Die Geschichte einer versäumten Debatte

26.3.2021, 11:05 Uhr
Die Geschichte einer versäumten Debatte

© Rudi Beringer/Limes-Luftbild.de

Bereits jetzt ist klar: Die Diskussion wird anstrengend, die Diskussion wird hässlich und die Diskussion wird viel zu spät kommen.Denn: Was man in der Auseinandersetzung erlebt, ist die Folge einer nie geführten Debatte. Deren Motto könnte lauten: Will man eigentlich Tourismusregion sein? Und wenn ja, wie sehr? Auch ein halbes Jahrhundert nach dem Landtagsbeschluss zum Bau des  Seenlands gibt es keine klare, öffentliche Antwort auf diese Frage.

Eine große Erzählung fehlt

Und es gibt auch keine große Erzählung, die den Einheimischen verständlich macht, wie sie und ihre Region auf Dauer von Gästen von außen profitieren könnten. Auch eine Übereinkunft fehlt, wo im Seenland die Grenzen des Tourismus liegen sollen.

In Teilen ist das nachvollziehbar. Es kam lange mangels Masse niemand auf die Idee, Grenzen zu setzen. Im Seenland, diesem gigantischen Wasserprojekt mit touristischer Nebennutzung, war im Juni, Juli und August was los. Davor und danach musste man nach Touristen am See suchen. Das hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren geändert. Nicht nur, aber auch weil man im Tourismusverband ordentliche Arbeit gemacht hat.

Viele Megatrends laufen in Richtung Seenland

Es spielten und spielen der Region zudem noch andere Aspekte in die Karten. Eine neue Landlust, der Boom des Campings, der Trend zum Inlandsurlaub und der beginnende Verzicht auf Flugreisen. Entwicklungen, die stabil zu sein scheinen und als Megatrends dem Seenland-Tourismus dauerhaft Wind in die Segel blasen könnten. Die wirtschaftlichen Chancen sind groß.


Der Tag der Wahrheit: Termin für Bürgerentscheid steht


Wäre der Seenland-Tourismus eine Aktie: Sie würde gerade steigen, weil Investoren viel Anlass für Fantasie hätten. Das aber bedeutet auch, dass tatsächlich Grenzen diskutiert und Ideen entwickelt werden müssen, wo man im Seenland mit dem Tourismus hinwill. Wenn es Grenzen für Übernachtungskapazitäten geben soll, muss dann weiter der vergleichsweise wenig wertschöpfende Campingtourismus ausgebaut werden? Nur eine von vielen Fragen, für die Festlegungen fehlen. Es geht vielleicht mittelfristig weniger darum, den Tourismus zu bewerben, als darum, ihn vor Ort verträglich zu managen.

Corona als Brandbeschleuniger

Die Corona-Pandemie samt Super-Sommer hat 2020 als eine Art Brandbeschleuniger für die überfällige Diskussion des Seenland-Tourismus gewirkt. Das Wetter sorgte für eine Verdoppelung der Top-Tage im Seenland und die Corona-Daheimgebliebenen pumpten zusätzliche Masse in diese Tage. Das Ergebnis war eine Überforderung von Einheimischen und Infrastruktur. An einigen wenigen, aber schmerzhaften Tagen.


Die Bürgerinitiative bleibt bei ihrer Kritik


Dass just in diesem Moment klar wurde, dass der holländische Urlaubskonzern Center Parcs den Bau einer neuen Ferienanlage mit wohl 800 bis 900 Häusern plant und die Übernachtungszahlen im Seenland verdoppeln will, war sensationell schlechtes Timing. Waren Super-Sommer und Corona wie Benzin, das jemand in ein schwelendes Feuer schüttet, war Center Parcs Dynamit, das jemand dem Benzin hinterherschmiss. Erwartungsgemäß spektakulär fiel die Explosion aus.

Geht es wirklich allen um die Umwelt?

