naturbad wieder öffnen zu können. Die Freiwilligen haben eigens eine Wasserwacht ins Leben gerufen, die die Aufsicht im Bad übernehmen soll.

Wie ein Lauffeuer hatte sich im April die Meldung verbreitet, dass das Naturbad heuer geschlossen bleiben muss. Binnen kürzester Zeit fanden sich viele Unterstützer. Mittlerweile hat der Förderverein 170 Mitglieder. In Postbauer-Heng gibt es seit knapp 15 Jahren keine Badeaufsicht mehr. Das schien lange kein Problem, schließlich wiesen Schilder darauf hin, dass jeder Besucher auf eigene Gefahr badet.

Dass die Gefahr in solchen Bädern auch für die Kommunen bestand, merkten diese erst, als der Bundesgerichtshof (BGH) 2017 ein folgenschweres Urteil fällte. Hierbei ging es um eine Zwölfjährige, die nach einem Badeunfall in Rheinland-Pfalz unter massiven, irreparablen Hirnschäden leidet. Die Eltern klagten auf Schadenersatz- und ein Schmerzensgeld von mindestens 500.000 Euro.

Der BGH konkretisierte die Pflichten der Badeaufsicht. Sie muss den Badebetrieb "mit regelmäßigen Kontrollblicken überprüfen, ob Gefahren für die Badegäste auftreten. Dabei ist der Standort so zu wählen, dass der Schwimm- und Sprungbereich überwacht und in das Wasser hineingeblickt werden kann." Und: Wer als Aufsicht grob fahrlässig handelt, muss nachweisen, dass seine Fehler den Unfall nicht verursacht haben.

Gewaltige Schockwellen

Das Urteil hat für Schockwellen in Bayerns Bäderlandschaft gesorgt. Am Ammersee wurden ein Holzfloß im Wasser und eine Rutsche entfernt, Dutzende Kommunen suchen händeringend nach Rettungsschwimmern. Etliche dieser Gemeinden landen in ihrer Verzweiflung irgendwann bei Hans-Peter Mayer, Experte für Haftungsfragen beim Bayerischen Gemeindetag. "Eigentlich gibt es keine wesentlich neue Rechtslage. Die Badeaufsicht und die Verkehrssicherungspflicht liegen seit Jahrzehnten in der Verantwortung der Kommunen", verdeutlicht er.

Nur: Jahrzehntelang war das vielen Gemeinden nicht im ganzen Ausmaß bewusst. "Nach dem Urteil sind dann alle blass geworden, weil ihnen klar wurde, welches Risiko sie da eigentlich tragen", sagt Mayer. "Es hilft kein Warnschild zur Gewissensberuhigung. Die Lebenserfahrung sagt, dass ein solches Schild nicht beachtet wird."

Gezwungen ist keine Gemeinde, etwas zu ändern. Niemand kann sie pauschal verklagen, weil sie keine Badeaufsicht stellt. Nur wenn etwas passiert, trägt sie schnell die volle Verantwortung. "Jeder muss selbst für sich und die örtlichen Gegebenheiten die Lage beurteilen", so Mayer. Immer mehr Gemeinden wird die potenzielle Gefahr nun richtig bewusst – und immer weniger sind bereit, das Risiko in Kauf zu nehmen.

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Vorreiter wider Willen war in dieser Sache Horst Kratzer, Bürgermeister von Postbauer-Heng. Weil die Kommune in einem Rechtsstreit wegen mangelnder Reinigungsleistung des Naturbades ist, wurden mehrere Gespräche mit Gutachtern geführt. Die haben Kratzer das BGH-Urteil und Folgeurteile vorgelegt und deutlich gemacht, dass er dringend eine Badeaufsicht braucht. "Mit dem Wissen würde ich mit vollem Vorsatz handeln, wenn ich jetzt trotzdem aufsperren würde", erklärt Kratzer.

