Wegen Corona-Maßnahmen: Streit zwischen CSU und Freien Wählern entbrannt

26.1.2021, 10:36 Uhr
Wegen Corona-Maßnahmen: Streit zwischen CSU und Freien Wählern entbrannt

© Sven Hoppe, dpa

Albert Füracker hat einen Stapel Papier vor sich liegen, und den arbeitet er jetzt durch. Es wird eine lange Liste, die er da verliest von Sprüchen seines Koalitionspartners Hubert Aiwanger. Und wer Fürackers Ton hört, der weiß, dass der CSU-Mann und bayerische Finanzminister alles andere als amüsiert ist.

Im März, zitiert der Oberpfälzer, habe Aiwanger noch die Starkbierfeste als Infektionsquellen verharmlost. Starkbier sei „gut gegen das Virus“. Danach folgten: ungezählte Rufe nach Öffnungen für jede Branche, vom Biergarten bis zum Hotel. Im Sommer bestritt Aiwanger, dass es eine zweite Welle geben werde; im September verlangte er ein Oktoberfest light; im November erklärte er, alle könnten an Weihnachten in ihr Lieblingsrestaurant zum Essen gehen und Weihnachtsmärkte werde es auch geben; im Dezember verkündete er, ab 11. Januar werde alles geöffnet sein; jetzt verlangt er, dass Skilifte und Hotels öffnen.

Lächeln vergangen

In der CSU lächeln sie nicht mehr. Anfangs hatten sie den Niederbayern als Populisten abgetan, leicht nervig aber harmlos. Markus Söder hatte sich mit den Freien Wählern eingelassen, weil sie ihm als der einfachere Koalitionspartner erschienen: konservativ wie die CSU, bürgerlich und beherrschbar. Die Grünen schienen ihm ein zu großes Wagnis.

Ein Irrtum. Die Grünen tragen im Landtag die Anti-Corona-Linie des bayerischen Ministerpräsidenten mit und stänkern auch außerhalb des Parlaments nicht. Aiwanger dagegen brüskiert seinen Bündnispartner bei jeder Gelegenheit. Selbst Markus Söder, der sich eine nie gekannte Geduld antrainiert hat, verliert sie allmählich.

Als Aiwanger am Freitag wieder einmal die offizielle Linie verlassen und weitreichende Öffnungen verlangt hat, reißt Söder der Geduldsfaden. Sein Konter ist scharf. Er nennt Aiwangers Namen nicht beim virtuellen Neujahrsempfang seiner CSU, doch er zählt die Beispiele auf, die auch Albert Füracker kennt und zeichnet das Bild eines unseriösen Politikers, der sich wenig um Fakten schert und für eine billige Schlagzeile jede Verlässlichkeit vergisst.

Schweigen im Kabinett

Vielleicht hätten sie in der CSU weniger Probleme mit dieser Sonderrolle, die Aiwanger sich gestattet, zeigte er an anderer Stelle den gleichen Mut. Im Kabinett aber, erzählen alle, habe er noch keinen Vorschlag Söders kritisiert oder auch nur einen eigenen Gedanken dagegen gestellt. „Der schweigt und hebt die Hand“, sagt einer. „Im Kabinett hörst du gar nichts von ihm.“ Auch bei den Pressekonferenzen ist vom nassforschen Aiwanger wenig zu sehen.


So kommentiert München-Korrespondent Roland Englisch die Situation


Das ist nicht neu. Im Kampf um die Stromtrassen war das nicht anders. Doch diesmal gefährdet Aiwanger die Stabilität der Regierung, weil er Söder auf einem für ihn schwierigen Feld angreift. Bei Corona wächst die Nervosität überall. Störfeuer aus den eigenen Reihen braucht niemand. Auch das erklärt, wieso Söder seinen Vizeministerpräsidenten diesmal deutlich schärfer angeht.

Über die Motive Aiwangers können sie in der Koalition nur spekulieren. Aber sie nehmen auf der CSU-Seite genau wahr, wer sich dort wie verhält. Die Minister Thorsten Glauber (Umwelt) und Michael Piazolo (Bildung) sind beide von den Freien Wählern. Doch ihnen ist noch kein böses Wort über die CSU oder deren Kabinettsmitgliedern über die Lippen gekommen. Auch Piazolo schweigt. Er steht seit Monaten im Feuer für die Probleme beim Distanzunterricht. Dabei hat er das Haus erst vor gut zwei Jahren übernommen, das sieben Jahrzehnte rein in CSU-Hand gewesen war. Für die EDV unter der anfälligen Schulplattform Mebis ist das CSU-geführte Finanzministerium zuständig; das ebenfalls CSU-geführte Digitalisierungsministerium hält sich beim Thema Digitalisierung ohnehin bedeckt.

Das nächste Ziel: Der Bundestag

Doch Piazolo zeigt nicht auf die anderen und tut damit, was sich für gute Koalitionspartner gehört. Anders als sein Parteichef Hubert Aiwanger hat Piazolo keine bekannten bundespolitischen Ambitionen. Aiwanger will die Freien Wähler mit aller Gewalt in den Bundestag hieven.

Es ist, vorsichtig formuliert, ein so kühner wie einsamer Traum. Außer ihm glaubt keiner in den eigenen Reihen an ein derart großes bundespolitisches Gewicht. Bei der jüngsten Bundestagswahl schafften die Freien Wähler ein Prozent. Ihnen fehlen als kommunalpolitisch ausgerichtete Partei in vielen Bundesländer das Personal und die Organisation.

Doch will er auch nur eine winzige Chance haben, muss er sich profilieren, auch gegen Markus Söder. Dessen Übermacht spiegelt sich in den Zahlen. Die CSU liegt in den landesweiten Umfragen bei 48 Prozent. Die Freien Wähler feiern sich schon, weil sie aktuell wieder bei acht Prozent stehen – nach zwölf Prozent bei der Landtagswahl. Die CSU könnte derzeit wieder allein regieren. Aiwanger bräuchte sie dazu nicht mehr. Corona hat die Machtverhältnisse auf den Kopf gestellt.

Mit allen Mitteln

Aiwanger kämpft mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit und um Stimmen. Schon früher war ihm herzlich egal gewesen, ob er dabei über die Stränge schlägt oder mit seinen eigenen Ankündigungen nicht Schritt halten kann. Doch aus der Opposition heraus war das leicht. Jetzt erinnern ihn CSU-Leute gern daran, dass er nicht mehr irgendwer sei, der daher plaudern könne. Sondern, dass er als Vizechef in der Regierung sitzt und für alle Verantwortung trägt. Es kann noch ziemlich ungemütlich werden für Aiwanger und seine Freien Wähler.

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