Dabei ging es vordergründig um die Rettung des Muna-Walds in Langlau, der in Teilen der Ferienanlage weichen müsste. Und tatsächlich ist das diskutabel. Die eigentliche Wucht der Center-Parcs-Kritik kam allerdings daher, dass sich viele Tourismus-Kritiker dem Umweltschutz-Lager anschlossen. Auch sie ketten sich nun argumentativ an Bäume, auch wenn es ihnen vielleicht mehr um die Parkplätze geht, die ihnen die Urlauber zustellen. Die Debatte ist im Kern eine um die Zukunft des Tourismus.

In dem Zusammenhang kommt man auf ein Grundproblem dieses Wirtschaftszweigs: Hier zahlen immer alle den Preis der Belastung, auch wenn vielleicht nur wenige profitieren. Zumindest mag es auf den ersten Blick so wirken. Vor allem, weil die Chancen des Tourismus für die Region nicht gut erklärt wurden. Genau das ist es, woran man die vergangenen zwei Jahrzehnte gescheitert ist. Trotz ausreichend positiver Beispiele.

Von Gunzenhausen lernen

Gunzenhausen etwa ist in Sachen Attraktivität von Einzelhandel und Gas-
tronomie an Weißenburg vorbeigezogen. Warum? Weil hier im Frühjahr und Sommer die Urlauber massiv Geld von außen in die Stadt tragen. Sie ernähren so eine attraktive Struktur, die auch von den Einheimischen gerne genutzt wird. In Weißenburg gibt es diesen Effekt auch, nur viel kleiner. Hier kommen die Urlauber im Sommer vor allem dann, wenn das Wetter schlecht ist und man statt Strand einen Tag Kultur- und Stadttourismus macht. Aber auch in Weißenburg helfen die Umsätze, die Schwaben, Thüringer oder Hessen in die Geschäfte tragen, Strukturen zu erhalten.

Das Bemerkenswerte am Fremden des Tourismus ist ja gerade, dass er helfen kann, das Eigene zu bewahren. Wenn es gelingt, ihn so zu managen, dass er breit in die Region streut. Denn der Tourist interessiert sich für das Authentische einer Region und gibt ihm darüber auch wirtschaftlichen Wert. Das heißt: Baukultur, Bräuche, Kulturlandschaft, Dorfwirtschaften zu erhalten, das ist nicht mehr nur kulturelle

Arbeit im höheren Sinn, das kann jetzt auch betriebswirtschaftlich Sinn machen. Und die Möglichkeit, mit etwas Geld zu verdienen, ist immer noch der sicherste Weg, dafür zu sorgen, dass etwas auch wertgeschätzt wird. Das kann man bedauern oder nicht, aber man muss es als Realität anerkennen.

Tourismus kann Identität bewahren helfen

Über eine funktionierende Tourismusbranche lässt sich die Identität einer Gegend sogar verstärken. Weil Direktvermarkter nun Chancen bekommen, die sie sonst nie hätten, weil es Verdienstmöglichkeiten in den Dörfern rund um die Seen gibt, wo sonst Arbeitsplätze rar sind, weil Besuchermasse geschaffen wird, die die Umsetzung manch guter Ideen erst möglich macht. Tourismus kann dem Land nicht nur als Wohn-, sondern auch als Arbeitsort eine Verdienstmöglichkeit schaffen. Das ist wichtig, gerade im Blick auf eine im Landkreis starke Automobilzulieferbranche, die unsicheren Zeiten entgegensieht.

Diese Einsicht aber zu vermitteln, daran sind die Branche, die Politik und auch die Touristiker eindrucksvoll gescheitert. Dabei wusste man um die Probleme. Im Seenland-Leitbild von 2010 bis 2020 stand bei gleich zwei Befragungen die Stärkung des Tourismusbewusstseins der Einheimischen auf Platz eins der Dinge, die man angehen müsste. Kommunalpolitiker und Tourismusbetreiber kannten den Unwillen mancher Einheimischer gegenüber Touristen.