"Es gibt keine klaren gesetzlichen Vorgaben, sondern EU- und DIN-Normen sowie Richtlinien der Gesellschaft für das Badewesen", sagt Andreas Lenz, Leiter des Bereichs Umwelt & Technik der Bayerischen Verwaltungsschule, die für die Ausbildung von Fachangestellten und Meistern für Bäderbetriebe zuständig ist. Weil die Bäder sehr unterschiedlich seien, sei es auch schwierig, allgemeingültige Regeln festzulegen. "Eigentlich soll das jetzige System den Betreibern mehr Freiheiten geben", meint Lenz. Momentan sorgt es allerdings eher für Verwirrung.

So sind die meisten Bäder, die sich "Naturbäder" nennen, gar keine. Naturbäder sind natürliche Gewässer, die mit Stegen, Türmen oder Rutschen zu Bädern ausgebaut wurden. In Postbauer-Heng hat man eigentlich ein Freibad mit biologischer Wasseraufbereitung, kein Naturbad. Für Freibäder ist das Regelwerk strenger. Dort braucht man ausgebildetes Fachpersonal für die Badeaufsicht und nicht nur Wasserwachtler mit Rettungsschwimmerabzeichen.

Verwirrung bei Bezeichnungen

Ist das also doch der Todesstoß für Postbauer-Heng? "Es ist auch in Ordnung, wenn man eine qualitativ ähnliche Aufsicht stellt. Man kann die Qualifikation und die Kenntnisse auch auf mehrere Schultern verteilen und quasi aus deren Einzelwissen zusammensetzen", beruhigt Lenz.

In Postbauer-Heng wird nun ein 120 Zentimeter hoher Zaun um das Gewässer errichtet. "Das ist hoch genug, dass man aktiv handeln muss, um drüberzukommen. Dadurch sind wir aus der Verantwortung", sagt Bürgermeister Kratzer. Er hofft, dass Ende Juni die ersten Rettungsschwimmer bereitstehen und das Bad öffnen kann. Statt Eintritt zu zahlen, sollen Besucher eine freiwillige Gabe in Spendenboxen werfen.

Auch in Breitenbrunn (Kreis Neumarkt) ist man durch den Fall in Postbauer-Heng aufgeschreckt. Dort hatte man das Freibad vor zehn Jahren in ein Naturbad (korrekt: Freibad mit biologischer Wasseraufbereitung) umgewandelt. Eingezäunt und nachts abgesperrt zwar, aber auch tagsüber ohne Aufsicht. Nachdem Andreas Lenz das Bad begutachtet hatte, war schnell klar: Ohne Rettungsschwimmer läuft hier nichts.

Doch die Breitenbrunner können aufatmen: Ein Bademeister wurde gefunden. Mit Helfern sichert er zumindest in diesem Jahr den Betrieb. Für Bürgermeister Johann Lanzhammer, der trotz der Extra-Kosten keinen Eintritt verlangen will, ist das zwar "ein Glücksfall", etwas verwundert lässt ihn die Diskussion aber zurück: "Direkt neben dem Bad fließt die Laber. Auch da baden öfter Leute. Wenn denen was passiert, sind sie aber selber schuld."

Nicht jeder lässt sich durch die aktuelle Diskussion beunruhigen. In Obernzenn (Kreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim) etwa soll alles beim Alten bleiben. Der 13 Hektar große See dort verfügt über Stege und eine 20 Meter lange Wasserrutsche. Die Wasserwacht passt hier nur am Wochenende auf. Unter der Woche sollen Warnschilder genügen, eingezäunt ist der See nicht.

"Früher haben wir in den Karpfenweihern gebadet. Es gibt sogar immer wieder Leute, die in unseren frei zugänglichen Klärteichen baden. Da ist Baden zwar verboten, aber die Leute finden’s eben schön warm da drin", erzählt Obernzenns Kassenverwalter Walter Plettl.

Was früher kein Problem war, ist es heute aber sehr wohl. Schuld ist wohl die Klagewut von Unfallopfern und ihren Angehörigen. "Die Eigenverantwortung der Leute ist heute einfach nicht mehr. Wenn etwas passiert, wird immer ein Schuldiger gesucht und geklagt", sagt Andreas Lenz von der Verwaltungsschule.

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