Manche betrachten die Urlaubsgäste bis heute als Störung ihres Friedens und nicht als potenziellen Arbeitgeber für die eigenen Kinder oder Frequenzbringer für den letzten Laden im Dorf. Es gibt Einheimische, die stolz erzählen, dass sie im Sommer in einem Gasthaus mit vielen Touristen immer erst mal laut nach der Karte mit den Einheimischenpreisen fragen. Einem Industriellen, der eine neue Fabrik baut, würden die gleichen Leute dagegen kaum auf die Schuhe spucken. Hier scheint der wirtschaftliche Nutzen klarer zu sein: Eine Fabrik bedeutet eine Menge Jobs auf einem Haufen.

Die Landung eines Raumschiffs

Diese Greifbarkeit der wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus fehlt. Gerade weil die Stärke dieser Branche ist, dass sie so stark streut. Dabei hat man gerade erst in einer aktuellen Untersuchung festgestellt, dass der Tourismus im Landkreis rechnerisch knapp 4400 Menschen ein Auskommen bietet. Damit ist man bereits auf dem Niveau der Kunststoffindustrie.

Was heißt das nun für Center Parcs? Erst mal nicht viel. Man kann die Chancen des Tourismus sehen und eine Landung dieses Raumschiffs am Brombachsee trotzdem ablehnen. Nur sollte man dafür gute Gründe haben, die in ein großes Ganzes der Seenland-Strategie passen. Im Moment hat man den Eindruck, dass einem der spannendsten Projekte der vergangenen Jahrzehnte der Garaus gemacht werden könnte, weil man einen besonders heißen Sommer hatte, ein paar besonders dämliche Tagesurlauber und gerade einfach keinen Bock. Das wäre fahrlässig.

Man hätte es wissen können

Zumal man sagen muss – auch wenn die große Debatte versäumt worden ist –  hinter dem Berg gehalten haben Politik und Tourismus mit ihren Expansionsplänen nicht. Auch dazu ein Blick in das Tourismus-Leitbild des Seenlands. Schon 2010 hatte man festgeschrieben, dass das Seenland mehr hochklassige Unterkunftsmöglichkeiten am See benötige, man spezielle Angebote für Kinder und Familien brauche, eine Ausdehnung der Saison und Schlecht-Wetter-Angebote. Protestgeschrei gab es damals nicht. Obwohl vieles von dem, was gefordert worden ist, auf die Ansiedlung eines neuen Center Parcs passt.

Am Ende wird es eine Entscheidung unter Schmerzen sein. Ein Center Parcs kann der Region viel geben. Die Chance, den Tourismus einer Region mit einem einzigen Projekt zu verdoppeln, wird man nie wieder bekommen. Auf der anderen Seite werden Teile eines Walds verschwinden und es besteht die reale Gefahr einer Überforderung der Strukturen.

Man braucht eine Idee vom Tourismus in der Region

Umso wichtiger wäre es, jetzt die große Debatte anzustoßen. Wollen wir auf lange Sicht einen namhaften Teil der Wertschöpfung damit verdienen, dass Menschen hier ihren Urlaub verbringen? Darauf braucht es eine Antwort. Politik und Tourismus sollten sich dabei nicht in eine stille Ecke setzen und alle Verantwortung an Bürger und Bürokratie abschieben. Sie sollten sich einmischen. Auch mit konkreten Ideen, wie man eine Überforderung der Einheimischen verhindern kann.

Mit dieser Diskussion wäre etwas gewonnen. Auch  wenn es nichts würde mit einem Center Parcs, was nach den jüngsten Finanzproblemen des französischen Mutterunternehmens auch aus dieser Perspektive nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint. Die Region braucht eine eigene Idee von sich und ihrem Seenland-Tourismus.

 

VON JAN STEPHAN